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In der Zwischenzeit versuchte sie zu lernen. Sie schaute auf das Buch in ihren Händen hinab. Sie hatte die Lektionen, die sie versäumt hatte, während sie im Ausguck gefangen gewesen war, niemals wirklich nachgeholt. Die Lehrer würden es bemerken, wenn sie noch weiter zurückfiel.

Sobald Cery, Anyi und Gol sich eingelebt haben, werde ich mich wieder ganz meinen Studien zuwenden können, sagte sie sich. Vielleicht werde ich den ganzen nächsten Freitag lernen. Wenn mein Plan heute Nacht funktioniert, werde ich zumindest eine Sorge weniger haben.

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Gedanken. Sie stand auf, für den Fall, dass es ein Magier war, und öffnete die Tür mit Magie. Zu ihrer Erleichterung kam Jonna hereingestürmt. Beladen mit einer lackierten Schachtel und einem großen Krug schaffte es die Frau, sich zu verneigen, bevor sie alles auf den Tisch stellte.

»Guten Abend, Lady Lilia.«

»Guten … Abend.« Lilia zögerte, während sie die Schachtel öffnete und zu ihrer Enttäuschung sah, dass sie eine einzige Schale mit dicker Suppe und ein einziges Brötchen enthielt, außerdem ein Sahnedessert. Natürlich. Sie wird jetzt nicht mehr bringen, als eine Person essen kann. Was es noch wichtiger machte, dass Lilias Plan funktionierte.

»Was ist los?«, fragte Jonna.

»Ich … ich habe gehofft, dass Anyi heute Abend zu Besuch kommen würde.«

Lilia war überrascht gewesen zu entdecken, dass Jonna bereits wusste, dass Anyi Cerys Tochter war, und dass sie den geheimen Eingang zu Soneas Räumen kannte; zumindest war sie erstaunt gewesen, bis sie erfahren hatte, dass Jonna Soneas Tante war. Das erklärte gewiss die Art, wie Jonna Sonea herumkommandierte, wenn sie allein waren, ohne Furcht und mit wenig Respekt vor ihrem Status.

Jonna lächelte, während sie das Essen von dem Tablett auf den Tisch räumte. »Sie kommt in letzter Zeit oft vorbei.«

Lilia nickte. »Zumindest ist sie sicher, wenn sie hier ist.«

»Und sie bekommt eine anständige Mahlzeit«, fügte Jonna hinzu. Dann straffte sie sich. »Ich werde gehen und etwas für sie suchen. Etwas, das immer noch schmecken wird, wenn es kalt geworden ist, damit sie es mitnehmen kann, falls sie bereits gegessen hat.«

»Könntest du …?« Lilia verzog das Gesicht. »Könntest du jeden Abend etwas mitbringen? Selbst wenn sie es nicht isst, gibt es andere, denen sie gern helfen würde. Denen ich gern helfen würde. Und … kannst du etwas Lampenöl mitbringen, damit sie nicht im Dunkeln zurückfinden muss?«

Jonna wirkte mitfühlend, als sie nickte. »Natürlich.«

»Und … ich nehme nicht an … falls das nicht zu viel verlangt ist … was macht die Gilde mit altem Bettzeug und zerbrochenen Möbeln?«

Die Dienerin zog die Augenbrauen hoch. »Die meisten Möbel hier zerbrechen nicht leicht. Sie sind so stabil, dass sie Hunderte von Jahren halten. Wenn doch etwas zerbricht, reparieren wir es, und wenn es nicht länger gut genug für die Magier ist, bekommen es die Diener.« Sie zuckte die Achseln. »Das Gleiche gilt für altes Bettzeug. Wenn es für die Diener zu abgenutzt ist, macht man daraus Lumpen.« Sie sah Lilia an. »Aber es gibt mehr altes Bettzeug als Möbel. Lasst mich sehen, ob ich etwas in die Hände bekommen kann.«

Lilia nickte. »Vielen Dank. Ich würde ja Dinge für sie kaufen, aber es ist mir nicht erlaubt, das Gelände zu verlassen, um einkaufen zu gehen.«

»Ich könnte diese Dinge für Euch besorgen«, erbot sich Jonna, »wenn Ihr aufschreibt, was Ihr wollt.«

»Habt Ihr denn Zeit dafür? Ihr müsst doch viel zu tun haben.«

»Nicht so viel, wie Ihr vielleicht denkt, vor allem jetzt, da Sonea nicht hier ist. Dinge für Euch zu besorgen gehört zu meiner Arbeit.«

»Nun … danke. Ich würde mich sehr darüber freuen.«

Jonna deutete auf die Schale. »Jetzt fangt an zu essen, bevor es kalt wird, und ich gehe etwas für Anyi holen.«

Als sich die Tür hinter der Dienerin schloss, stieß Lilia einen Seufzer der Erleichterung und des Triumphs aus. Ihr Plan hatte funktioniert, obwohl sie leichte Gewissensbisse plagten, weil sie angedeutet hatte, dass die erbetenen Dinge für Bedürftige wären, obwohl sie in Wirklichkeit für Cery, Gol und Anyi bestimmt waren. Aber sie sind auch bedürftig.

