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Dannyl wandte den Blick ab und zuckte die Achseln. »Ich habe mir noch keine Meinung gebildet. Wie immer ich mich entscheide, es wird mich nicht daran hindern, Befehle zu befolgen oder Lorkin zu helfen.«

Tayend nickte. »Das weiß ich. Ich gebe zu, ich habe mir um dich Sorgen gemacht, aber du bist unter der Oberfläche immer noch der Alte.«

Dannyl richtete sich auf, um zu protestieren. »Und was soll sich oberflächlich geändert haben?«

Der Elyner stand auf und deutete mit einer Hand in Dannyls Richtung. »All … das

»Mir schwinden die Sinne angesichts der Klarheit deiner Ausdrucksweise«, entgegnete Dannyl.

Tayend öffnete den Mund, um etwas hinzuzufügen, dann schloss er ihn wieder und schüttelte den Kopf. »Vergiss es. Ich gehe zurück in mein Zimmer. Ich muss ein Handelsabkommen aushandeln. Kopierst du immer noch deine Notizen?«

»Ja. Nein. Mir ist wieder die Tinte ausgegangen. Die Sklaven haben die Flasche heute Morgen anscheinend nicht wieder aufgefüllt.«

»Tatsächlich haben sie gestern Abend den letzten Rest der Vorräte in mein Fass geschüttet. Ich habe heute Morgen einen Sklaven ausgeschickt, um neue Tinte zu kaufen, aber er ist mit leeren Händen zurückgekommen.« Tayends Miene wurde ernst. »Es ist schwer, ihn zu verstehen. Wie es scheint, hat ihm jemand die Tinte weggenommen, aber er behauptet, er wisse nicht, wer, und er redet auf die Weise, wie Leute es tun, wenn sie lügen und wollen, dass du es weißt.«

Dannyl runzelte die Stirn. »Jemand hat ihm die Tinte weggenommen? Ein Dieb?«

»Oder jemand, der für den König arbeitet. Vielleicht wollen sie nicht, dass wir Dokumente niederschreiben.«

Ein Frösteln überlief Dannyl. »Oder Kopien von Forschungsnotizen machen.«

»Gewiss nicht. Woher sollten sie wissen, dass du das tust?«

»Die Sklaven«, erwiderte Dannyl.

Tayend kniff die Augen zusammen. »Die nicht wissen werden, dass du nur Notizen über deine Forschungsarbeiten niederschreibst, nicht über Lorkins Entdeckungen.«

Dannyl seufzte. »Ich werde nicht in der Lage sein, diese zweite Kopie sicher an die Gilde zu schicken, nicht wahr?«

»Ich könnte mich mit der Vermutung irren, dass die Männer des Königs die Tinte genommen haben«, sagte Tayend. Er sah Dannyl nachdenklich an. »Oder auch nicht. Vielleicht solltest du diese Notizen besser mit Magie versiegeln, für den Fall, dass die Sklaven Befehl haben, sie dir zu stehlen.« Er machte einen Schritt auf den Flur zu, dann blieb er stehen und drehte sich noch einmal um. »Ich werde dir mein Tintenfass bringen. Vielleicht können Merria oder ich weitere Tinte von unseren sachakanischen Freunden bekommen.«

10

Wenn keine Wahl gut ist …

Lorkin lag auf dem harten, kalten Boden der Zelle und versuchte, nicht zu hören, wie die Sklavin um Luft rang.

Ich kenne nicht einmal ihren Namen, dachte er. Gewiss sollte er zumindest den Namen der Frau kennen, die um seinetwillen so viel Schmerzen litt. Wegen der Verräter ebenso sehr wie um meinetwillen, rief er sich ins Gedächtnis. Aber er konnte sich nicht dazu überwinden, sie zu fragen. Nicht wenn er es bewusst vermied, sie zu heilen.

Wenn er es tat, würde der Ashaki, der die Befragungen durchführte, sie wieder von neuem verletzen.

Wenn er es nicht tat, könnte sie sterben. Dann würde der Mann einen anderen Sklaven finden, den er verletzen konnte. Zuerst hatte Lorkin überlegt, dass es besser war, wenn weniger Menschen verletzt und getötet wurden, aber sie hatte ihn angezischt, dass er wegbleiben solle, als er sich ihr genähert hatte, und dann noch einmal, als er versucht hatte zu erklären, dass er zumindest die Schmerzen lindern könne. Obwohl sie ihn nicht daran hätte hindern können, sie zu heilen – wenn sie ihrer schlimmen Lage entfliehen wollte, indem sie starb, hatte er das Gefühl, dass er ihre Wünsche respektieren sollte. Oder vielleicht würde der Schmerz irgendwann auch so stark werden, dass sie ihn doch bat, ihr zu helfen.

