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telegramm an alle weit: –..– kapstadter konferenz zum zweiten Mal unterbrochen –..– mottenplage vernichtet alle uniformen –..– zweites ultimatum der tiere –..– geheime beratungen im gange achtung, achtung! zwanzig uhr erklärung der konferenz über alle sender –..– es spricht sonderbeauftragter zornmüller

Am Abend, Punkt 20 Uhr, stand Herr Zornmüller in einer funkelnagelneuen Uniform vor einem Wald von Mikrophonen und erklärte: »Namens aller in Kapstadt versammelten Staatsmänner lehnt die Konferenz das Ansinnen der Tiere ab. Schon morgen werden alle Soldaten der Erde neue Uniformen tragen! Und was die Hauptsache ist: In Kanonen und Granaten können weder Motten, noch Heuschrecken, noch Krokodile Löcher fressen! Das soll man sich im Hochhaus der Tiere gesagt sein lassen! Und wenn die Welt voll Motten war – uns schreckt das nicht! Wenn wir keine Uniformen mehr besitzen, werden wir uns die Regimentsnummern und Rangabzeichen auf die Haut malen! Verstanden? Die Tiere wollen uns Menschen zur Einigkeit zwingen. Das wird ihnen nicht gelingen! Darin sind sich alle Staatsmänner in Kapstadt einig! Und der Wille der Staatsmänner, darüber sollte keinerlei Zweifel herrschen, ist der Wille der Menschheit!«

Als die Tiere in ihrem Hochhaus diese Erklärung angehört hatten, waren sie sehr niedergeschlagen. Und Julius, das Kamel, sagte: »Es hat keinen Sinn. Wir sollten wieder nach Hause fahren. Ich reise morgen. Was gehen uns die Menschen an! Sollen sie sich doch zugrunde richten, wenn's ihnen Spaß macht!« Da bekam Oskar, der Elefant, einen Wutanfall. »Die Menschen«, brüllte er, »die Menschen können uns gestohlen bleiben, du Schaf! Es geht doch nur um ihre Kinder!« »Erlaube mal«, sagte Julius gekränkt, »ich bin kein Schaf.« »Nein, du Kamel!«, antwortete Oskar und knallte die Tür ins Schloss... Er ging ins Kinderzimmer, riegelte sich ein und ging stundenlang auf Zehenspitzen zwischen den fünf kleinen Betten hin und her. Dann setzte er sich auf einen Stuhl, seufzte und dachte die halbe Nacht nach.

Der Tag, der dieser Nacht folgte – der vierte Tag der siebenundachtzigsten Konferenz der Staatsmänner und zugleich der ersten und letzten Konferenz der Tiere –, dieser Tag wird für immer in den Geschichtsbüchern als »der größte Schreckenstag der Menschheit« verzeichnet bleiben und von niemandem, der ihn miterlebt hat, jemals vergessen werden. Was war geschehen? Man wagt es kaum zu sagen: Die Kinder waren verschwunden! Sämtliche Kinder sämtlicher Menschen waren fort! Die Babys lagen nicht mehr in der Wiege. Die Kinderbetten waren leer. Die Schulen blieben ausgestorben. Nirgends hörte man ein Kinderlachen, nirgends ein Weinen. Die Eltern und Lehrer und alle Erwachsenen waren allein auf der Erde. Ganz kinderseelenallein. Da begannen sie zu schreien, zu rufen, auf die Straßen zu rennen, zum Rathaus, einander zu fragen, zu weinen, zu wüten und zu beten. Aber es nützte ihnen nichts. Gar nichts... Herr Wagenthaler, der Nachtwächter in der Fahrradfabrik, sagte, er habe im Morgengrauen gesehen, wie von Grubers Dach ein großer Vogel aufgestiegen sei, mit einem Bündel in den Fängen. Und – ja, auch daran erinnere er sich jetzt – etwas später habe er aus dem Birkenwäldchen Kinderstimmen herüberklingen gehört, die sich allmählich entfernt hätten! Ob es nun stimmte oder nicht, das war alles, was man wusste. Es nützte so und so nichts. Die Kinder, alle Kinder auf der ganzen Welt, waren wie vom Erdboden verschwunden ...

