Miranda brachte ihr den Tee. Sich selbst schenkte sie eine Tasse stärkenden Kaffee ein. Miranda hatte sich von Mim überreden lassen, in einen Kaffeeclub einzutreten, und nun bekam sie jeden Monat eine andere Sorte teuren Kaffee aus Frankreich, Deutschland, Spanien, der Schweiz. Dieser köstliche Kaffee kam aus einem berühmten Wiener Kaffeehaus.
Auf ein leises Klopfen an der Tür neben dem Tiertürchen sagten beide Frauen »Herein.« »Hi.« Susan trat schnell ein, denn der Regen war stärker geworden. »Habt ihr schon mal so was ...?«
»Nein«, sagten sie wieder wie aus einem Munde.
»Seid ihr ein Duett, ihr zwei?« Lachend schüttelte Susan die Regentropfen aus ihren kastanienbraunen Haaren. Sie hatte eine Pagenfrisur.
»Hogendobber und Haristeen. Klingt gut. Wie wär's mit H. und H.?« Harry lachte.
»Hört sich an wie Süßigkeiten.« Susan schnupperte den feuchten Duft.
»Aus Wien.« Miranda schenkte ihr eine Tasse ein.
»Sie sind unsere Expertin, Miranda. Als Nächstes eröffnen Sie noch eins von diesen überkandidelten Cafes, wo eine Tasse drei Dollar kostet.«
»Er ist unverschämt teuer, aber guter Kaffee ist nun mal was Besonderes, und ganz besonders die erste Tasse.« Ein lauteres Donnern ließ aller Augen sich gen Himmel heben. Miranda senkte den Blick als Erste wieder. »O Tucker, du armes Schätzchen, ist ja gut.« Sie kniete sich hin, um den zitternden Corgi zu streicheln.
Pewter, die ganz unten im Postkarren war, sagte mit hellem Stimmchen: »Ich mag den Krach auch nicht.«
Harry ging zu der rundlichen grauen Katze, um sie zu liebkosen.
»Angsthasen«, kritisierte Mrs. Murphy die zwei kurz und bündig.
»Gemeine Zicke«, gab Pewter prompt zurück.
»Ich bin froh, dass ich nicht verstehe, was sie sagen.« Harry lachte. »Hey, wir waren gestern Abend mit Jack und Joyce Ragland auf Waschbärjagd. Sind klatschnass geworden. Wir waren jagen, bis der Sturm richtig wütete, aber es war trotzdem eine tolle Nacht. Die Stimmen der Ragland-Jagdhunde sind irre. Man kriegt 'ne Gänsehaut davon. Ich war erst heute Morgen zu Hause.«
»Sie haben doch keinen geschossen, oder?« Der Gedanke, Tiere zu schießen, war Miranda zuwider.
»Nein.«
»Während du auf Waschbärjagd warst, hab ich mit meinen zwei Engeln ihre Großeltern besucht. Danny« - Susan sprach von ihrem Sohn - »wollte den neuen Audi Sportwagen sehn, den Mama sich gekauft hat. Er hat ihr gesagt, sie sieht wie ein Teenager aus in ihrem TT. Ich glaube, so heißt er. Jedenfalls sieht er fabelhaft aus und fährt sich fantastisch. Meine Mutter, einundsiebzig Jahre alt, fährt einen Hightech-Sportwagen. Find ich super! Was haben Sie gemacht, Miranda?«
»Vorhänge genäht für Tracys Wohnung. Er hat meine Waschmaschine repariert. Romantisch. Ja, das war's wirklich. Wir hatten das ganze Wochenende beim Hartriegelfest mitgemacht. Da tat es gut, daheim zu sein und sich häuslich zu betätigen. Mädels, Sie müssen sich seine Wohnung mal ansehen, direkt über der alten Apotheke. Er hat die ganze Etage für dreihundertfünfzig im Monat. Es muss viel dran gemacht werden, aber Eddie Griswald konnte sich nicht davon trennen. Jeder in Crozet will ein eigenes Haus besitzen. Tracy ist erst mal heilfroh.«
»Ich kann anstreichen«, erbot sich Harry.
»Das wird ihn freuen.«
»Oh, das hab ich noch gar nicht erzählt. Guckt mal, was ich gestern Nacht gefunden habe.« Harry ging zu ihrer Tasche, einer alten dänischen Schulmappe, die stellenweise durchgescheuert war. Sie kramte am Boden der Tasche herum und holte den Mercedesstern heraus.
Susan nahm ihn ihr ab. »Die waren in den Achtzigern und frühen Neunzigern der Hit, erinnerst du dich? Stadtkinder haben sie abgerissen und getragen.«
»Das war vor meiner Zeit«, scherzte Harry.