Als sie auf die Mahlzeit hinabblickte, die Jonna ihr gebracht hatte, beschloss sie, sie zu essen und die Sachen, die sie aus der Speisehalle mitgenommen hatte, Cery und Gol zu geben. Suppe war viel zu schwer zu transportieren, und das Dessert würde wahrscheinlich überlaufen. Wenn Jonna Beweise dafür sah, dass Lilia etwas von ihren Mahlzeiten aß, würde sie sich keine Sorgen machen, dass Lilia nicht genug zu sich nahm – oder alles weggab.

Während sie aß, dachte sie darüber nach, wie solch kleine, alltägliche Dinge so wichtig werden konnten. Cery, sein Freund und seine Tochter waren in den Gängen unter der Gilde sicherer, vor allem jetzt, da der Tunnel, der sie mit der Straße der Diebe verband, zerstört war, doch etwas so Triviales wie ihre Versorgung mit Nahrung war eine tägliche Schwierigkeit und ein Risiko. Wenn Lilia nicht ständig versuchen musste, etwas zu essen für sie zu finden, wäre es viel einfacher, ihre Anwesenheit vor der Gilde verborgen zu halten.

Ich will auch mehr tun, als ihnen nur Essen zu bringen, überlegte sie. Ich will, dass sie es bequem haben. Ich kann Jonna nicht bitten, etwas Luxuriöses zu kaufen, oder sie wird Verdacht schöpfen. Es sei denn … ich könnte sagen, es sei für mich …

Sie aß den letzten Löffel Suppe, stand auf, suchte Papier, Stift und Tinte zusammen und begann eine Liste zu erstellen.

Als Sonea blinzelnd erwachte, staunte sie darüber, dass sie in der schaukelnden Kutsche überhaupt geschlafen hatte. Sie schaute zu Regin hinüber und sah, dass er wach war und sie beobachtete. Er lächelte schwach und wandte höflich den Blick ab.

Wie lange habe ich geschlafen? Sie zog den Vorhang beiseite, der das Fenster über dem Wagenschlag verdeckte. Sie fuhren durch grünes Hügelland, das sich im Gold einer spätnachmittäglichen Sonne vor ihnen ausbreitete. Eine ganze Weile. Armer Regin. Er ist wahrscheinlich den größten Teil des Tages wach gewesen und hat sich gelangweilt.

Während der ersten Stunden ihrer Reise in der vergangenen Nacht hatte ihr Gespräch sich um die Arrangements gedreht, die sie getroffen hatten, um ihre Angelegenheiten für die Dauer ihrer Abwesenheit zu regeln, um Lilias Fortschritte und Zukunft, um die Orte, an denen sie im Laufe der Reise wahrscheinlich haltmachen würden, und um einige Informationen, die man ihnen über die sachakanische Gesellschaft gegeben hatte. Als Regin zum ersten Mal gegähnt hatte, hatte sie darauf bestanden, dass er versuchte zu schlafen. Er hatte es schließlich getan, ein Reisekissen zwischen seinen Kopf und die Seitenwand der Kutsche geklemmt. Die Straßen in Stadtnähe waren gepflegter als die weiter draußen auf dem Land, daher wurde er nicht oft wach gerüttelt.

Sie hatte die Nacht damit verbracht, aus dem Fenster zu starren, über die Aufgaben nachzudenken, die man ihr zugeteilt hatte, und sich Sorgen um Lorkin zu machen. Bei der Erinnerung an ihre letzte Reise über diese Straße – sie war Akkarin ins Exil gefolgt – spürte sie Echos der Gefühle von vor zwanzig Jahren. Furcht, Zurückweisung, Hoffnung und Liebe, alles vom Abstand der Zeit gemildert. Sie hieß die Gefühle willkommen, hielt sie für eine kurze Zeit fest und ließ sie dann los, damit sie mit der Vergangenheit verschmolzen.

Diese Reise brachte einige interessante neue Gefühle mit sich. Abgesehen von Angst und Sorge um Lorkin und der Furcht vor der Möglichkeit, dass sie selbst und Regin versagen könnten, verspürte sie eine seltsame Euphorie. Nachdem sie zwanzig Jahre lang auf das Gelände der Gilde beschränkt gewesen war, war sie plötzlich frei gelassen worden.

Nun, nicht direkt frei. Ich kann nicht umherstreifen, wo immer ich will. Ich habe eine Mission zu erfüllen.