Vor dem Konferenzgebäude in Kapstadt, Südafrika, stauten sich Zehntausende verzweifelter Menschen. Sie standen stumm. Sie waren viel zu traurig, um zu schreien und zu schimpfen. Doch gerade die unheimliche Stille auf dem überfüllten Platz tat ihre besondere Wirkung. Die Artilleristen bewachten zwar noch das Portal. Aber sie hatten ihre Kanonen umgedreht. Die Mündungen waren jetzt auf das Gebäude gerichtet. Denn auch Artilleristen haben Kinder...

Im großen Verhandlungssaal saßen die Staatsmänner auf ihren Plätzen und blickten ratlos auf ihre Notizblöcke. Auch hier fiel kein Wort. Auch ihre Kinder und Enkel waren ja verschwunden! Feldmarschall Zornmüller biss sich auf den Schnurrbart. Wo mochte jetzt der kleine Philipp sein, sein jüngster Enkel, der später einmal sein Nachfolger und mindestens Generaladmiral oder Admiralgeneral hätte werden sollen? Plötzlich knackte es im Lautsprecher, und eine etwas heisere Stimme rief: »Achtung, Achtung! In einer Minute wird aus dem Hochhaus der Tiere eine wichtige Erklärung abgegeben. Oskar, der Elefant, spricht über alle Sender zur Menschheit!«

Die Rede, die Oskar, der Elefant, im Kreise der Tierdelegierten hielt und in der er sich an alle Menschen wandte, war kurz und lautete folgendermaßen: »Seit heute früh sind alle eure Kinder spurlos verschwunden. Diese Maßnahme ist uns nicht leicht gefallen. Denn auch wir sind Eltern, fühlen mit euch und hätten euch den Schmerz gern erspart. Aber wir wussten uns keinen anderen Rat mehr. Nicht wir sind schuld, dass es dazu kam, sondern eure Staatsmänner. Bedankt euch bei ihnen. Unsere Geduld ist erschöpft. Wir wollen und werden nicht länger tatenlos zusehen, wie eure Regierungen eure Kinder, die wir lieben, und deren Zukunft, die uns am Herzen liegt, immer von neuem durch Zank, Krieg, Hinterlist und Geiz aufs Spiel setzen und ruinieren. In euren Gesetzbüchern gibt es eine Bestimmung, dass man Eltern, die nichts taugen, entmündigen kann, das heißt: dass man ihnen ihre Kinder fortnehmen und geeigneteren Erziehern übergeben darf. Wir haben von diesem Gesetz Gebrauch gemacht und eure Regierungen entmündigt. Sie sind ihrer Aufgabe seit Jahrhunderten nicht mehr würdig, und nun ist es genug. Wir haben seit heute früh die Verantwortung für eure Kinder übernommen, und ihr werdet sie nicht eher zurückbekommen, als bis sich eure Regierungen untereinander vertraglich verpflichtet haben, die Welt vernünftig und anständig zu verwalten. Sollten sich die Staatsmänner weigern, so werdet ihr wissen, warum ihr eure Kinder nie mehr wieder seht. Mehr habe ich euch nicht zu sagen. Die erste und letzte Konferenz der Tiere hat, so gut sie es vermochte, ihre Pflicht getan. Heute Abend sechs Uhr ist sie zu Ende. Vorschläge aus Kapstadt werden nur bis zu diesem Zeitpunkt entgegengenommen, geprüft und beantwortet. Tut, was ihr wollt. Wir tun, was wir müssen.«

Nach diesen Worten verließ Oskar die Rednertribüne. Die übrigen Delegierten nickten ihm ernst und anerkennend zu.

