Während sie gehorsam langsamer wurde, folgte das Pferd an der Spitze ihrem Beispiel. Lorkin öffnete den Mund, um den Sklaven zu warnen, dann schloss er ihn wieder, als der Mann ihm bedeutete zu schweigen. Sie hielten an. Selbst Lorkins Reittier blieb stehen und stellte die Ohren auf.
Lorkin konnte nichts hören, aber einer der Sklaven glitt von seinem Pferd und lief zu einer nahen Düne. Nachdem er sich für kurze Zeit hingehockt hatte, eine dunkle Gestalt vor dem Hintergrund des helleren Sandes, kam er zu ihnen zurückgeeilt.
»Eine Gruppe von acht Personen«, murmelte er.
Der andere Sklave nickte, dann wandte er sich an Lorkin. »Wahrscheinlich Verräter. Ichani reisen allein und mit nur wenigen Sklaven.«
Lorkin nickte. Sein Herz raste. Er machte Anstalten abzusitzen, aber der Sklave runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Bleibt im Sattel. Nur für den Fall, dass wir uns irren.«
Der andere Sklave stieg wieder auf sein Pferd. Sie bewegten sich in den langen, niedrigen Schatten einer Düne hinein, die sie nur halb verbarg.
Was, wenn es ein Ichani ist? Die nächtliche Kühle durchdrang Lorkins Kleidung. Was, wenn es mehr als einer ist? Wir können fliehen, aber würden wir weit kommen? Könnte ich ihre Versuche, uns festzuhalten, mit Magie lange genug behindern, um zu entkommen? Ich bezweifle, dass noch viel von Tyvaras Magie übrig ist, und selbst wenn ich alles hätte, könnte ich nicht mehrere Ichani besiegen.
Gestalten erschienen im Tal zwischen den Dünen vor ihnen. Das Leuchten des Himmels war wärmer geworden und tauchte die Neuankömmlinge jetzt in einen goldenen Schein. Obwohl alle Hosen und Kittel trugen, war es leicht, Frauen von Männern zu unterscheiden. Alle trugen einen Gürtel über ihrem Wams, und an jedem Gürtel war eine Scheide befestigt. Im Gegensatz zu den Klingen der Ashaki waren die Griffe der Messer schmucklos, und die Scheiden waren gerade, nicht gebogen. Als Lorkin die Gestalt an der Spitze erkannte, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus.
Savara.
Sie kam auf sie zu, ohne Hast, aber entschieden. Lorkin schaute an ihr vorbei und suchte nach dem Gesicht, nach dem er sich am meisten sehnte, und sein Puls beschleunigte sich, noch während er sich gegen eine mögliche Enttäuschung wappnete. Als sein Blick ihren fand, dachte er, er müsse sich irren. Dann lächelte sie, und sein Herz machte einen Satz, und eine tiefe Sehnsucht, sie in die Arme zu nehmen und ihren Körper an seinem zu spüren, stieg in ihm auf. Er saß ab, ebenso wie die Sklaven, zwang sich aber, still stehen zu bleiben und sich der neuen Königin der Verräter zu stellen.
»Gal. Tika. Genau dort, wo ihr sein solltet«, sagte Savara und lächelte, als sie die Sklaven erreichte. Dann wandte sie sich an Lorkin. »Es ist schön, Euch wiederzusehen, Lord Lorkin. Wir haben uns Sorgen gemacht, dass wir vielleicht in den Palast würden einbrechen müssen, um Euch zu holen. Das haben wir seit Jahrhunderten nicht mehr tun müssen.«
Er legte eine Hand aufs Herz und wartete. Sie lächelte traurig, dann nickte sie.
»Ich freue mich auch, Euch zu sehen, Euer Majestät«, erwiderte er. Immer noch unsicher, was das Protokoll der Verräter vorsah, wenn eine Monarchin gestorben war, beschloss er, es im Zweifelsfall bei schlichten Worten zu belassen. »Ich war sehr bekümmert, als ich vom Dahinscheiden Königin Zaralas hörte, aber ich habe mich gefreut, von Eurer Wahl zu hören.«
Sie senkte den Blick. »Man wird sich an sie erinnern.« Sie presste die Lippen aufeinander, dann drehte sie sich zu den Sklaven um. Während sie sich bei ihnen bedankte, sah Lorkin wieder zu Tyvara hinüber und sog ihren Anblick in sich auf, wobei er einer Welle der Ungeduld widerstand. Es fühlt sich an, als hätte ich sie seit Monaten nicht mehr gesehen.
