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Die Angst hatte Oskar nicht getrogen. Der Eisbär und die anderen Delegierten des Polarkreises befanden sich in Seenot. Sie waren unversehens in den warmen Golfstrom geraten, und der schneeglitzernde, kristallblaue Eisberg, auf dem sie dahinfuhren, wurde von Stunde zu Stunde kleiner und kleiner. Sosehr Paul und das Walross die rudernden Seelöwen und Seehunde antrieben und sosehr diese sich mühten und quälten, aus dem Eisberg, dem gewaltigen, war längst ein unbedeutender, harmloser Eishügel geworden...

Die Tiere mussten immer mehr zusammenrücken. Das Schneehuhn wurde noch blasser, als es schon war. Der Silberfuchs klapperte leise mit den Zähnen. Das Walross ließ den Schnauzbart hängen. Und Paul, der Eisbär, brummte: »Wenn das noch lange so weitergeht, müssen wir den Rest zu Fuß zurücklegen!« Schließlich zogen sie gar dem kleinen Eskimomädchen das Hemd aus und schwenkten es in der Luft. Ihr Eisberg war jetzt nur noch so groß wie eine ganz gewöhnliche Eisscholle.

Während die Ärmsten auf ihrer schrumpfenden Eisscholle dahintrieben, ging es im Hochhaus, wie sich leicht denken lässt, äußerst lebhaft zu. Viele der Gäste hatten merkwürdige, zuweilen schwer erfüllbare Sonderwünsche. Aus dem Bassinzimmer des Delphins mussten beispielsweise vierzig Kubikmeter Wasser abgelassen werden, damit er für seine Luftsprünge genügend Platz hatte.

Für das Krokodil mussten mehrere Sperlinge besorgt werden, die ihm, wie's das nun einmal gewohnt war, in dem weit aufgesperrten Rachen umherspazieren sollten. Leopold, die Giraffe, verlangte zum Wohnen nicht nur zwei übereinander gelegene Zimmer, man musste auch noch in die Decke des unteren ein großes Loch schlagen, damit das Tier den Kopf hindurchstecken konnte! Ulrich, die Eule, bestand auf einer Dunkelkammer. Die exotischen Schmetterlinge bestellten unbekannte Blumen, und frisch sollten sie überdies sein! Max, die Maus, wollte kein Zimmer, sondern ein Mauseloch. Wo sollte man das in einem so modernen Bau hernehmen? Reinhold, der Stier, trieb's am ärgsten. Er klingelte und sagte, man möge ihm, weil er sich so allein fühle, eine hübsche, bunte Kuh heraufschicken.

Dem Hoteldirektor, dem Marabu, sträubte sich das Gefieder.

Aber schließlich kam alles in die Reihe. Auf der ersten Seite der neuesten Zeitungen erschienen die Photographien der im Hochhaus der Tiere eingetroffenen Delegierten. Daneben waren die Interviews mit ihnen abgedruckt. Der Rundfunk brachte die Unterhaltung zwischen ihnen und den Reportern, und der Kommentator äußerte seine Vermutungen über die Absichten und Ziele der Konferenz. Da gab's für die Gäste natürlich viel zu sehen und zu hören.

Außerdem rückte ja auch der Beginn der Konferenz immer näher, und man hatte mit den Vorbereitungen alle Hände voll zu tun! Die Singvögel übten im Konservatorium die feierliche Eröffnungshymne. Der Specht schlug den Takt. Weil der Pfau – des Glaubens, er habe eine schöne Stimme – mitkrächzen wollte, hatte man eine kurze Auseinandersetzung. Dann rauschte er, ein prächtiges Rad schlagend, aus dem Saale.

Die Spinnen und die Webervögel woben zwei wundervolle große Spruchbänder. Eines fürs Portal, mit dem Wortlaute: »Herzlich willkommen!«

Und auf dem anderen, noch schöneren, das für den Konferenzsaal bestimmt war, stand zu lesen: »Es geht um die Kinder!«

Im oberen Zimmer der Giraffe, die mit ihrem Kopf aus dem Loch im Fußboden hereinragte, saßen indessen der Elefant, der Löwe, der Adler, der Fuchs und die Eule, die eine dunkle Brille trug. Sie debattierten darüber, was man während der Konferenz sagen wolle. Wie man die Menschen davon überzeugen könne, dass sie sich, mindestens ihren Kindern zuliebe, vertragen müssten. Ob man sie notfalls zur Vernunft zwingen solle, und wie das wohl zu machen sei. Manchmal schaute der Marabu ins Zimmer. »Noch keine Nachricht?«, fragte dann jedes Mal Oskar, der Elefant. Und jedes Mal schüttelte der Marabu den Kopf.

