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Doch der Hauptcomputer des Raumschiffs Basilika würde daran denken. Und er schmiedete bereits Pläne, wie er all seine Aufgaben erfüllen sollte.

ERSTER TEIL

Falls ich erwachen sollte, bevor ich sterbe

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Streit mit Gott

Vusadka: der Ort, an dem Menschen zum erstenmal einen Fuß auf den Planeten Harmonie setzten, nachdem ihre Raumschiffe sie hierher gebracht hatten. Die Schiffe landeten dort; die ersten Kolonisten gingen von Bord und pflanzten Getreide im üppigen Boden südlich der Landefläche an. Schließlich verließen alle Kolonisten die Schiffe und zogen weiter; die Schiffe blieben zurück.

Sich selbst überlassen, wären die Schiffe schließlich verrostet, verrottet, verwittert. Doch die Menschen, die zu diesem Planeten kamen, hatten einen Blick für die Zukunft. Eines Tages werden unsere Nachkommen diese Schiffe vielleicht benötigen, sagten sie. Also umschlossen sie die Landestelle mit einem Stasisfeld. Kein vom Wind getriebener Staub, kein Regen oder andere Niederschläge, kein direktes Sonnenlicht oder ultraviolette Strahlung konnte diese Schiffe beeinträchtigen. Sauerstoff, das korrosivste aller Gifte, wurde aus der Atmosphäre innerhalb der Kuppel entfernt. Der Hauptcomputer des Planeten Harmonie — von den Nachkommen dieser ersten Kolonisten »Überseele« genannt — hielt alle Menschen von der großen Insel fern, auf der die Schiffe abgestellt waren. Innerhalb dieser schützenden Blase warteten die Raumschiffe vierzig Millionen Jahre lang.

Doch nun war die Blase verschwunden. Die Luft war atembar. Auf dem Landefeld erklangen wieder Stimmen menschlicher Wesen. Und nicht nur die der ernsten Erwachsenen, die dieses Gelände zuerst betreten hatten — viele derjenigen, die von einem Schiff zum anderen oder von einem Gebäude zum anderen eilten, waren Kinder. Sie alle arbeiteten hart und bauten aus den Schiffen funktionsfähige Teile aus, um eins davon in ein funktionierendes Raumschiff zu verwandeln. Und wenn das Schiff, das sie Basilika nannten, bereit war, voll ausgerüstet und beladen, würden sie zum letztenmal hineinsteigen und diese Welt verlassen, auf der über eine Million Generationen ihrer Vorfahren gelebt hatten, um zur Erde zurückzukehren, dem Planeten, auf dem die menschliche Zivilisation entstanden war — aber nicht einmal zehntausend Jahre überdauert hatte.

Was ist die Erde für uns? fragte Huschidh sich, als sie die Kinder und Erwachsenen bei der Arbeit beobachtete. Warum nehmen wir solche Mühen auf uns, um dorthin zurückzukehren, obwohl Harmonie unsere Heimat ist? Die Bande, die wir vielleicht einmal mit dieser Welt gehabt haben, sind in all den dazwischenliegenden Jahren doch gewiß durchtrennt worden.

Und dennoch würden sie aufbrechen, weil die Überseele sie dazu auserwählt hatte. Weil sie all ihre Leben beeinflußt und manipuliert hatte, um sie zu dieser Zeit an diesem Ort zusammenzubringen. Oftmals war Huschidh froh, daß die Überseele sie mit solcher Aufmerksamkeit bedacht hatte, während sie es zu anderen Gelegenheiten verabscheute. Denn Huschidh war nie in Ruhe gelassen worden und hatte nie die Gelegenheit bekommen, selbst zu bestimmen, welchen Verlauf ihr Leben nehmen sollte.

Doch wenn wir keine Verbindungen zur Erde haben, haben wir zu Harmonie kaum eine stärkere, ging es ihr durch den Kopf. Und von allen Menschen hier erkannte sie allein, daß diese Beobachtung nicht nur bildlich, sondern wortwörtlich zutraf. Sämtliche Menschen hier waren auserwählt worden, weil sie für die geistigen Mitteilungen der Überseele besonders empfänglich waren. Bei Huschidh nahm diese Empfänglichkeit sogar eine seltsame Form an. Sie konnte Personen ansehen und erkannte sofort die Stärke der Beziehungen, die sie mit allen anderen Menschen in ihrem Leben verband. Für Huschidh war es wie eine Vision in wachem Zustand: Sie sah die Beziehungen wie Lichtschnüre, die eine Person an andere fesselte.

