Als sie ihren Bericht beendete, kamen die unausweichlichen Fragen.
»Ihr habt das Gelände verlassen und ohne Erlaubnis schwarze Magie benutzt«, sagte Lady Vinara.
Lilia nickte und neigte den Kopf.
»Tatsächlich hat sie das nicht getan«, mischte Rothen sich ein. »Ich habe ihr die Erlaubnis gegeben, beides zu tun.«
»Die Erlaubnis sollte von allen Höheren Magiern ausgesprochen werden oder zumindest vom Hohen Lord«, wandte Osen ein, aber dann lächelte er und breitete die Hände aus. »Es gab jedoch Grund zu dem Verdacht, dass unter uns Korruption herrscht. Vorsicht war in diesem Fall die beste Methode.«
»Wenn Lilia ihre Rolle als Schwarzmagierin in Zukunft ausfüllen soll, sollte sie uns nicht mit bedingungslosem Vertrauen betrachten«, stimmte Kallen zu.
Balkan nickte. »Ich gebe Euch recht. Es ist wichtiger, dass wir herausfinden, wer Skellins Quelle ist.«
»Wir haben einen Hinweis auf ihn: Ein Magier hat dafür gesorgt, dass Jonna aufgehalten wurde, als sie Lilia holen wollte«, stellte Vinara fest. Sie drehte sich zu der Dienerin um. »Wer war es?«
Jonnas Augen weiteten sich, als alle Aufmerksamkeit sich auf sie richtete. Dann flackerte ihr Blick durch den Raum. »Lord Telano.«
Alle drehten sich zum Studienleiter der Heiler um. Er schaute sich im Raum um, dann warf er die Hände hoch.
»Ein Zufall«, protestierte er. »Ich habe versucht, ihr zu helfen, Lady Lilia zu finden, und mich im Raum geirrt. Das beweist nichts.«
»Aber es ist interessant, im Lichte Eures Verhaltens in jüngster Zeit«, sagte Vinara. »Es würde erklären, warum …«
»Wartet«, unterbrach Osen sie. »Lady Lilia. Jonna. Gibt es sonst noch etwas, das Ihr uns gern mitteilen würdet?« Als sie den Kopf schüttelten, nickte er. »Wartet bitte außerhalb des Raums.«
»Lilia sollte bleiben«, sagte Kallen. »Wir brauchen sie vielleicht.«
Lilia sah ihn überrascht an. Wenn er einer von Skellins Spionen war, würde er mich doch gewiss nicht hier haben wollen. Osen schaute sich im Raum um, und sie war überrascht zu sehen, dass die meisten Magier nickten. Bis auf Lord Telano. Was hatte Vinara gesagt? »… im Lichte Eures Verhaltens in letzter Zeit.« Was hatte er getan?
»Also schön«, sagte Osen. »Bleibt, Lilia.«
Jonna nahm dies als ihr Stichwort, den Raum zu verlassen. Rothen ging zu einem freien Stuhl und setzte sich, so dass Lilia die Einzige war, die noch stand. Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf Telano.
»Lord Telano«, begann Vinara. »Wart Ihr Skellins Quelle in der Gilde?«
»Nein«, erwiderte Telano entschieden.
»Wie kommt es dann, dass das Feuel, das die meisten Magier und Novizen erworben haben, zu Euch zurückverfolgt werden kann?«
»Und warum haben meine Assistenten gesehen, dass Ihr Mitglieder der Unterwelt aufgesucht und Päckchen mit zurück in die Gilde gebracht habt?«, hakte Kallen nach.
»Ich rauche gern Feuel«, sagte Telano. »Das tun auch andere. Es gibt kein Gesetz dagegen.«
»Es wird bald eines geben«, warf Vinara leise ein.
»Aber es gibt ein Gesetz gegen die Zusammenarbeit mit Verbrechern«, stellte Osen fest.
»Ich habe mit niemandem zusammengearbeitet. Ich habe nur zufällig ihre Produkte gekauft. Jede Menge Magier tun dies, häufig unwissentlich.« Telano deutete auf Lilia. »Sie hat wissentlich für einen Dieb gearbeitet. Niemand hinterfragt das.«
»Wir werden noch dazu kommen«, versicherte ihm Vinara. »Ihr habt Euch jetzt seit einer ganzen Weile mit diesem Argument verteidigt, Lord Telano, aber es erklärt Eure Versuche nicht, unsere Feuel-Ernte zu zerstören. Für jemanden, der Feuel mag, scheint das … merkwürdig zu sein.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte, die Diebe hätten hier irgendwie Fuß gefasst und diese Pflanzung angelegt.«
»Wirklich? Das war aber nicht Eure Entschuldigung, als wir Euch seinerzeit ertappt haben.«
»Ich wusste nicht, wem ich trauen konnte. Ihr hättet mit ihnen unter einer Decke stecken können. Schließlich hat sich herausgestellt, dass es einen Spion in der Gilde gibt.«
»Eine simple Gedankenlesung würde Eure Unschuld beweisen«, sagte Lord Peakin.
