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„Kenne ich", sagte die kleine Hexe.

„Und du?" fragte Thomas über den Rand seiner Tasse weg, „wer bist du?"

Sie kicherte. „Rate mal..."

„Woher soll ich das wissen? Du mußt es schon selber sagen."

„Ich bin eine Hexe, und dies ist mein Hexenhaus."

„Ui!" rief das Mädchen erschrocken, „du bist — eine richtige Hexe, die hexen kann?"

„Keine Angst!" warf der Rabe beruhigend ein. „Sie ist eine gute Hexe, sie tut euch nichts."

„Nein, gewiß nicht", sagte die kleine Hexe und schenkte den beiden Kaffee nach. Dann fragte sie: „Soll ich euch etwas vorhexen?"

„Halt!" rief Abraxas dazwischen. „Du hast wohl vergessen, daß heute Freitag ist? Untersteh dich!"

Die kleine Hexe besann sich nicht lange. „Wir werden ganz einfach die Läden schließen, dann merkt's keiner", sagte sie pfiffig.

Sie klappte an allen Fenstern die Läden zu und verriegelte sie. Nun begann sie zu hexen. Sie hexte

ein Meerschweinchen auf den Küchentisch, einen Hamster und eine Schildkröte. Hamster und Meerschweinchen stellten sich auf die Hinterpfoten und tanzten. Die Schildkröte wollte nicht.

„Los!" rief die kleine Hexe, „du auch!"

Da mußte die Schildkröte wohl oder übel mittanzen.

„Fein!" sagten Thomas und Vroni. „Du kannst das aber!"

„Es war erst der Anfang", meinte die kleine Hexe, ließ Meerschweinchen, Hamster und Schildkröte wieder verschwinden und hexte weiter. Sie hexte noch viele lustige Dinge. Den Ofen ließ sie ein Lied singen, in die Kaffeekanne hexte sie Blumen, hoch auf dem Wandbord spielten die hölzernen Quirle und Kochlöffel Kasperltheater. Die Kinder konnten sich gar nicht sattsehen. „Noch etwas!" baten sie immer wieder.

So hexte die kleine Hexe zwei Stunden lang eins nach dem anderen. Dann aber sagte sie: „So, jetzt ist Schluß! Ihr müßt heimgehen!"

„Jetzt schon?"

„Ja, es ist höchste Zeit, denn ihr wollt doch noch vor der Dunkelheit wieder zu Hause sein — oder?"

Nun merkten die Kinder erst, daß es schon spät war. Sie griffen nach ihren Pilzkörbchen.

„Oh!" sagte Thomas und stutzte. „Wir hatten doch nur ein paar Pfifferlinge gefunden — und jetzt sind die Körbe voll Steinpilze!"

„Was es nicht alles gibt!" rief die kleine Hexe und tat verwundert.

Sie brachte die Kinder noch rasch auf den Weg.

„Vielen Dank!" sagte Vroni beim Abschied. „Wie wäre es übrigens, wenn du uns auch mal besuchen würdest? Wir führen dich dann durch den ganzen Gasthof. Wir zeigen dir Küche und Keller, den Stall und den Ochsen Korbinian."

„Wer ist das wieder?" fragte Abraxas.

„Das ist unser Liebling!" rief Thomas. „Auf dem kann man reiten! — Ihr kommt doch?"

„Wir kommen", sagte die kleine Hexe. „Wann paßt es euch?"

„Sonntag in vierzehn Tagen", schlug Thomas vor. „Da ist Schützenfest! Treffen wir uns auf der Festwiese!"

„Abgemacht", sagte die kleine Hexe, „dann kommen wir Sonntag in vierzehn Tagen. Nun lauft aber!"

Thomas und Vroni faßten sich an den Händen und liefen der Stadt zu. Die kleine Hexe ging heimwärts. Sie dachte: So schnell müßte jeder Freitag vergehen!

Als sie zurückkehrte, stand eine pechschwarze Wolke über dem Giebel des Hexenhauses.

„Da hast du es!" krächzte Abraxas. „Die Wetterhexe Rumpumpel hat zugeschaut. Durch den Schornstein wahrscheinlich."

„Es könnte ja", meinte die kleine Hexe verlegen, „auch eine gewöhnliche schwarze Wolke sein. Wenigstens sehe ich keinen Besenstiel..."

