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Eine saftige Lehre

Ein paar Tage lang hatte es ununterbrochen geregnet. Da war auch der kleinen Hexe nichts anderes übriggeblieben, als brav in der Stube zu hocken und gähnend auf besseres Wetter zu warten. Zum Zeitvertreib hatte sie hin und wieder ein wenig herumgehext, hatte das Nudelholz mit dem Schürhaken auf der Herdplatte Walzer tanzen, die Kehrschaufel Purzelbaum schießen, das Butterfaß kopfstehen lassen. Aber das alles war nicht das Rechte gewesen, es machte ihr bald keinen Spaß mehr.

Als draußen endlich wieder die Sonne schien, hielt es die kleine Hexe nicht länger im Hexenhaus. „Auf!" rief sie unternehmungslustig, „nichts wie zum Schornstein hinaus! Ich muß nachsehen, ob es nicht irgendwo etwas zu hexen gibt!"

„Ja, etwas Gutes vor allem!" mahnte Abraxas.

Gemeinsam ritten sie über den Wald und hinaus auf die Wiesen. Dort standen noch überall Wasserpfützen. Die Feldwege waren verschlammt, und die Bauersleute wateten bis zu den Knöcheln im Dreck.

Auch die Landstraße hatte der Regen aufgeweicht. Eben kam von der Stadt her ein Fuhrwerk gefahren. Es war mit zwei Pferden bespannt und beladen mit

Bierfässern. Auf der schlechten Straße kam es nur langsam vom Fleck. Den Pferden tropfte der Schaum von den Mäulem. Sie mühten sich redlich ab mit dem schweren Wagen. Dem Bierkutscher aber, der breitspurig auf dem Bock saß, ging es nicht schnell genug. „Hü!" schrie er, „wollt ihr wohl ziehen, ihr Biester!" Und er schlug mit der Peitsche erbarmungslos auf die Pferde ein — immer wieder und wieder.

„Das ist ja zum Dreinhaken!" krächzte Abraxas empört. „Dieser Grobian! Drischt auf die Pferde los wie ein Prügelmeister! Kann man das ruhig mit an- sehen?"

„Tröste dich", sagte die kleine Hexe, „er wird es sich abgewöhnen."

Sie folgten dem Fuhrwerk, bis es im nächsten Dorf vor der Wirtschaft „Zum Löwenbräu" anhielt. Der Bierkutscher lud ein paar Fässer ab. Er rollte sie über den Hof in den Keller und ging dann zum Wirt in die Gaststube, wo er sich etwas zu essen bestellte. Die dampfenden Pferde ließ er angeschirrt vor dem Wagen stehen. Nicht einmal eine Handvoll Heu oder Hafer bekamen sie.

Die kleine Hexe wartete hinter dem Schuppen ab, bis der Kutscher im Gasthaus verschwunden war. Dann huschte sie rasch zu den beiden Gäulen und fragte sie in der Pferdesprache:

„Treibt er es immer so arg mit euch?" |

„Immer", gestanden die Pferde. „Aber du müßtest ihn erst einmal sehen, wenn er betrunken ist oder H in Wut kommt. Dann drischt er sogar mit dem

Peitschenstiel auf uns los. Sieh dir die Striemen auf unserer Haut an, dann weißt du Bescheid."

„Der Bursche verdient einen Denkzettel!" sagte die kleine Hexe. „Es ist eine Schande, wie er euch zurichtet! — Wollt ihr mir helfen, wenn ich's ihm heimzahle?’’

„Gut — was verlangst du von uns?"

„Daß ihr euch nicht von der Stelle rührt, wenn er aufsteigt und abfahren will. Keinen Hufbreit!"

„Oh, das ist viel verlangt!" wandten die Pferde ein. „Du wirst sehen, er prügelt uns grün und blau dafür!"

„Ich verspreche euch", sagte die kleine Hexe, „daß euch kein Leid geschieht."

Sie trat an den Wagen und griff nach der Peitsche. Dann knüpfte sie einen Knoten ins untere Ende der Peitschenschnur. Das war alles. Nun konnte sie seelenruhig hinter den Schuppen zurückkehren, konnte sich dort auf die Lauer legen und abwarten, wie es dem Kutscher ergehen würde.

Der Bierkutscher trat eine Weile danach aus dem Wirtshaus. Er hatte gegessen, er hatte getrunken. Laut und vergnügt vor sich hinpfeifend kam er herangeschlendert. Er stieg auf den Kutschbock, ergriff mit der Linken die Zügel und langte sich mit der Rechten nach alter Gewohnheit die Peitsche her.

„Hü!" rief er, schnalzte mit der Zunge und wollte davonfahren.

