Frühgetreide, dessen winzige Schößlinge eben durch die Furchen brachen, überzog die roten Lehmfelder mit einem grünen Schimmer. Auf anderen Feldern wogte das Gras schon über Tuckers Kopf. Sie schob sich durch ein Feld mit einer Mischung aus Roggen und Timotheusgras. Tucker konnte alle Grassorten am Geruch unterscheiden. Sie kam zu einer viel befahrenen Farmstraße und dachte sich, sie könnte mal zum alten Mawyer-Hof gehen. Booty Mawyer, siebenundsiebzig Jahre alt, bestellte seine dreihundert Morgen fast noch genau so, wie er es immer getan hatte. Pfiffig wie er war, steckte er kein Geld in große Anschaffungen wie Traktoren, Düngerstreuer, Heupresse und dergleichen. Er hielt vier belgische Ackergäule und ließ sie jeweils als Zweiergespann arbeiten. Die Kosten für Fütterung und Beschlagen der Pferde waren viel niedriger als die Ratenzahlungen für einen Traktor. Und Booty bekam alles geschafft. Sein Enkel Don Clatterbuck half ihm abends aus, und während der Heuernte arbeitete Don ganztägig bei ihm.
Tucker konnte den alten Mann und seine Pferde aus der Ferne hören. Ein Hauch von Perlgrasduft durchzog den leichten Südwind. Tucker blieb stehen und schnupperte. Wind von Süden bedeutete meistens Feuchtigkeit, und zwar jede Menge, aber der Tag war unheimlich klar. Dennoch verließ Tucker sich auf ihren Hundesinn. Sie hielt es für das Beste, zur Mittagszeit wieder im Postamt zu sein.
Fest entschlossen, auf alle Fälle jemanden zu besuchen, lief sie eilends die Straße entlang und gelangte als Erstes zu den alten Tabakräucherschuppen. Wie so viele Farmer in Mittelvirginia, hatte Booty Mawyer einst mit seinen Tabakquotenzuteilungen einen guten Profit erzielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Geschäft abgeflaut, die Lohnkosten waren in die Höhe geschnellt, und viele Farmer ließen ihre Quotenzuteilungen ungenutzt. Aber die Einrichtungen des blühenden Tabakhandels waren noch vorhanden - Räucherschuppen, Lagerschuppen und in der Stadt das alte Auktionshaus.
Füchse hegten eine besondere Vorliebe für Räucherschuppen. Weswegen, konnte Tucker sich nicht erklären, ihr leuchtete jedoch ein, dass es immer von Vorteil war, unter einem hübschen Gebäude einen Bau zu haben. Es waren eine Menge solide Nebengebäude vorhanden, doch die Tabakräucherschuppen übten eine Faszination auf den Rotfuchs aus. Tucker hatte nichts gegen Füchse. Mrs. Murphy hasste sie und fauchte schon, wenn nur der Name eines Fuchses fiel. Von Zeit zu Zeit schloss die Katze einen Waffenstillstand, aber der eigentliche Grund, weshalb Murphy Füchse verabscheute, war der, dass sie dieselbe Beute jagten.
Die Monarchfalter flatterten zusammen mit Tuckers Gedanken in die Höhe, als sie zu dem Schuppen gelangte. Sie ging um die Seite des Gebäudes herum und blieb stehen. Direkt vor ihr stand der 1987er GMC-Transporter, die ausgebleichte Jacke der Cowboys-Footballmannschaft war über den Sitz geworfen.
26
Tucker sauste dermaßen stürmisch durch das Tiertürchen ins Postamt, dass ihre Füße seitwärts wegrutschten und sie schlitternd umkippte. Ein Zusammenstoß mit dem Postkarren beendete ihren unüblichen Bewegungsablauf.
Während sie sich hochrappelte, rief sie:»Ich hab ihn gefunden! Ich hab den Transporter gefunden.«
Mrs. Murphy, die dem schlitternden Hund belustigt zugesehen hatte, sprang vom Tisch.»Wo?«
»Bei Booty Mawyer.«
»Was?« Die Katze traute ihren Ohren nicht.
