»Ich denke, du hast recht«, erwiderte Tayend. »Die Blitze haben die Unterseite der Rauchsäule schon früher erhellt. Jetzt erhellen sie diese Seite davon.«
Dannyl wurde flau im Magen, als er sah, dass Tayend recht hatte. Vielleicht werden die Ashaki ihre Kräfte sammeln und wieder an Boden gewinnen. Vielleicht wird den Verräterinnen die Magie ausgehen.
Seine Gefährten schwiegen lange Zeit, als nichts anderes geschah, das auf eine Veränderung der Lage hindeutete. Dann verschwand ein Gebäude auf halbem Weg zwischen der Parade und der fernen Rauchwolke plötzlich. Das Krachen und Donnern folgte einen Herzschlag später, und im nächsten Moment stieg Staub auf. Merria keuchte. Tayend murmelte einen Fluch.
»Vielleicht ist dies nicht der sicherste Ort für uns«, sagte Tayend mit dünner Stimme. »Falls sie so weit kommen.«
»Uns wird nichts zustoßen«, entgegnete Merria, doch das Zittern in ihrer Stimme strafte ihre Worte Lügen. »Wir werden einfach wegschweben.«
»Ich schätze, dann sollte ich mich wohl dicht bei Euch halten.«
»Wir sollten alle zusammenbleiben«, stimmte Merria ihm zu.
Als die beiden links und rechts neben ihn traten, schaute Dannyl sie an, erheitert, dass sie sich auf der Suche nach Schutz an ihn wandten. Es ergab Sinn, dass Tayend so handelte. Aber Merria sollte Vertrauen in das Wissen haben, dass sie sich selbst schützen konnte.
Dannyl blickte zu der Stelle, wo das eingestürzte Gebäude gestanden hatte. Im Gegensatz zu mir ist es das Letzte, was Merria will, in den Kampf verwickelt zu werden. Aber ich … ich wünschte, ich hätte irgendeinen Vorwand, um Achati zu helfen. Und sei es auch nur, um mich davon zu überzeugen, dass er überlebt, sollten die Ashaki verlieren …
»Da sind sie!«, rief Merria aus.
Dannyls Herz stockte, als er Menschen aus einer nahen Nebenstraße laufen sah. Alles Männer, alles Ashaki, einige bedeckt mit Staub. Sie blieben stehen, als sie die Parade erreichten, formten eine Reihe, dann zwei, dann drei über die Straße, als weitere Ashaki auftauchten, um sich ihnen anzuschließen. Er schätzte, dass es über hundert waren.
»Ist das König Amakira?«, fragte Tayend.
Dannyl kniff die Augen zusammen. Ein älterer Mann stand in der Mitte, aber viele andere grauhaarige Ashaki waren in der Reihe, und es war unmöglich zu erkennen, welcher der König war. Aus Straßen zu beiden Seiten quollen weitere Ashaki. Vielleicht hatten sie versucht, in den Rücken der Verräterinnen zu gelangen und sie von hinten anzugreifen. Was immer sie getan hatten, hatte ihren Feind jedoch nicht ausreichend geschwächt. Die Front der Verräterinnen kam in Sicht. Ihre Angriffe trieben die Ashaki zurück. Männer an einem Ende der Reihe stolperten nach hinten und fielen. Sie standen nicht wieder auf.
Die Ashaki in der Reihe griffen einmütig an, und die Verräterinnen schlugen zurück. Sofort taten sich in der Abwehrmauer der Ashaki Lücken auf. Die Reihe wurde dünner, als Männer in die Lücken traten, um die Gefallenen zu ersetzen. Auf einen fernen Ruf hin begannen die Verteidiger sich hastig zurückzuziehen; sie griffen nicht länger an, sondern konzentrierten alle ihre Bemühungen darauf, sich mit Schilden zu schützen.
Sie verlieren. Sie haben verloren. Es sei denn, sie hätten im Palast etwas vorbereitet …
»Dannyl«, sagte Merria.
»Was?«, fragte er, und im nächsten Moment durchzuckten ihn Gewissensbisse wegen der Schärfe seines Tons.
»Osens Ring?«
Dannyl fluchte, dann entschuldigte er sich, während er den Blutring aus seiner Robe fischte. Er holte tief Luft und streifte ihn auf seinen Finger.
– Dannyl?
– Ja, Osen. Ich bin es. Der Konflikt befindet sich jetzt in Sichtweite. Die Ashaki haben eine Reihe am Eingang der Parade gebildet, aber nun befinden sie sich auf dem Rückzug.
– Sonea, könnt Ihr etwas sehen?
