»Er hält Sie für eine Maus«, sagte Oop. »Er überlegt gerade, ob er sich die Mühe machen soll, Sie zu fressen.«
Sharp gab Sylvester einen Tritt. Sylvester verzog sich knurrend.
»Harlow Sharp«, sagte Carol und trat drohend nach vorn, »wagen Sie das nicht noch einmal. Ich werde Sie sonst …«
»Halten Sie doch den Mund!« schrie Maxwell verzweifelt. »Haltet alle den Mund! Der Drache kämpft da oben um sein Leben, und ihr streitet wie Kinder.«
Sie schwiegen. Einige traten zurück. Maxwell wartete einen Moment lang, dann wandte er sich an die Trolle. »Ich weiß nicht, was vorher hier geschehen ist«, sagte er. »Ich weiß nicht, weshalb ihr Streit mit O’Toole habt. Aber wir brauchen eure Hilfe und wir werden sie bekommen. Ich verspreche euch eine anständige Behandlung, aber ich verspreche euch auch, daß ein paar Dynamitstangen eure Brücke in die Luft jagen werden, wenn ihr nicht vernünftig mit euch reden laßt.«
»Aber wir wollen doch nicht viel. Wir haben diesen großmäuligen O’Toole nur gebeten, daß er uns auch ein Faß seines süßen Oktoberbiers brauen soll.«
Maxwell wandte sich um. »Stimmt das?« fragte er.
Sharp setzte O’Toole wieder auf die Füße, damit er antworten konnte.
»Es ist ein Bruch der Tradition«, keifte O’Toole. »Genau das ist es. Seit undenklichen Zeiten sind wir Kobolde die einzigen, die das wohltuende Bier brauen. Und wir trinken es selbst. Wir können nicht mehr machen, als wir trinken. Und wenn wir es für die Trolle brauen, kommen als nächste die Feen …«
»Sie wissen, daß die Feen niemals Bier trinken würden«, sagte Oop. »Sie trinken nur Milch, ebenso wie die Brownies.«
»Dürsten müßten wir alle«, kreischte der Kobold. »Es ist schon schwere Arbeit, genug Bier für unseren Verbrauch zu brauen. Es kostet Zeit und Nachdenken.«
»Die Herstellung ist einfach«, meinte Sharp. »Wir könnten euch dabei helfen.«
Mister O’Toole zappelte vor Zorn hin und her. »Und die Käfer!« schrie er. »Was ist mit den Käfern? Vom Sud würdet ihr sie entfernen, das weiß ich genau. Diese schreckliche Reinlichkeit! Bei einem guten Oktoberbier müssen Käfer und andere Dinge großer Unreinheit in den Kessel fallen, sonst fehlt der Geschmack.«
»Also gut, Sie bekommen Ihre Käfer«, sagte Oop. »Wir sammeln einen Eimer voll und schütten sie in die Brühe.«
Mister O’Toole war außer sich vor Wut. Sein Gesicht flammte scharlachrot. »Versteht ihr denn nicht?« schrie er sie an. »Käfer schüttet man nicht hinein. Käfer fallen hinein, sorgsam ausgewählt und …«
Seine Worte endeten in einem gurgelnden Schrei, und Carol rief scharf: »Sylvester, laß das!«
O’Toole pendelte strampelnd in Sylvesters Schnauze. Sylvester hielt den Kopf so hoch, daß der Kobold den Boden nicht erreichen konnte.
Oop wälzte sich vor Lachen auf dem Boden und schlug die Hände auf die Schenkel. »Er hält O’Toole für eine Maus!« prustete er. »Seht euch die Miezekatze an! Sie hat sich eine Maus gefangen.«
Sylvester ging sanft mit seiner Beute um. Er tat höchstens O’Tooles Würde weh. Seine beiden Fänge schlossen sich vorsichtig um die Mitte des Kobolds.
Sharp rannte los, um der Katze einen Tritt zu versetzen.
»Nein!« rief Carol. »Wagen Sie das nicht noch einmal!«
Sharp zögerte.
»Schon gut, Harlow«, sagte Maxwell. »Soll er O’Toole behalten. Er verdient etwas für die Heldentat in deinem Büro.«
»Wir machen es«, gellte O’Toole. »Wir brauen ihnen ein Faß Bier. Meinetwegen auch zwei.«
»Drei«, sagte die piepsige Stimme unter der Brücke.
»Also gut, drei«, erklärte der Kobold.
»Sie drücken sich auch später nicht vor dem Versprechen?« fragte Maxwell.
»Wir Kobolde sind ehrlich«, sagte O’Toole.