Pewter, wieder mal aus dem Schlaf gerissen, schüttelte sich und steckte den Kopf aus dem Postkarren, in dem sie geschlafen hatte. »Tucker, wovon redest du? Du hast mich aufgeweckt.«
»Ich sage dir, der GMC-Transporter steht vor dem alten Tabakräucherschuppen auf Booty Mawyers Grundstück.«
»Woher weißt du, dass es der richtige Transporter ist?«, fragte Pewter skeptisch.
»DieCowboys-Jacke liegt über dem Sitz. Wie Sean gesagt hat. Erinnerst du dich?« Die klugen Hundeaugen glänzten.
»Dashat er gesagt, oder?« Die graue Katze zog sich mit den Vorderpfoten aus dem Postkarren.
»Was ist denn hier für ein Tumult?« Harry lächelte auf ihre Freundinnen hinunter.
»O Mom, ich wünschte, du könntest mich verstehn.« Der
Corgi ließ die Ohren kurz sinken und stellte sie dann wieder auf.
Harry gab Tucker einen Hundeknochen. Der Gerechtigkeit halber bekamen die Katzen ein paar Happen Haute-Feline-Katzenfutter, dann machte sie sich wieder daran, die Kartonregale umzuräumen.
»Ich finde, wir sollten der Sache auf den Grund gehn. Hört sich gar nicht gut an.« Mrs. Murphy bürstete ihre Schnurrhaare mit den Pfoten. »Weißt du, Tucker, Rick Shaw und Coop hätten den Transporter ohne weiteres bei Booty Mawyer ausfindig machen können. Allein schon anhand der Nummernschilder, und wenn Sean die Nummer nicht wusste, hätten sie bloß in den Computern des Verkehrsamts nach 1987er GMC-Transportern in Albemarle County suchen müssen. Also stimmt da was nicht.«
»Das ist es ja, Murphy, es gibt keine Nummernschilder. Wo die Schilder sein sollten, ist >Farmwagen< draufgepinselt. Der Transporter ist längst abgemeldet.«
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?« Die Katze war schon auf dem Weg zur Tür.
»Duhast mir ja keine Zeit gelassen. Und weißt du, Murphy, Autos mit der Aufschrift >Farmwagen< sind nicht befugt, auf der Straße zu fahren. Wer wollte sich schon an diesen alten Karren erinnern?« »Tucker, tut mir Leid. Komm jetzt.« Sie verschwand durch die Tür, ihr Schwanz witschte als Letztes hinaus.
Während Tucker der geschmeidigen Tigerkatze nacheilte, jammerte Pewter:»Ich rieche Regen. Ich werde nass. «
»Dann bleib hier, Fettsack.« Der Corgi konnte sich einen Abschiedshieb nicht verkneifen.
»Verlasst mich nicht! Ich möchte nichts verpassen.« Die graue Katze grummelte vor sich hin:»Ich weiß, ich werde es bereuen.«
»Was haben sie bloß?« Harry kratzte sich am Kopf, als Pewters graues Hinterteil durch die Tür verschwand.
»Da muss irgendwo eine Party im Gang sein.« Miranda lachte. »Kommen Sie, ich halte das Päckchen, sonst kippen Sie noch das Regal um.«
Die drei Tiere flitzten über den Rasen. Tucker hielt fremde Hunde in Schach, indem sie erklärte, sie wollten nur quer durch und seien gleich raus aus ihrem Revier. Der Corgi kündigte den fremden Hunden außerdem an, sie würden vermutlich auf demselben Weg zurückkommen, und sie bedaure, sie zu stören, aber es gehe um eine wichtige Angelegenheit.
Die anderen Haustiere verhielten sich vernünftig, abgesehen von einem australischen Schäferhund, der dermaßen ausfallend wurde, dass Tucker den Katzen riet, vorauszulaufen. Sie näherte sich dem mittelgroßen Hund, der angesichts der Entschlossenheit der Corgidame und ihrer entblößten Reißzähne zu dem Schluss kam, dass der Durchgang über seinen Rasen kein so großes Vergehen sei.
Auf dem Roggenfeld holte Tucker die Katzen ein.
»Dem hast du bestimmt das Maul gestopft.« Murphy streifte die schlanken Roggenhalme.
»Fürs Erste.«
»Wie weit noch?« Pewter nieste, weil Pollen in ihrer Nase kitzelten.
»Ich hab dir doch gesagt, bleib im Postamt«, schalt Tucker sie.