Aber insgeheim hatte sie große Sorge. Was nun, wenn es wirklich die Muhme Rumpumpel war? Welch ein Unglück! Sie würde die kleine Hexe sofort bei der Oberhexe verklagen, weil sie am Freitag gehext hatte.

„Warten wir ab, was geschehen wird", sagte sie kleinlaut.

Sie wartete Tag für Tag, eine ganze Woche lang. Es geschah aber gar nichts. Sie wurde nicht vor die Oberhexe gerufen, sie brauchte auch keine Strafe zu zahlen.

Da dachte die kleine Hexe erleichtert: Es ist also doch nicht die Muhme Rumpumpel gewesen!

Das leicht verhexte Schützenfest

Die Glocken klangen, die Böller knallten, die vielen fröhlichen Leute fanden kaum Platz auf der Festwiese vor der Stadt. Die kleine Hexe hielt Ausschau nach Thomas und Vroni. Sie drängte sich durch die Menge, der Rabe Abraxas renkte sich fast den Hals aus.

Wo steckten die beiden?

Die zwei saßen tief bekümmert hinter dem Festzelt. Dort fand sie die kleine Hexe nach langem Suchen.

„Nanu!" rief sie kopfschüttelnd. „Solche Gesichter? Wie kann man am Schützenfestsonntag solche Gesichter machen?"

„Wir schon", sagte Thomas. „Der Vater hat unseren Ochsen als Preis gestiftet."

„Den Ochsen Korbinian?" fragte die kleine Hexe.

„Ja", schluchzte Vroni, „als Preis für den Schützenkönig."

„Und der wird ihn schlachten und braten lassen", versicherte Thomas, „und hinterher werden ihn alle Schützen gemeinsam aufessen."

„Wenn aber niemand den Ochsen gewinnen würde?" meinte die kleine Hexe. „Es könnte ja sein..."

„Das kann nicht sein", entgegnete Thomas. „Ein Schützenfest ohne Schützenkönig — das gibt es nicht."

„Ach, es gibt vieles", sagte die kleine Hexe. Sie hatte sich längst einen Plan gemacht. „Kommt nur mit, es wird alles gut werden!"

Zögernd folgten die beiden der kleinen Hexe zurück auf den Festplatz. Dort rückten gerade die Schützen an. Vorneweg, mit gezogenem Säbel, marschierte der Hauptmann; und hinterher trottete, über und über mit Bändern und bunten Schleifen behängen, der Ochse Korbinian.

„Hoch!" riefen alle Leute und reckten die Hälse. Denn alle wollten beim Königsschießen dabeisein und sehen, wer nun den Ochsen gewinnen würde.

„Abteilung — halt!" kommandierte der Schützenhauptmann. Dann ließ er die Musikanten auf ihren Trompeten Tusch blasen.

„Ruhe! Der Hauptmann hält eine Ansprache!" zischten die Leute.

„Ich habe die große Ehre", sagte der Hauptmann, „Sie alle auf unserem Schützenfest herzlich willkommen zu heißen! Unser besonderer Dank gilt in dieser Stunde dem Herrn Besitzer des Gasthofs ,Zum doppelten Ochsen', der uns als Siegespreis einen lebenden Ochsen gestiftet hat."

„Hoch!" riefen abermals alle Leute. „Hoch lebe der Ochsenwirt! Vivat der edle Spender!"

Dann schwenkte der Schützenhauptmann den Säbel und sagte: „Hiermit erkläre ich unser Schützenfest für eröffnet!"

Am Ende der Festwiese stand eine hohe Stange. Daran war hoch droben ein hölzerner Adler befestigt, den sollten die Schützen herunterschießen.

Der Hauptmann schoß selbstverständlich als erster von allen — und blitzte gewaltig daneben.

„Kann Vorkommen", sagten die Leute.

Beschämt trat der Hauptmann zurück.

Nun war es am Fähnrich, sein Glück zu versuchen. Er zielte und schoß — aber wiederum ging der Schuß daneben.

Die Leute begannen zu schmunzeln. Bald lachten sie. Daß einmal einer am Adler vorbeischoß, das konnte ja Vorkommen. Wenn aber alle Schüsse von allen Schützen danebenklatschten, so war das zum Totlachen. Hatte es so etwas schon gegeben?

„Unglaublich!" brummte der Schützenhauptmann und kaute verlegen an seinem Schnurrbart. Er wäre vor Schande am liebsten in Grund und Boden versunken. Er ahnte ja nicht, daß die kleine Hexe ihm und den anderen Schützen die Schießgewehre verhext hatte.