– Ja, kam Soneas Antwort. Ihre Gedankenstimme war klar, aber er konnte nichts von ihrer Präsenz oder ihren Gedanken spüren. Unten waren die zurückweichenden Ashaki fünfzig Schritte von Achatis Haus entfernt und kamen näher. Schon bald würde Dannyl mehr sehen können als ihre Hinterköpfe. Sehen können, ob Achati noch unter ihnen war. Ein magischer Schlag katapultierte zwei von ihnen in den Mann dahinter. Dannyl erhaschte einen Blick auf zerquetschte, blutverschmierte Gesichter.
– Die Ashaki verlieren, bemerkte Osen.
– Sie haben vielleicht eine weitere Streitmacht im Palast postiert, erwiderte Dannyl.
– Könnt Ihr Lorkin sehen?, fragte Sonea.
Dannyl riss den Blick von den Ashaki los und schaute zu den Verrätern hinüber. Er schnappte nach Luft. Hunderte von ihnen marschierten über die Parade. Sie gingen in Kolonnen, und ihre wohlgeordnete Formation war ein verräterischer Kontrast zu der Menge der zurückweichenden Ashaki. Während er das Geschehen beobachtete, traten einige der Verräter an der Spitze zur Seite und machten jenen hinter ihnen Platz.
Er hatte angenommen, dass es einfach sein würde, Lorkin als den einen Mann unter vielen Frauen auszumachen, aber es schien genauso viele männliche Magier unter den Verrätern zu geben wie weibliche, und sie waren alle gleich gekleidet. Männlich oder weiblich, sie griffen in die Taschen ihrer Westen, dann streckten sie aus, was immer sie daraus hervorgeholt hatten. Er fing ein Glitzern von Licht auf, dann noch eins und begriff, was sie taten.
Steine. Sie benutzen Steine.
Dann fand sein Blick ein vertrautes Gesicht, und Erleichterung durchströmte ihn. Lorkin stand in der Mitte der Reihe der Verräter, hinter und einen Schritt neben einer kleineren, älteren Frau. Tyvara? Nein. Keine der persönlichen Sklavinnen im Gildehaus war so alt gewesen wie diese Frau. Also, wer war sie?
– Die Königin, sandte Sonea.
Als er die ältere Frau wieder anschaute, bemerkte Dannyl ihre Position in der Mitte und die Entschlossenheit in ihren Zügen. Königin Savara, dachte er. Die, sofern die Ashaki nicht im letzten Moment das Blatt wenden können, die Frau sein wird, vor der ich bald das Knie beugen und mit der ich verhandeln werde.
Die Ashaki … hatten jetzt die Höhe von Achatis Haus erreicht. Es waren nicht mehr viele. Dannyl wappnete sich gegen das Schlimmste, als er nach unten blickte und nach einem vertrauten Gesicht suchte. Ein Mann wandte den Kopf, um zu ihm emporzuschauen, und alle Furcht und Zuneigung, die er vor Osen verbergen wollte, wallten in ihm auf und lähmten ihn. Achati lächelte, als hätte er die ganze Zeit über gewusst, dass Dannyl ihn vom Dach seines Hauses beobachten würde, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Verräter.
Dannyl war zu keiner Bewegung mehr fähig. Sein Herz hämmerte, während die Ashaki weiter zum Palast zurückwichen. Er darf nicht sterben. König Amakira wurde von Achati und einem seiner anderen Ratgeber flankiert. Weitere Ashaki fielen. Er wird nicht sterben, sagte er sich. Es wird alles in Ordnung sein mit ihm, wenn sie zum Palast zurückkommen.
»Oh«, sagte Merria. »Seht.«
Dannyl riss den Blick los und sah, dass sie zu dem prächtigen Palastgebäude hinüberdeutete. Menschen strömten aus dem Eingang. Zuerst stiegen Hoffnung und Triumph in ihm auf, und er dachte, dass es weitere Ashaki seien, dann stieß Tayend einen leisen Pfiff aus, wie er es immer tat, wenn er beeindruckt war, und zur gleichen Zeit begriff Dannyl, dass es nicht die glitzernde Gewandung der Ashaki war, die er sah.
»Die Verräter haben den Palast bereits übernommen.« Tayend seufzte. »Und die Ashaki haben es nicht einmal bemerkt.«
Dannyl senkte den Blick, und ihm wurde übel, während er auf Zeichen dafür wartete, dass den Ashaki die Wahrheit dämmerte. Wenn sie es begreifen, werden sie kapitulieren. Sie haben keine andere Wahl. Die Ashaki scharten sich um den König. Nicht mehr als zwanzig jetzt. Einige schauten zum Palast hinüber. Diejenigen, die hinten standen, riefen eine Warnung. Dannyl sah, wie der König sich umdrehte und dann innehielt. Sah Amakiras Lippen sich bewegen, sah Achatis Nicken. Der König und der andere Ratgeber zogen sich weiter zurück, aber Achati blieb stehen. Die Angriffe der Verräter intensivierten sich plötzlich, vielleicht beim Anblick des Anführers ihrer Feinde, der außer Sicht verschwand.