Die Sklaven stiegen wieder auf ihre Pferde, einer von ihnen nahm die Zügel von Lorkins Reittier, und die beiden machten sich in östlicher Richtung auf den Weg. Sie verschwanden um eine Düne, auf eine orangefarbene Sonne zu, die von der bevorstehenden Hitze des kommenden Tages kündete.
»Jetzt müssen wir so schnell reisen wie nur möglich«, sagte Savara und führte ihn auf die anderen zu. »Eure Mutter erwartet uns in den Bergen.«
Er verspürte einen Stich der Furcht und des Eifers, vergaß jedoch beides, als Tyvara vortrat, um ihn zu begrüßen. Sie lächelte breit.
»Ich bin so froh, dass der König dich hat gehen lassen. Savara sagte, der König würde es nicht wagen, dir etwas anzutun, aber das hat mich nicht daran gehindert, mir Sorgen zu machen.« Sie ergriff seine Hände. Dann trat sie dicht vor ihn hin und küsste ihn schnell, wich jedoch zurück, als er versuchte, sie fester an sich zu ziehen; ihr Blick flackerte zu den anderen, und sie sah ihn warnend an, mit einem Ausdruck, der deutlich sagte: »Nicht jetzt.« Er verspürte Enttäuschung, schob die Regung jedoch beiseite. Sie war hier. Das war für den Moment genug.
»Ich bin nicht der Einzige, der freigelassen wurde«, bemerkte er.
Sie zuckte die Achseln. »Ich habe wichtigere Dinge zu tun, als mich um die Abwasserkanäle zu kümmern. Und ich bin mir sicher, dass ich meine Strafe absitzen muss, sobald wir fertig sind.«
Die Gruppe drehte um und bewegte sich in die Richtung, aus der sie gekommen war. Jemand reichte Lorkin ein Bündel und murmelte, dass er darin eine Wasserflasche finden werde. Er schulterte das Bündel und blickte Tyvara an. Sie beobachtete ihn stirnrunzelnd.
»Was ist los?«
Sie senkte die Stimme. »War es schlimm im Gefängnis des Königs?«
Bei dieser Frage krampfte sich sein Magen zusammen. Plötzlich war die Unbeschwertheit in seinem Herzen erloschen, und die Erschöpfung kehrte zurück. Er wandte den Blick ab.
»Spaß hat es nicht gemacht«, antwortete er achselzuckend. Sollte ich ihr von dem Sklavenmädchen erzählen? Was wird sie von mir denken, wenn sie erfährt, dass ich dem Mädchen geholfen habe zu sterben? Vielleicht, wenn das Mädchen keine Verräterin gewesen ist … nein, ich denke nicht, dass das einen großen Unterschied machen würde. Trotzdem, Tyvara muss als Spionin einige schwierige Entscheidungen getroffen haben. Er holte tief Luft. »Du musst als Sklavin Schlimmeres durchgemacht haben.«
Sie erwiderte nichts. Er zwang sich, sie anzuschauen. Sie begegnete widerstrebend seinem Blick, dann sah sie zu Boden.
»Wäre das ein Problem für dich, wenn es so wäre?«, fragte sie.
Es war eine seltsame Art, ihre Antwort zu formulieren, aber als ihm die Bedeutung ihrer Worte klar wurde, verspürte er gleichzeitig Entsetzen und Zuneigung.
»Nein«, sagte er. »Ich bin … ich weiß, was … was dazu notwendig ist, wenn man sich als Sklave ausgibt. Es ist nicht so, als hättest du eine Wahl gehabt.«
»Aber ich hatte eine Wahl – ob ich eine Spionin sein wollte oder nicht.«
»Zum Wohl deines Volkes. Und um anderen zu helfen.« Dass ich dem Sklavenmädchen geholfen habe zu sterben, war dagegen nichts Nobles. Und doch hatte er sich nicht dafür entschieden, in diese Situation gebracht zu werden.
»Genug geredet«, sagte Savara und blickte sich nach Lorkin und Tyvara um. »Die Ichani waren weit entfernt, als wir das letzte Mal nachgesehen haben, aber sie können unberechenbar sein. Wir sollten schweigend weiterreisen.«
Tyvara runzelte die Stirn und biss sich auf die Lippe. Während sie weiterritten, schaute sie ihn von Zeit zu Zeit an. Offensichtlich wollte sie ihm etwas sagen. Frustriert von der Notwendigkeit zu schweigen, konzentrierte er sich, bis er ihre geistige Präsenz spürte. Er stellte sich vor, ihre Gedanken wie ein Summen am Rand seiner Sinne hören zu können, nicht laut oder klar genug, um verständlich zu sein.
Schließlich konnte er es nicht länger ertragen. Er bewegte sich näher an sie heran und griff nach ihrer Hand.