Zum Beispiel Luet, ihre jüngere Schwester, die einzige Blutsverwandte, die Huschidh während der Jahre ihres Heranwachsens gekannt hatte. Als Huschidh sich im Schatten ausruhte, ging Luet vorbei, ihre Tochter Chveja direkt hinter ihr, um denen das Mittagessen zu bringen, die im Raumschiff an den Computern arbeiteten. Stets hatte Huschidh ihre Verbindung mit Lutja als die eine große Sicherheit in ihrem Leben betrachtet. Sie waren aufgewachsen, ohne zu wissen, wer ihre Eltern waren, praktisch als Fürsorgefälle in Rasas großer Schule in der Stadt Basilika. Doch alle Ängste, alle Geringschätzungen, alle Ungewißheiten waren zu ertragen, weil es Lutja gab, die mit Huschidh durch Stricke verbunden war, die nicht deshalb schwächer waren, weil sie außer Huschidh niemand sehen konnte.

Es gab natürlich auch andere Verbindungen. Huschidh erinnerte sich gut daran, wie schmerzlich es gewesen war, das Band zu beobachten, das sich zwischen Luet und ihrem Gatten Nafai entwickelte, einem lästigen jungen Mann, der manchmal mehr Begeisterung als Verstand an den Tag legte. Zu ihrem Erstaunen schwächte Lutjas neue Verbindung mit ihrem Gatten das Band mit Huschidh aber nicht; und als Huschidh ihrerseits Nafais Vollbruder Issib heiratete, wurde das Band zwischen ihr und Luet noch stärker, als es in ihrer Kindheit gewesen war — was Huschidh nie für möglich gehalten hätte.

Als Luet und Chveja nun an ihr vorbeigingen, sah Huschidh sie also nicht nur als Mutter und Tochter, sondern auch als zwei Lichtwesen, die durch ein dickes, leuchtendes Seil miteinander verbunden waren. Es gab keine stärkere Verbindung als diese. Chveja liebte auch ihren Vater Nafai; aber die Verbindung zwischen Kindern und ihren Vätern war stets zögerlicher. Es lag in der Natur der menschlichen Familie: Wenn es um Fürsorglichkeit, Trost, die sichere Grundlage ihres Lebens ging, wandten Kinder sich stets an ihre Mutter. Von den Vätern hingegen erwarteten sie ein Urteil, hofften auf Anerkennung, fürchteten Mißbilligung. Dies bedeutete, daß die Väter im Leben ihrer Kinder eine ebenso bedeutsame Stellung einnahmen. Doch ganz gleich, wie liebevoll und fürsorglich der Vater war — in dieser Beziehung lag fast immer ein Element der Furcht, denn der Vater wurde zum Brennpunkt aller Versagensängste des Kindes. Natürlich gab es hier und da Ausnahmen. Doch Huschidh hatte die Erfahrung gemacht, daß in den meisten Fällen die Verbindung mit der Mutter die stärkste und hellste war.

Bei ihren Gedanken über die Mutter-Tochter-Beziehung hätte Huschidh beinahe übersehen, worauf es wirklich ankam. Erst als Luet und Chveja das Raumschiff betreten hatten und außer Sicht waren, begriff Huschidh, was beinahe völlig gefehlt hatte: Lutjas Bande mit ihr.

Aber das war unmöglich. Nach all diesen Jahren? Und warum sollte die Verbindung jetzt schwächer sein? Sie hatten keinen Streit gehabt. Soweit Huschidh wußte, standen sie sich so nah wie eh und je. Waren sie während all der langen Kämpfe zwischen Luets Gatten und dessen böswilligen älteren Brüdern nicht stets Verbündete gewesen? Was hatte sich geändert?

Huschidh folgte Luet ins Schiff und entdeckte sie auf der Kommandobrücke, auf der Issib, Huschidhs Gatte, sich mit Luets Gatten Nafai über die computerisierten Lebenserhaltungssysteme besprach. Computer hatten Huschidh nie interessiert — ihre Aufmerksamkeit galt der Wirklichkeit, Menschen aus Fleisch und Blut, keinen künstlichen Gebilden, die als Nullen und Einsen bestanden. Manchmal war sie der Ansicht, daß Männer sich gerade ihrer Unwirklichkeit wegen dermaßen für Computer begeistern konnten. Im Gegensatz zu Frauen und Kindern konnte man Computer völlig beherrschen. Daher verspürte Huschidh eine geheime Freude, wenn sie beobachtete, daß Issja oder Njef sich über irgendein absichtlich stures Programm ärgerten, bis sie schließlich den Programmierungsfehler fanden. Sie argwöhnte zudem, daß Issja im tiefsten Innern glaubte, daß ein Fehler in der Programmierung des Kindes vorläge, wenn eins ihrer Kinder absichtlich eigensinnig war. Huschidh wußte jedoch, daß es sich um keinen Fehler handelte, sondern um eine Seele, die sich selbst finden wollte. Wann immer sie versuchte, Issja dies zu erklären, bewölkte dessen Blick sich, und er floh so schnell wie möglich zurück zu seinen Computern.