Es war ein sehr langer Tag gewesen. Ein schrecklicher Augenblick folgte einem weiteren und dann noch einem. Die Zeit dehnte sich zu weit aus, um ihr Verstreichen einzuschätzen. Bisweilen hatte er das Gefühl, in einem Albtraum gefangen zu sein, der niemals enden würde. Der Befrager schien seiner Arbeit nicht müde zu werden, noch gingen ihm Methoden aus, einem Menschen so viel Schmerz wie möglich zuzufügen und dabei nur minimalen Schaden anzurichten. Lorkin hatte Dinge gesehen, die er niemals vergessen würde. Er hatte Geräusche gehört, die ihn für den Rest seines Lebens verfolgen würden. Er hatte Gerüche wahrgenommen, die kein zivilisierter Mensch jemals riechen sollte.

Er wusste, dass Schlaf unmöglich war, aber er versuchte es trotzdem. Als er den Versuch aufgab, tat er so, als schlafe er.

Ein verzerrtes Zischen kam von der Sklavin, und er war unverzüglich hellwach, und sein Herz hämmerte. Er sagte sich, dass sie nur den Schmerz zum Ausdruck brachte und nicht seine Aufmerksamkeit erregen wollte, aber das gleiche Muster von Geräuschen kam erneut. Langsam und widerstrebend drehte er sich um, um sie anzusehen.

Sie lag auf der Seite, zusammengerollt und ihren gebrochenen Arm an sich gedrückt. Ihre Augen waren weit offen, und sie starrte ihn an. Als ihre Blicke sich trafen, bewegte sie die Lippen, und obwohl kein Laut herauskam, waren die Worte klar, als hätte sie in seinem Geist gesprochen. Ihm wurde am ganzen Körper kalt.

Töte mich.

Er starrte sie ungläubig an. Nein, nicht ungläubig. Tod ist die einzige Flucht, die sie bekommen wird. Ich kann den Schmerz auslöschen, wenn sie es mir erlaubt, aber das ist nur der körperliche Teil der Folter. Das Grauen kann ich nicht beenden, ebenso wenig die Demütigung und die Angst.

Aber …

Seine Eingeweide krampften sich zusammen. Ich kann sie nicht töten. Seine Schuldgefühle vertieften sich, und er wandte sich ab. Es ist alles meine Schuld. Er schüttelte den Kopf. Nein. Das ist es nicht. Aber ich kann nicht so tun, als sei ich nicht teilweise verantwortlich für das, was mit ihr geschieht. Wenn es irgendetwas gibt, was ich tun kann …

Irgendetwas? Aber ich habe noch nie jemanden getötet. Es ist nicht so, als würde ich es nicht tun, wenn ich mich selbst oder jemand anderen verteidigen müsste, aber eine Person zu töten, die nicht versucht, irgendjemandem zu schaden, ist unrecht.

Ihre Lippen formten die flehentliche Bitte abermals.

Er erinnerte sich an Worte seiner Mutter, die sie vor langer Zeit gesprochen hatte: »Als Heiler können wir den Tod auf vielerlei Weise verhindern, aber manchmal sind die Grenzen dessen, was wir tun können, erreicht. Wenn ein Mensch nicht mehr zu retten ist und sterben will, dann kommt es einer Grausamkeit gleich, ihn am Leben zu erhalten.«

Während er dem bebenden Atem der Sklavin lauschte, wusste er, dass es grausam war, sie ohne Hoffnung auf Flucht leiden zu lassen.

Wie würde ich es überhaupt tun? Der Ashaki, der ihn bewachte, saß draußen vor der Zelle und beobachtete sie. Was immer Lorkin tat, es würde sanft und subtil genug sein müssen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Ich kann nicht glauben, dass ich tatsächlich darüber nachdenke.

Irgendwann würde man den Tod der Sklavin bemerken. Was würden sie tun, sobald sie wussten, dass Lorkin sie getötet hatte? Er verspürte eine verräterische Erleichterung, als ihm die Antwort kam. Sie ist der Besitz des Königs – oder der Besitz von jemand anderem. Ich weiß nicht, wie schwerwiegend das Verbrechen ist, fremdes Eigentum zu zerstören, aber es wäre definitiv etwas, das sie mir vorhalten könnten.

Vielleicht hofften sie, dass er sie töten würde. Vielleicht würde es ihnen den Vorwand liefern, den sie brauchten, um seine Gedanken zu lesen oder Schlimmeres zu tun. Sobald er offiziell ein Verbrecher war, konnten sie ihm alles antun.