Eine Tür auf der anderen Seite der Straße wurde geöffnet, und Dannyl erstarrte. Er hörte, dass Merria stehen blieb, und aus dem Augenwinkel sah er, wie Tayend sich nach einem Versteck umschaute, aber es war zu spät. Ein Mann tauchte auf, hob den Blick und hielt inne, als er sie bemerkte.
Ein Ashaki. Dannyls Herz hämmerte. Der Mann starrte sie an, dann richtete er sich auf und kam auf sie zu.
»Weglaufen?«, fragte Merria leise.
Dannyl schüttelte den Kopf. Wenn sie wegrannten, würden sie nur schuldig wirken. Wenn sie Furcht zeigten, würde das klarmachen, dass sie einen Grund dazu hatten. Kriegskunstlektionen aus lang vergangenen Zeiten kamen ihm in den Sinn. Du kannst nicht sagen, wie stark ein anderer Magier ist, noch kann er deine Stärke beurteilen. Eine selbstbewusste Ausstrahlung wird deinem Gegner Grund geben, daran zu zweifeln, dass er stärker ist als du, selbst wenn aller Anschein für das Gegenteil spricht. Er folgte dem Beispiel des anderen Mannes, drückte den Rücken durch und ging auf ihn zu.
Der Mann war ungefähr sechzig, schätzte Dannyl. Sein Haar war mit grauen Strähnen durchzogen.
»Seid Ihr die Botschafter aus dem Gildehaus?«, fragte der Mann energisch. Er war angespannt, bemerkte Dannyl. In Eile. Vielleicht kann ich das zu meinem Vorteil nutzen.
»Ja«, bestätigte Dannyl langsam und förmlich. »Ich bin Gildebotschafter Dannyl.« Er deutete auf Tayend. »Dies ist Tayend, der elynische Botschafter. Und dies …« Er drehte sich zu Merria um.
Der Mann fiel ihm ins Wort. »Warum seid Ihr nicht im Gildehaus? Ihr wisst doch, was bevorsteht? Ihr lauft vielleicht geradewegs in eine magische Schlacht hinein.«
»Ich bin über die Situation im Bilde«, erklärte Dannyl. »Ich versichere Euch, wir haben nicht die Absicht …«
»Warum seid Ihr dann hier?«
»Man hat uns eine sichere Alternative zum Gildehaus angeboten.« So viel entsprach der Wahrheit. Achati hatte ihm gesagt, dass ein Schiff wartete.
Der Mann runzelte die Stirn. »Hier? So dicht beim Palast? Wie kann es hier sicherer sein?«
Danny zuckte die Achseln. »Die Verräterinnen werden wohl kaum so weit kommen.«
Dies hatte den erwünschten Effekt. Der Mann reckte das Kinn vor. »Ja. Natürlich. Nun denn. Es ist nicht weit bis zum Palast, und ich gehe ebenfalls dorthin. Ich werde Euch begleiten.«
Oh-oh. Auf keinen Fall wollte Dannyl in Reichweite der Ashaki sein, wenn das Blatt sich gegen sie wendete und sie verzweifelt zusätzliche Macht benötigten. Er zog entschuldigend den Kopf ein.
»Ich fürchte, wir gehen nicht zum Palast. Unser beider Herrscher brennen darauf, jeden Eindruck zu vermeiden, dass die Gilde sich einmischt.« Dann, in dem Wissen, dass der Mann sie nicht gehen lassen würde, ohne ihr Ziel zu kennen, vor allem, nachdem sie die Möglichkeit einer Einmischung erwähnt hatten, fügte er hinzu: »Wir sind auf dem Weg zu Ashaki Achatis Haus.«
Der Mann zog die Augenbrauen hoch, dann nickte er. »Ich werde Euch bis dorthin begleiten.«
Er ging davon, seine Schritte lang und schnell. Dannyl folgte ihm – ebenso wie Merria und Tayend, wie ihm das Klappern ihrer Schritte und das Klirren seiner Knöpfe verrieten. Die Versuchung, sich umzudrehen und Tayend in die Augen zu schauen, war stark, aber er widerstand ihr. Eine selbstbewusste Haltung bedeutete auch, dass er den Eindruck erwecken musste, hier das Sagen zu haben.
Als er über die Schulter des Ashaki blickte, sah er eine Bewegung. Eine Menschenmenge, die groß genug war, um die breite Straße zu versperren, hatte sich versammelt und füllte wahrscheinlich die gesamte Parade aus. Männer in Hosen und kurzen Mänteln standen da und beobachteten etwas innerhalb der Parade, das Dannyl nicht sehen konnte. Kostbare Steine glitzerten im Sonnenlicht. Ashaki. Viele Ashaki. Jeden Augenblick wird einer aufschauen, uns sehen und die Aufmerksamkeit der anderen auf uns lenken. Was wird dann geschehen? Er konnte nicht umhin, sich eine Horde von Männern vorzustellen, die auf ihn zukamen, bereit, Macht von den drei Fremdländern zu ernten.