Wir wissen, auf welche Nachricht die Tiere warteten. Paul, der Eisbär, war noch immer nicht eingetroffen. Und die Wasserflugzeuge, die das Meer nach ihm absuchten, hatten noch immer keine Spur von ihm und den übrigen Polardelegierten entdecken können, obwohl sie flach über den Wellen dahinflogen wie über den grünwogenden Wipfeln eines unendlichen Waldes.

Nun sahen zwar die Flugzeuge den Eisbären nicht, aber der Eisbär sah die Flugzeuge. Die Eisscholle war schon so winzig, dass Paul und das Walross nebenherschwimmen mussten. »Zustände sind das!«, rief das Walross prustend. »Wenn wir wenigstens einen Vogel an Bord hätten!« »Wir sind doch zwei Vögel!«, piepsten das Schneehuhn und der Pinguin. »Wirklich?«, fragte das Walross ärgerlich. »Na, dann fliegt gefälligst, ehe wir hier absaufen, zu den Flugzeugen hinauf und zeigt ihnen, wo wir stecken!« Da tat das Schneehuhn den Kopf zwischen die Flügel, und der Pinguin begann leise zu weinen...

Das Leitflugzeug hatte einen Turmfalken als Beobachter mitgenommen. Der stieß plötzlich einen pfeifenden Schrei aus, schwang sich aus dem Kabinenfenster und fiel, senkrecht wie ein Stein, in die Tiefe. Die Flugzeuge folgten ihm im Sturzflug, und ehe sich's die Schiffbrüchigen versahen, waren sie von Falken, Bussarden, Seeadlern und wassernden Hydroplanen umgeben. »Höchste Zeit!«, sagte Paul, der Eisbär, als man ihn aus dem Ozean herauszog. »Steward, bitte einen Grog von Rum!«

Als der Eisbär – weil er sich erkältet hatte, mit einem dicken Wollschal um den Hals – im Hochhaus eintraf, umarmte ihn Oskar und umschlang ihn gerührt mit dem Rüssel. »Vorsicht!«, rief Paul. »Hast du Angst, dass ich dir die Rippen breche?«, brummte Oskar. »Nein«, sagte der Bär, »ich hab Angst, dass du meinen Schnupfen kriegst.« Da lachten sie beide, bis der Elefant plötzlich große Augen machte. »Nanu!« »Ja, da staunst du, was?«, sagte Paul. »Das ist eine kleine Freundin von mir, ein Eskimomädchen, gefällt sie dir?« »Reizend«, meinte Oskar, »ich werde nie begreifen, wie aus so netten Kindern später Erwachsene werden!« Damit trabte er zu der Giraffe und flüsterte dieser etwas ins Ohr.

Nun machte die Giraffe einen ganz, ganz langen Hals, bis sie den Kopf in ein offenes Fenster der sechzehnten Etage des Hochhauses stecken konnte. Nach einer Weile kam ein kleiner kohlrabenschwarzer Negerjunge aus dem Fenster geklettert. »Nanu!«, rief der Eisbär. »Da staunst du, was?«, meinte Oskar stolz. »Das ist ein kleiner Freund von mir, der Sohn meines Zahnarztes.« Und als die Giraffe den kleinen Jungen vor Paul niedergesetzt hatte, brummte dieser: »Ich werde nie begreifen, wie aus so netten Kindern später Zahnärzte werden!«

Während sich die beiden Kinder noch ein bisschen neugierig und von der Seite ansahen, kam der Königstiger lautlos des Wegs, und auf seinem Rücken saß ein zierliches, braunhäutiges Kind. »Da!«, knurrte der Tiger. »Das ist meine Überraschung! Meine kleine Freundin aus dem bengalischen Dschungel!« Er ließ sie sanft nieder. Sie stieg von ihm herunter und kam schwebenden Gangs auf den Negerjungen und das Eskimomädchen zu. »Reizend!«, meinte Oskar. »Entzückend!«, flüsterte Leopold. »Wie eine Eisheilige!«, sagte der Eisbär hingerissen. »Hoffentlich wird sie später nicht Zahnärztin!«

»Kleine Tiere haben auch Einfalle!«, piepste es auf einmal hinter ihnen, und als sie sich alle umdrehten, erblickten sie Max, die Maus, die übermütig um einen kleinen Jungen herumsprang. »Ein Chinese!«, riefen die andern und bestaunten einen gelben Knaben, der sie aus seinen schief gestellten Augen verschmitzt anlächelte. »Da staunt ihr, was?«, quiekte die Maus. »Gefällt er euch? Er ist mein Freund, und sein Vater ist der Tanzmäusedresseur, bei dem ich mein Diplom als Solotänzer erworben habe!« »Kinder in allen Farben!«, meinte Paul. »Jetzt fehlt nur noch ein weißes!«

Kaum hatte der Eisbär das gesagt, kam das Shetlandpony angetrabt, und auf dem vergnügt wiehernden Pony ritt ein blonder Bengel, rotbackig, mit blauen Augen!