»Also gut, Harlow«, meinte Maxwell. »Du kannst Sylvester jetzt einen Tritt geben.«
Sharp holte aus. Sylvester ließ O’Toole fallen und ging ein paar Schritte zurück.
Die Trolle rannten unter der Brücke hervor und jagten schreiend vor Erregung den Hang hinauf.
Die Menschen kletterten hinter ihnen her.
Carol rutschte aus und stürzte, und Maxwell blieb stehen, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Sie riß sich zornig von ihm los. »Rühren Sie mich nicht an!« fauchte sie. »Reden Sie mich nicht einmal an. Sie haben Harlow gesagt, er könnte Sylvester einen Tritt geben. Sie haben mich angeschrien. Sie haben gesagt, ich sollte den Mund halten.«
Sie drehte sich um und lief voraus. Nach kurzer Zeit war sie aus seinem Blickfeld entschwunden.
Maxwell stand einen Moment lang wie ein begossener Pudel da, dann kletterte er weiter. Er suchte an Felsblöcken und Büschen Halt.
Als er am Gipfel angelangt war, hörte er wildes Freudengeschrei. Zu seiner Rechten krachte ein großes schwarzes Ding mit kreiselnden Rädern aus dem Himmel. Er blieb stehen und sah auf. Zwei weitere Rollenfüßler jagten aufeinander zu und stießen in der Luft zusammen. Keiner verringerte die Geschwindigkeit. Sie zerbarsten beim Aufprall in winzige Stückchen. Maxwell stand da und sah den herumfliegenden Trümmern nach. Im Wald hörte man ein Krachen, als sie aufschlugen.
Das Freudengeheul am Gipfel ging immer noch weiter, und am Rand der Schlucht hörte er wieder etwas aufschlagen.
Niemand war zu sehen, als er weiterkletterte. Die Trolle hatten ganze Arbeit geleistet. Jetzt konnte der Drache landen. Maxwell grinste etwas gequält. Jahrelang hatte er Drachen nachgejagt, und nun hatte er endlich seinen Drachen — allerdings sah er etwas anders aus, als er ihn sich vorgestellt hatte. Was konnte der Drache sein, und weshalb hatte man ihn in dem Ding eingesperrt? Oder war er selbst das Ding gewesen?
Komisch, überlegte er. Jahrelang hatte das Ding alle Tests unbeschädigt überstanden und keinerlei Aufschluß über seine Konsistenz gegeben, und in dem Augenblick, in dem er die Übersetzungsmaschine aufgesetzt hatte …
Wodurch war der Drache befreit worden? Eindeutig hatte die Maschine etwas damit zu tun, aber er konnte nicht sagen, was nun wirklich geschehen war. Die Leute auf dem Kristallplaneten wußten es sicher — sie wußten so viele Dinge, die den Menschen verborgen waren. War der Apparat nicht aus Zufall, sondern mit Absicht in seiner Reisetasche aufgetaucht? War er hineingesteckt worden, um genau den Zweck zu erfüllen, den er erfüllt hatte? War es überhaupt eine Übersetzungsmaschine oder nur etwas, das ihr ähnelte?
Ihm fiel ein, daß er sich früher gefragt hatte, ob das Ding nicht ein Gott des Kleinen Volkes oder der anderen seltsamen Geschöpfe gewesen war, die in der Frühzeit der Erde gelebt hatten. Stimmte sein Gedankengang immer noch? War der Drache ein Gott einer alten Zeit?
Er kletterte jetzt langsamer, denn er hatte es nicht mehr eilig. Zum erstenmal seit seiner Rückkehr vom Kristallplaneten drängte ihn niemand mehr.
Er hatte etwa die Hälfte des Berges zurückgelegt, als er die Musik hörte, ganz schwach und gedämpft zuerst, so daß er nicht sicher war, ob er sich nicht getäuscht hatte.
Er blieb stehen und horchte. Es war Musik.
Der obere Rand der Sonne hatte den Horizont erreicht, und blendendes Licht strich über die Baumwipfel des Hanges, so daß die Herbstfarben aufglühten. Doch der Teil des Berges, auf dem er sich befand, lag noch im Schatten.
Er horchte. Die Musik war wie silbriges Wasser, das über Steine sprudelte. Unirdische Musik. Feenmusik. Und genau das war es. Auf der Feenlichtung spielte ein Orchester.
Ein Feenorchester und Feen, die auf dem Rasen tanzten! Er hatte so etwas noch nie gesehen, und jetzt sollte er die Möglichkeit bekommen! Er wandte sich nach links und bahnte sich so leise wie möglich einen Weg zur Lichtung.
Bitte, flüsterte er vor sich hin, bitte, geht nicht weg. Habt keine Angst vor mir. Bitte, bleibt. Ich will euch sehen.