Dort lernte Lorkin mehr über diese Menschen. Sie lehnen Sklaverei ab, und obwohl sie schwarze Magie benutzen, scheinen sie friedlich zu leben. Sie haben ein Netzwerk von Spionen in ganz Sachaka – obgleich der Hauptgrund für ihre Spionage nach allem, was ich gehört habe, ihr eigener Schutz ist.
Vor kurzem versuchte Lorkin, nach Hause zurückzukehren. Bei seiner Ankunft in Arvice wurde er zu König Amakira gerufen, und man befahl ihm, alles zu offenbaren, was er über die Verräterinnen in Erfahrung gebracht hatte. Da er wusste, dass er solche Informationen zuerst König Merin geben musste, weigerte sich Lorkin. Obwohl diese Verpflichtung König Amakira bekannt war und er, als wir die ersten Botschafter nach Sachaka entsandten, zugestimmt hat, dass sie ihrem eigenen König verantwortlich sind, nahm er Lorkin gefangen und ließ ihn ins Palastgefängnis bringen.«
Sonea wurde flau im Magen. Ganz gleich, wie oft sie diese Worte ausgesprochen hörte, die Vorstellung von Lorkin in einer düsteren Zelle ließ ihr Herz zusammenschrumpfen.
In der Halle war es still geworden. Seltsam, ich hatte erwartet, dass es Proteste und Wut geben würde. Ich denke, sie sind größtenteils zu schockiert, um zu sprechen, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob sie entsetzter sind über die Unverschämtheit Amakiras, es zu wagen, einen Gildemagier einzukerkern, oder über die Möglichkeit, dass dies zu einem weiteren Konflikt mit Sachaka führen könnte.
»Der König hat unsere Bitte gebilligt, einen Unterhändler zu schicken, um Lorkins Freilassung zu erwirken«, fuhr Osen fort. »Wir haben unseren Unterhändler sorgfältig ausgewählt und bedacht, wer den größten Einfluss auf den sachakanischen König haben könnte. Das sachakanische Vorurteil gegen Magier, die keine schwarze Magie beherrschen, hat unsere Entscheidungsmöglichkeiten eingeengt.« Osen drehte sich um, um zu den Höheren Magiern aufzublicken, und streckte den Arm in Soneas Richtung aus, als biete er ihr eine Hand an, um aus einer Kutsche zu steigen. »Wir haben Schwarzmagierin Sonea ausgewählt.«
Soneas Haut kribbelte, und ihr Gesicht wurde heiß, als Hunderte von Blicken sich in ihre Richtung wandten. Ein Raunen erfüllte die Halle. Sie widerstand dem Drang wegzuschauen und stellte sich den Blicken der versammelten Magier. Ihr Herz schlug ein wenig zu schnell. Was werden sie tun?
Osen winkte sie zu sich. Sonea unterdrückte einen Seufzer, stand auf und begann die Stufen hinabzusteigen.
»Aber der Vorteil, eine Schwarzmagierin zu schicken, wird nichts zählen, es sei denn, diese Schwarzmagierin wäre so mächtig, wie wir sie machen können«, fuhr Osen fort. Als Sonea ihn erreichte, sah er sie kurz an, dann wandte er sich wieder an die Versammlung. »Der König hat Schwarzmagierin Sonea die Erlaubnis erteilt, magische Macht für diese Mission zu sammeln. Wir bitten um Freiwillige, die dieser Sache ihre Macht leihen.«
Das Summen von Stimmen wurde jetzt lauter, schwoll an und verebbte dann wieder. Osen, der die Stimmung der Magier einzuschätzen versuchte, hob die Arme, und rastlose Stille senkte sich über den Raum.