Es wurde still im Raum. Lilia schaute sich um und sah sowohl Widerstreben als auch Hoffnung. Sie wollten es schon seit einer Weile tun, haben sich aber um die Konsequenzen gesorgt, falls er unschuldig sein sollte. Er wird es ihnen zumindest verübeln, dass sie ihm misstraut haben.
Aber was, wenn er schuldig war? Das würde noch schlimmer sein.
»Werdet Ihr …?«, begann Osen.
»Nein«, sagte Telano, und das Wort hallte im Raum wider.
»Euer Mangel an Kooperation ermutigt uns nicht gerade«, bemerkte Osen.
»Dann degradiert mich.« Telanos Tonfall war mürrisch.
»Nein.« Alle Augen richteten sich auf Balkan. Der Hohe Lord hatte die Ellbogen auf die Armlehnen seines Stuhls gelegt, und seine Fingerspitzen berührten sich. »Da Sachaka jetzt unter der Herrschaft der Verräterinnen steht und unsere Aufmerksamkeit andernorts benötigt wird, müssen wir diese Angelegenheit klären. Lest seine Gedanken, Kallen.«
Telanos Augen hatten sich geweitet, aber jetzt glättete sich sein Gesicht wieder. Als Kallen aufstand, erhob er sich langsam auf die Füße.
»Nun, wenn Ihr es unbedingt tun müsst. Zumindest haben wir etwas gemeinsam«, murmelte er.
Lilia holte scharf Luft. »Ich … ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist«, zwang sie sich zu sagen und senkte den Blick, als die Aufmerksamkeit sich auf sie richtete. »Ich habe selbst gelegentlich den Verdacht gehabt, dass Schwarzmagier Kallen … derjenige sein könnte …«
Dies führte zu einem überraschten und frustrierten Raunen im Raum. »Wir könnten warten, bis Sonea zurückkehrt«, schlug jemand vor.
Lilia blickte auf und zwang sich, in Kallens Augen zu sehen. Er lächelte. »Wie ich sagte, wir brauchen Lilia. Mir zu misstrauen wird bald Teil ihrer Aufgaben sein. Ich schlage vor, dass sie auch meine Gedanken liest, um alle zu beruhigen.«
Lilia starrte ihn an, und Zweifel beschlichen sie. Falls er unschuldig ist, werde ich mich sehr schlecht fühlen, weil ich angedeutet habe, er könnte Skellins Quelle sein. Aber wenn er es nicht ist … wird er diese Gelegenheit nutzen, um mich insgeheim zu erpressen?
Osen nickte. Balkan tat das Gleiche. Kallen winkte sie heran. Es ließ sich nicht vermeiden. Falls dies die ganze Zeit über seine Absicht gewesen war, war sie wirklich und wahrhaftig in seine Falle getappt. Mit trockenem Mund trat Lilia auf ihn zu. Er ergriff ihre Hände und hob sie, immer noch lächelnd, an seinen Kopf.
»Ihr erinnert Euch daran, was Ihr tun müsst?«
Sie nickte. Dann schloss sie die Augen.
Es war unmöglich zu sagen, wie viel Zeit verstrichen war, als sie wieder von ihm wegtrat. Sie hatte Gewissensbisse, weil sie ihm misstraut hatte, aber vor allem war sie erleichtert. Ich kann verstehen, warum die Gilde ihn gewählt hat. Er würde lieber sterben, als die Gilde zu verraten. Er hasst sich dafür, dass er in die Feuel-Falle getappt ist – und ich hatte keine Ahnung, dass das Verlangen so schlimm sein kann. Ich habe Glück, dass es mich nicht ebenso getroffen hat. Er hatte Bewunderung dafür ausgedrückt, dass sie ihr Leben riskiert hatte, um Anyi zu retten, und sie hatte seine Frustration und Scham darüber gesehen, dass er nicht in der Lage gewesen war, Skellin zu finden. Er hat aber wirklich alles versucht. Das weiß ich jetzt. Ich kann ihm sein Scheitern verzeihen.
Er hatte sie auch gewarnt, dass sie, falls Lord Telano schuldig war, sich unbehaglich fühlen würde, wenn sie seine Gedanken las. Lilia drehte sich zu dem Magier um. Der Mann blickte im Raum umher, dann runzelte er die Stirn und stand auf. Er hielt sich sehr steif, als sie die Hände ausstreckte, um seine Schläfen zu berühren.