»Ach hööör doch auf.« Susans Augenbrauen schnellten in die Höhe, während sie das Wort in die Länge zog. »Wo hast du ihn gefunden?«
»In der Nähe vom Durant Creek, wo wir jagen waren.«
»Den hatte doch der Junge um den Hals hängen.« Miranda griff sich ihr erstes und einziges Orangen- Zimtteilchen, ein Akt der Kasteiung. Im Vorjahr hätte sie um diese Zeit schon drei verzehrt gehabt, aber sie hatte den Genuss von Süßem drastisch reduziert und im vergangenen Jahr über dreißig Pfund abgenommen. Sie würde in ihre Kleider aus der Highschoolzeit gepasst haben, wenn sie sie aufgehoben hätte.
»Vielleicht ist es nicht seiner«, meinte Susan. »Andererseits, wie viele herrenlose Mercedessterne gibt's hier schon?«
»Gleich kommt wieder einer«, warnte Mrs. Murphy Tucker und Pewter, als ein heller Blitzstrahl ein gewaltiges Grollen ankündigte.
»So«, Susan hob fröhlich die Stimme, »und wann siehst du Diego wieder?«
»Äh - ich weiß nicht. Wenn nicht nächstes Wochenende, dann vielleicht übernächstes. Ich mag ihn.«
»Nicht zu übersehen.« Susan lächelte. »Und er mag dich.«
»Scheint so.«
»Welcher Mann würde Sie nicht mögen?« Für Miranda war Harry in mancher Hinsicht wie eine Tochter.
»Das haben Sie nett gesagt.« Harry war rot geworden.
»War Fair bei der Waschbärjagd?« Susans Neugierde sprudelte über.
»Ja.«
»Und?«
»Ziemlich genau, was man erwartet hätte«, sagte Harry. Sie warf ein Päckchen auf den Abschnitt A-B des Paketregals.
Miranda und Susan wechselten einen Blick, dann sahen sie wieder zu Harry.
»Eifersüchtig.« Mrs. Murphy sprach aus, was offensichtlich war; gewöhnlich tat sie das nicht, aber unter Menschen war es oft notwendig.
Little Mim hielt vor dem Postamt. Es goss in Strömen. Sie blieb in ihrem 83000 Dollar teuren Mercedes sitzen und wartete, dass der Regen nachließ, aber er hörte nicht auf. Es regnete nur noch heftiger.
Murphy mit ihren scharfen Augen bemerkte, dass der Stern an Little Mims Luxuswagen fehlte.»Ah-ha.«
»Wieso ah-ha?«, murrte Pewter am Boden des Postkarrens.
»AnLittle Mims mattsilbernem Mercedes fehlt der Stern.«
»Echt?« Pewter kletterte aus dem Postkarren, worauf dieser ein Stückchen in die Gegenrichtung rollte. Sie sprang neben Murphy auf die Trennklappe.»Tatsächlich.«
Als die Menschen bemerkten, dass die Katzen zu Little Mim hinausstarrten, sahen auch sie hin.
»Meine Güte, an ihrem Auto fehlt der Stern!« Miranda fiel es zuerst auf.
»Wahrhaftig.« Susan kicherte.
»Junge, Junge, Wesley Partlow wird bestimmt gevierteilt.«
Harry seufzte. »Ich werde ihr den Stern am besten geben, wenn sie reinkommt.«
»Was wolltest du auch sonst damit anfangen?«, fragte Susan.
»Auf einen Holzsockel montieren und ins Bücherregal stellen. Näher werde ich einem Mercedes wohl niemals kommen.« Harry nahm einen Schirm aus dem Ständer am Vordereingang. »Ich geh raus und hol sie rein. Also der Junge, der muss dämlich sein wie Rotze.«
»Harry, wie vulgär.«
»Verzeihung, Miranda.« Sie öffnete die Tür einen Spalt.
»Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.«
Wahrere Worte wurden nie gesprochen.
19
»Schneiden Sie ihn ab«, wies Rick Shaw einen von seinen Männern an.
Die Fotos waren aufgenommen, der Leichnam eingestäubt worden, um Fingerabdrücke nehmen zu können, der Boden unter dem Toten untersucht.
Zwei Jugendliche, die das holperige Stück Land hinter Crozet Elder Care, einem Heim für alte Menschen, überquerten, hatten Wesley Partlow an einer Eiche baumelnd gefunden. Die Zunge hing ihm auf die Brust, sein Gesicht war purpur bis schwärzlich, die Augen quollen hervor, und Füße und Hände waren geschwollen von der sich ansammelnden Flüssigkeit. Die Unwetter waren seinem Aussehen nicht eben förderlich gewesen, hatten aber vermutlich seine Augen vor den Vögeln geschützt.