Sie unterdrückte einen Seufzer, ignorierte die Blicke und schlug den Weg zur Universität ein.
Sobald sie das Hauptgebäude erreicht hatte, wählte sie den Flur durchs Zentrum und die Große Halle, statt die Hauptkorridore zu beiden Seiten zu nehmen. Es wird hier keine Versammlung mehr geben, bevor ich abreise, durchzuckte es sie, als sie in die Große Halle trat, und sie verweilte kurz und ließ ihren Blick durch den gewaltigen Raum gleiten. Dies könnte das letzte Mal sein, dass ich hier bin.
Aber sofort schüttelte sie energisch den Kopf und ging entschlossen weiter. Nur wenn alles schrecklich schiefgeht, dachte sie.
Am Ende der Großen Halle kam sie in die Fortsetzung des zentralen Flures, von dem sie in den nächsten Korridor rechts einbog. Dort blieb sie vor der ersten Tür stehen. Auf ihr Klopfen hin schwang die Tür nach innen auf, und sie betrat Osens Büro.
Der Administrator stand an seinem Schreibtisch zwei Magiern gegenüber, die sich umgedreht hatten, um sie zu betrachten. Der Hohe Lord Balkan neigte respektvoll den Kopf und murmelte ihren Namen, genau wie es Osen tat. Auch den dritten Magier kannte sie inzwischen.
»Der Ratgeber des Königs, Glarrin«, sagte sie und nickte ihm zuerst zu, bevor sie sich an die anderen wandte. »Hoher Lord. Administrator.«
»Schwarzmagierin Sonea«, erwiderte Glarrin.
Er war in den Sechzigern, das wusste sie, aber er wirkte jünger. Obwohl er offiziell der militärische Ratgeber des Königs in Angelegenheiten war, die mit Magie und der Gilde zusammenhingen, gehörten auch in Friedenszeiten die internationalen Beziehungen zu seinem Arbeitsbereich. Ein zweiter königlicher Ratgeber kümmerte sich um interne Angelegenheiten – größtenteils politisches Gezänk zwischen den Häusern. Eine Aufgabe, um die ich ihn nicht beneide.
»Bitte, nehmt Platz«, lud Osen sie ein. Er deutete auf drei Stühle, die näher heranrückten und sich vor seinem Schreibtisch in einem Halbkreis aufstellten. Sie alle setzten sich. Osen beugte sich auf den Ellbogen vor. »Wir sind hier, um darüber zu sprechen, wie Schwarzmagierin Sonea die Freilassung ihres Sohnes aushandeln soll. Zuerst habe ich Neuigkeiten von Botschafter Dannyl.«
Soneas Herz verkrampfte sich.
»Ashaki Achati, der Ratgeber des Königs, mit dem Botschafter Dannyl eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut hat, hat gestern Abend das Gildehaus besucht«, fuhr Osen fort. »Er hat den Wunsch des Königs übermittelt, dass Dannyl Lorkin dazu bringen möge, Fragen bezüglich der Verräterinnen zu beantworten. Dannyl hat natürlich wiederholt, dass er nicht in der Position sei, Lorkin Befehle zu erteilen. Ashaki Achati wollte nicht sagen, was geschehen würde, wenn Lorkin nicht redete, aber er hat durchaus klargemacht, dass Sachaka kaum etwas davon abhält, die freundschaftlichen Bande zu den Verbündeten Ländern zu durchtrennen. Es war keine Drohung, versicherte mir Dannyl, sondern eine Feststellung. Sie brauchen den Handel mit uns nicht, und sie haben nicht das Gefühl, dass wir als Feind eine Bedrohung darstellen würden.«
»Ist es ein Bluff?«, fragte Balkan.
»Vielleicht«, antwortete Glarrin. »Es kommt der Wahrheit jedoch zu nahe. Ich würde es nicht darauf ankommen lassen wollen. Sachaka braucht uns nicht, genau wie wir Sachaka nicht brauchen, aber wir würden einige lukrative Gelegenheiten verlieren, wenn es zu strengeren Beschränkungen des Handels käme.«
»Also kann ich nicht mehr tun, als sie daran zu erinnern, welcher Wohlstand ihnen in diesem Fall entgehen würde?«, fragte Sonea.
Glarrin schürzte nachdenklich die Lippen. »Es würde nicht schaden, darauf hinzuweisen, dass die Verbündeten Länder mit Sachaka Handel treiben wollen und nicht mit den Rebellen. Das könnte sie zumindest in dem Punkt beruhigen, dass wir nicht die Absicht haben, mit ihrem Feind zu paktieren.«
»Natürlich sollte die Tatsache, dass wir durchaus mit den Verrätern Handel treiben wollen, unerwähnt bleiben«, fügte Balkan mit einem Grinsen hinzu.