Aber niemand kam. Als ihr selbsternannter Begleiter sich der Tür von Achatis Haus näherte, begann die Menge sich zu bewegen. Das Heer der Ashaki brach auf. Dannyl hoffte, dass dies ihren Begleiter dazu bewegen würde, sie sich selbst zu überlassen, aber der Mann runzelte nur die Stirn und trat vor die Tür. Er klopfte an.
Ein lange Stille folgte. Der Ashaki klopfte erneut. Während die Zeit sich in die Länge zog, schlug Dannyls Herz immer schneller. Achati würde beim König sein. Die Sklaven waren wahrscheinlich gegangen. Was würde ihr Begleiter tun, wenn klar war, dass niemand die Tür öffnen würde? Der Mann klopfte ein drittes Mal, wartete, seufzte und drehte sich schließlich zu Dannyl um.
Dann, als er gerade den Mund öffnete, um zu sprechen, schwang die Tür nach innen auf. Ein Sklave spähte heraus.
»Botschafter Dannyl.«
Tayend stieß den angehaltenen Atem aus, und Merria seufzte. Der Ashaki drehte sich zu dem Sklaven um, dann sah er Dannyl an und schaute am Ende zur Parade hinüber. Dannyl, der seinem Blick folgte, sah, dass die letzten Ashaki hinter dem gegenüberliegenden Gebäude verschwanden.
»Danke, Ashaki …«
Der Mann nannte seinen Namen nicht. Er machte einen Schritt rückwärts. »Haltet Euch außer Sicht«, riet er ihnen, dann drehte er sich um und lief davon.
Dannyl sah Tayend und Merria an. Ihre Augen waren groß, als sie seinen Blick erwiderten. »Lasst uns hineingehen.«
Der Sklave protestierte nicht, als sie durch die Tür traten. Sobald sie alle im Herrenzimmer waren, warf er sich auf den Boden. Dannyl, der eine Bewegung wahrnahm, sah einen anderen Sklaven auf dem Boden in der Nähe eines weiteren Flurs. Er schaute von einem zum anderen und runzelte die Stirn. Warum waren diese beiden noch hier?
»Steht auf«, befahl er. Die beiden gehorchten. »Wie lauten eure Namen?«
»Lak.«
»Vata.«
»Warum seid ihr nicht mit den übrigen Sklaven fortgegangen?«
Lak sah Vata an. »Er wird uns vielleicht brauchen«, sagte er.
»Er« musste Achati sein. Dannyl verspürte Bewunderung für ihre Loyalität.
»Von welchem Ort aus kann man die Parade am besten einsehen?«, fragte Tayend.
Vata blickte auf. »Vom Dach aus.«
Tayend zog die Augenbrauen hoch und sah Dannyl an. »Nun?«
Dannyl nickte. »Bringt uns dort hinauf.«
Verräter füllten die Straße vor den Toren des Herrenhauses. Lorkin und Tyvara hatten den Weg hinaus durch einen Sklaveneingang zu einer Nebenstraße gefunden und eilten zur Vorderseite des Gebäudes, wo die Verräter sich versammelten. Als Lorkin sich umschaute, bemerkte er, dass die eine Hälfte der Kämpfer Frauen waren, die andere Männer. Magier und Quellen. Alle trugen Westen wie er. Für die meisten der Männer werden die Steine ihre einzige Quelle von Magie sein, begriff er. Nichtmagier, die an der Schlacht teilnehmen. Das muss etwas noch nie Dagewesenes sein.
Kurz bevor die Menge anschwoll, um den Raum zwischen den Häusern zu füllen, erblickte Lorkin die Straße, die zum Stadtzentrum führte. Er bildete es sich vielleicht nur ein, aber in der Ferne schien die Straße von einem Schatten blockiert zu werden. Und dieser Schatten schien sich zu bewegen.
Man verlangte Ruhe, und Lorkin begriff, dass von irgendwo im Zentrum eine vertraute Stimme kam.
»… alle beschützen. Wir müssen alle zusammenbleiben. Unsere Stärke liegt in unserer Einheit und Entschlossenheit. Wir sind geeint. Die Ashaki sind es nicht. Wir haben uns Jahrhunderte vorbereitet. Die Ashaki haben das nicht. Wir haben die Unterstützung der Sklaven. Die Ashaki haben sie nicht. Und wir haben Steine.«
Größer als die meisten Verräter blickte Lorkin über ihre Köpfe in die Richtung, aus der die Stimme kam, und sah Savara höher als die Menge stehen, sichtbar für alle.
»Kannst du sie sehen? Wir müssen zu ihr«, flüsterte Tyvara ihm ins Ohr.