Als nun die Pferde nicht anzogen, wurde er ärgerlich. „Wartet, ihr faulen Böcke, euch helfe ich!" schimpfte er los — und schon holte er weit mit der Peitsche aus.

Aber der Hieb ging daneben! Die Peitschenschnur schwippte zurück, und der Schlag traf nicht etwa die Pferde: er klatschte dem Kutscher selbst um die Ohren!

„Verdammt noch mal!" fluchte der, holte erneut mit der Peitsche aus und schlug abermals zu — doch auch diesmal erging es ihm keineswegs besser.

Jetzt packte den Kutscher die blinde Wut. Er sprang auf. Wie ein Rasender schwang er die Peitsche und drosch auf die Pferde ein. Aber jedesmal trafen die Hiebe ihn selbst. Sie trafen ihn auf den Hals, ins Gesicht, auf die Finger, die Arme, den Leib und das Hinterteil.

„Donner und Doria!" brüllte er schließlich, „so geht das nicht!" Er erwischte die Peitsche am oberen Ende und hieb voller Zorn mit dem Stiel zu.

Das tat er nur einmal.

Der Peitschenstiel traf ihn so hart an die Nase, daß ihm das Blut aus den Nasenlöchern hervorschoß. Der Bierkutscher stieß einen lauten Schrei aus. Die Peitsche entfiel seinen Händen, es wurde ihm schwarz vor den Augen, er mußte sich festhalten.

Als er nach einiger Zeit wieder halbwegs zu sich kam, stand neben dem Fuhrwerk die kleine Hexe. Sie drohte ihm: „Wenn du noch einmal die Peitsche nimmst, geht es dir wieder so! Schreib dir das hinter die Ohren! Jetzt kannst du von mir aus davonfahren. Hü!"

Auf ihr Zeichen hin zogen die Pferde gehorsam an. Das Sattelpferd wieherte: „Danke schön!" und das Handpferd warf freudeschnaubend den Kopf hoch.

Der Bierkutscher saß auf dem Bock wie ein Häuflein Unglück. Er schwor sich bei seiner geschwollenen Nase: „Ich werde mein Leben lang keine Peitsche mehr anrühren!"

Freitagsgäste

Der Freitag ist für die Hexen das, was für andere Leute der Sonntag ist. Wie diese am Sonntag nicht arbeiten dürfen, so dürfen die Hexen am Freitag nicht hexen. Wenn sie es dennoch tun und dabei erwischt werden, müssen sie Strafe zahlen.

Die kleine Hexe hielt sich besonders gewissenhaft an die Freitagsruhe. Sie wollte auf keinen Fall in Versuchung kommen. Am Donnerstagabend schloß sie den Besen weg und sperrte das Hexenbuch in den Tischkasten. Sicher ist sicher.

Den Freitagmorgen verschlief sie gewöhnlich. Sie konnte ja mit dem Vormittag ohnehin nicht viel

anfangen, wenn sie nicht hexen durfte. Nach Tisch ging sie meist eine Weile spazieren, oder sie setzte sich hinter den Backofen in den Schatten und faulenzte. „Wenn es nach mir ginge", raunzte sie manchmal, „dann brauchte nur alle sechs Wochen ein Freitag zu sein. Das würde mir auch genügen!"

Es war eines Freitags im Spätsommer. Wiederum hockte die kleine Hexe hinter dem Backofen und langweilte sich. Viel lieber hätte sie hexen wollen. An keinem anderen Tag der Woche verspürte sie solche Lust dazu.

Auf einmal hörte sie Schritte. Dann klopfte es an die Haustür. „Ja, ja", rief die kleine Hexe, „ich komme schon!"

Sie sprang neugierig auf und lief nachschauen, wer da geklopft habe.

Vor dem Hexenhaus standen zwei Kinder, ein Bub und ein Mädchen. Die hielten sich bei den Händen gefaßt, und als sie die kleine Hexe herankommen sahen, sagten sie: „Guten Tag!"

„Guten Tag!" rief die kleine Hexe. „Was wollt ihr?"

„Wir wollten dich nach dem Weg in die Stadt fragen", sagte der Junge. „Wir haben uns nämlich verlaufen."

„Beim Pilzesuchen", ergänzte das Mädchen.

„So, so", wiederholte die kleine Hexe, „beim Pilzesuchen."

Sie ging mit den Kindern ins Hexenhaus. Dort setzte sie ihnen Kaffee vor, und jedes bekam dazu ein Stück Freitagskuchen. Dann fragte die kleine Hexe nach ihren Namen.

Der Junge hieß Thomas, das Mädchen hieß Vroni. Sie waren Geschwister, wie sich heraus stellte. Ihren Eltern gehörte der Gasthof „Zum doppelten Ochsen", das stattliche Wirtshaus schräg gegenüber vom Marktbrunnen.