»Dies ist das erste Mal, dass eine solche Erlaubnis gewährt wurde, und glücklicherweise nicht aus dem Grund, den wir lange gefürchtet haben. Wir haben in diesen letzten zwanzig Jahren gelernt, dass schwarze Magie keine barbarischen Rituale und kein unerfreuliches Blutvergießen notwendig macht. Obwohl diese Tatsache unseren Novizen vermittelt wird und auch allen anderen bekannt sein sollte, gibt es vielleicht einige, denen das nicht ganz klar ist. Ich bitte Schwarzmagierin Sonea, es zu erklären.«
Sonea atmete tief durch und gab etwas Magie in die Luft, um ihre Stimme zu verstärken. »Sachakanische Magier schneiden die Haut ihrer Sklaven auf, weil ihre Sklaven keine Magier sind und ihnen ihre Macht nicht anbieten können. Sie tun das Gleiche im Krieg bei ihren Opfern, denn ihre Opfer werden ihnen ihre Macht kaum freiwillig geben. Und das Ritual höherer Magie in unserer Vergangenheit war eine symbolische Geste der Unterwerfung eines Novizen unter seinen Meister und ist nicht länger relevant.«
Sie brachte ein Lächeln zustande, obwohl sie vermutete, dass es eher grimmig als beruhigend wirken würde. »Um von einem anderen Magier Macht zu nehmen, ist es lediglich nötig, dass der Betreffende seine Macht sammelt und aussendet. Dann kann ich diese Macht nehmen und lagern. Das ist alles. Von Seiten des Gebenden ist nicht mehr zu tun als das, was jeder Novize in seinem ersten Jahr an der Universität erlernt.« Sie sah sich in der Halle um. Das ist tatsächlich alles, was an Erklärung notwendig ist, dachte sie, aber als Osen sich von ihr abwandte, fiel ihr noch etwas anderes ein.
»Es scheint nur eine Kleinigkeit zu sein, die ich von jedem von Euch erbitte«, sprach sie weiter. »Die Macht eines Tages. Aber wenn es dazu führt, dass ich meinen Sohn befreie, werdet Ihr meine von Herzen kommende Dankbarkeit und die meines Sohnes haben.«
Osen nickte. »Und Ihr werdet die Sicherheit eines Mitglieds der Gilde gewährleistet haben, eines Bürgers Kyralias und der Verbündeten Länder, und gleichzeitig den Fortbestand des Friedens mit Sachaka sichern. Und das ist keineswegs eine Kleinigkeit.« Er wandte sich den Sitzreihen zu. »Wir werden mit den Höheren Magiern anfangen.«
Soneas Herz setzte einen Schlag aus, als der Hohe Lord Balkan sich erhob und die Stufen herabstieg, gefolgt von mehreren anderen Höheren Magiern. Als Balkan näher kam, rief jemand von der Seite der Halle seinen Namen. Alle drehten sich um und sahen, dass die Ratgeber des Königs von der höchsten Reihe ebenfalls heruntergekommen waren.
»Würdet Ihr mir erlauben, den Anfang zu machen?«, fragte der Ratgeber Balkan. Der Hohe Lord lächelte, trat beiseite und deutete auf Sonea.
»Der König sendet seine besten Wünsche«, erklärte Glarrin. Er hielt ihr die Hände hin.
Sonea nahm sie und nickte. »Bitte, übermittelt meinen Dank, Ratgeber.« Ihre Haut kribbelte, als er ihr Macht sandte. Sie zog die Macht in sich hinein und spürte ein schwaches Gefühl, das ihr sagte, dass sie jetzt mehr Magie besaß, als sie selbst aufbringen konnte, aber als der Ratgeber fertig war, konnte sie nicht einschätzen, wie viel Macht er ihr gegeben hatte.
Glarrin trat beiseite und verneigte sich leicht vor Balkan. Sonea schaute zu dem hochgewachsenen Anführer der Gilde empor. Er musterte sie mit einem vertrauten, leicht überraschten Ausdruck. Als falle es ihm genauso schwer, mich als Höhere Magierin anzusehen, wie es mir schwerfällt, in ihm den Hohen Lord zu sehen. Obwohl Balkan ein tüchtiger Anführer ist, wird in meinem Kopf immer Akkarin derjenige sein, auf den der Titel passt.
Sie nahm seine Hände und seine Macht, und langsam traten die Höheren Magier einer nach dem anderen vor. Alle bis auf Kallen. Osen hatte beschlossen, dass einige Magier am Ende der Versammlung noch über ihre volle Stärke verfügen sollten. Als der Letzte der Hohen Magier beiseitetrat, drehte Sonea sich zu der Halle um.
Und ihr blieb das Herz stehen.
Alle Sitze waren leer. Sämtliche Magier standen in der Mitte der Halle und warteten. Nun, es ist möglich, dass diejenigen, die nicht beabsichtigen, sich freiwillig zu melden, bereits davongeschlüpft sind, sagte sie sich. Aber die Menge, die wartete, war zu groß, als dass viele hätten gegangen sein können.
Ihr wurde bewusst, dass sie aufgehört hatte zu atmen, und sie hörte, wie sich ihr ein Keuchen entrang, als der erste Magier vortrat.
Regin. In seinen Augen leuchtete unerwarteter Humor auf, als er sich vorbeugte, um ihr Hände zu ergreifen.
»Ihr wisst wirklich nicht, wie viele Menschen Euch respektieren, wie?«, murmelte er, während er ihr Magie sandte.