»Natürlich.« Sonea lächelte. »Obwohl ich darauf hinweisen sollte, dass wir eine solche Möglichkeit in Betracht ziehen würden, sollte Sachaka sich als unkooperativ erweisen … und vielleicht als unzuverlässig, wenn es darum geht, Vereinbarungen bezüglich der Sicherheit von Gildemagiern einzuhalten?«
»Nein«, sagte Glarrin. »Sie werden nicht freundlich auf diese Art von Bedrohung reagieren. Ich …« Er hielt inne und fokussierte den Blick auf einen Punkt in der Ferne. »Der König fragt, ob man sich mit den Verrätern in Verbindung setzen kann – ob sie irgendetwas tun können, um uns zu helfen. Schließlich kann es nicht ihr Plan gewesen sein, dass Lorkin eingekerkert wird.«
Der kyralische König und Glarrin mussten über einen Blutring miteinander in Verbindung stehen, begriff Sonea. Dieser kleine magische Trick von Akkarin ist sehr beliebt geworden, seit die Gilde beschlossen hat, dass man dazu im Prinzip keine schwarze Magie braucht.
»Wir können es versuchen«, antwortete Balkan. »Dannyls Assistentin, Lady Merria, hat eine Möglichkeit gefunden, Nachrichten zu den Verrätern zu schicken.«
»Wir werden keine Antwort bekommen, bevor Sonea aufbricht«, bemerkte Osen. Er sah Balkan an. »Sonea sollte einen Blutring hierlassen. Sollte sie auch einen Blutring von einem von uns mitnehmen?«
»Wer immer ihr einen Ring gibt, riskiert es, das Geheimnis schwarzer Magie in ihrem Geist zu sehen.«
»Nicht wenn sie Nakis Ring trägt«, stellte Osen fest.
Sonea nickte. Der Ring, den Lilias ehemalige Freundin benutzt hatte, um zu verhindern, dass ihre Gedanken gelesen wurden, beschützte seinen Träger auch vor ungewollter Vermittlung seiner Gedanken und Gefühle durch einen Blutring.
Balkan nickte. »Es wird nützlich sein, wenn Sonea sich mit uns in Verbindung setzen kann, wann immer sie möchte – aber Dannyl hat bereits einen Ring von Euch. Wäre es besser, ihr einen von mir zu geben?«
»Wenn die Sachakaner sie an sich bringen, dann können sie damit uns beide belästigen.« Osen schüttelte den Kopf. »Sie sollte einen von mir mitnehmen.«
Sonea verbarg ihre Erheiterung über seine Wortwahl. Wenn jemand Osens Blutring an sich brachte, würden die niederträchtigen Dinge, die sie damit tun konnten, nicht dazu dienen, Osen zu belästigen. Dann wurde sie wieder ernst. So wie sie es mit mir machen könnten, sollten sie an den Blutring herankommen, den ich Lorkin gegeben habe. Glücklicherweise hatte Osen Lorkin aufgetragen, den Ring nicht zu dem Treffen mit dem sachakanischen König mitzunehmen. Wenn sie ihn hätten, bräuchten sie Lorkin lediglich zu foltern, während …
»Wann werde ich aufbrechen?«, fragte sie, um ihre Gedanken auf ein weniger furchteinflößendes Thema zu lenken.
»Morgen Nacht«, sagte Osen. »Wir werden morgen eine Versammlung einberufen und um Freiwillige bitten, die Euch ihre magische Kraft geben. Wir haben beschlossen, bekannt werden zu lassen, dass Lorkin von dem sachakanischen König eingekerkert wurde und dass wir Euch schicken, um seine Freilassung auszuhandeln.«
»Amakira hat uns den perfekten Vorwand geliefert, Euch nach Sachaka zu schicken«, sagte Glarrin. »Ihr solltet ebenfalls versuchen, Euch mit den Verräterinnen zu treffen, obwohl es das Beste wäre, wenn Ihr das tun würdet, nachdem Lorkin befreit wurde – noch besser, wenn er zu diesem Zeitpunkt bereits zu Hause wäre –, für den Fall, dass das Treffen entdeckt wird.« Er runzelte die Stirn, wandte den Blick ab und lächelte dann. »Der König fragt, wie Lilias Ausbildung in den Kriegskünsten vorangeht.«