telegramm an alle weit: –..– sämtliche Kinder spurlos verschwunden –..– drittes und letztes ultimatum der tiere –..– konferenz in kapstadt mit sofortverhandlungen einverstanden –..– sonderflugzeuge bereits unterwegs, um tierdelegation abzuholen –..– spätestens dreizehn uhr mit eintreffen der delegation in kapstadt zu rechnen –..– bitte an alle eltern, ruhe zu bewahren –

Der Flug nach Kapstadt verging schneller als hinterdrein die Autofahrt durch die von Menschen bis zum Bersten angefüllten Straßen. Alle wollten Oskar, Paul, Leopold, Alois und Max sehen. Max, die Maus, saß ganz allein im letzten Wagen, hoch auf vier Kissen, und verbeugte sich nach allen Seiten. Im Großen Verhandlungssaal wurden die fünf feierlich empfangen. Feldmarschall Zornmüller war ihnen zu Ehren in Zivil erschienen und führte sie zum Verhandlungstisch. »Meine Herren Menschen«, sagte Oskar, »– nicht so viel Umstände, wenn wir bitten dürfen. Unsere Zeit ist kostbar. Und Ihre Zeit leider auch.« Er nahm Platz. »Wo sind unsere Kinder?«, fragte ein Staatspräsident schüchtern. Paul, der Eisbär, gab nur zur Antwort: »Es geht ihnen gut.« Dann begannen die Verhandlungen.

Paul, der Eisbär, hatte nicht gelogen: Es ging den Kindern rechtschaffen gut. Vom Erdboden waren sie natürlich nicht verschwunden. So etwas bringen auch die klügsten Tiere nicht fertig. Man hatte sie ganz einfach versteckt. In Höhlen und Grotten, die kein Mensch kennt. Auf Inseln und Atollen, die auf keiner Land- oder Seekarte eingezeichnet sind. In halb verwehten Oasen. In versunkenen Städten. Auf gestrandeten Schiffen. In zerfallenen Palästen und Ritterburgen. Auf einsamen Bergwiesen. In Wäldern und Dschungeln. In Walfischen. In zerborstenen Tempeln. In verlassenen Pfahlbauten, Bergwerken und Weinkellereien. In Adlerhorsten, Taubenschlägen, Dachsbauten und in den Beuteln der Kängurus. Manche Kinder, vor allem die ganz kleinen, hatten zunächst etwas Angst und ein bisschen Heimweh. Aber die Tiere waren allesamt so nett zu ihnen, dass sogar die Babys ihren Kummer vergaßen. Die Kühe und Ziegen kamen angetrabt und brachten frische, noch warme Milch. Die Bären brachten Bienenhonig. Die Affen und Makis schüttelten Kokosnüsse und Datteln aus den Palmwipfeln, Weintrauben gab's, Bananen, Apfelsinen, Himbeeren, Zuckerrohr, Ananas, Erdbeeren, Brombeeren, wilde Kirschen, Pfirsiche, Sauerampfersalat, Sonnenblumenkerne, Maiskolben, Rettiche, Feigen, Spargelspitzen, Reis, Tomaten, Frikassee aus Jasminblüten, Thymian und Waldmeister – die Mahlzeiten waren wirklich sehr abwechslungsreich. Und Spiele gab's auch im Überfluss. Man spielte mit den Tierjungen, ritt huckepack auf den Eseln, Rehen und Wildschweinen, schwamm mit den Schwänen und Delphinen, kletterte mit den Affen und Eichhörnchen schwindelhoch, spielte mit den Büffeln und Zebus Blindekuh und mit den Libellen und Zwergnilpferden Schnelle Post. Ehe man sich's versah, war der Tag herum! Und als sie sich im Wald, in den Höhlen, auf den Schiffen und in den Tempelhöfen schlafen legten, dachten fast alle Kinder: Hoffentlich dauert der Streit zwischen den Tieren und unseren Eltern noch recht lange!