Cery lächelte. »Ja. Aber lass uns dafür sorgen, dass sie uns dabei nicht alle umbringt.«
20
Erste Feindberührung
Von hoch oben überflutete die Sonne das Ödland mit Hitze und Helligkeit, die von der ausgedörrten Erde mit gleicher Heftigkeit wieder zurückgeworfen wurden. Im Zangengriff von Himmel und Erde trottete Lorkin zusammen mit den Verräterinnen durch die Wüste und versuchte, sich nicht vorzustellen, einem Ashaki in der Schlacht gegenüberzustehen.
Stattdessen dachte er an den Edelstein in seiner Tasche. Er hatte in der vergangenen Nacht, nachdem alle schliefen oder auf Wachposten waren, versucht festzustellen, ob er andere Steine spüren konnte, die in der Nähe vergraben waren, aber seine gedankliche Suche hatte nichts zutage gefördert. Doch das war kein Beweis dafür, dass seine Mutter sich irrte. Sie hatte gesagt, er würde sie nur finden, weil er schwarze Magie besitze, und seine Methode des Suchens hatte nichts Schwarzmagisches gehabt.
Ich hätte sie bitten sollen, es zu erklären. Aber er hatte nur einen letzten Augenblick mit ihr gehabt, am Morgen des vergangenen Tages, und er hatte die Gelegenheit genutzt, um sie nach einem anderen magischen Rätsel zu fragen. Ihr Blick war schärfer geworden, als er sich erkundigt hatte, ob sie von Magiern gehört habe, die in der Lage waren, spontane Gedanken anderer zu lesen, ohne sie dabei zu berühren.
»Dein Vater konnte es angeblich«, hatte sie ihm erzählt. »Ich habe immer vermutet, dass er dem Gerücht Nahrung gegeben hat, um die Angst oder die Ehrfurcht am Leben zu erhalten, mit der die Menschen ihn betrachteten – und wenn es zu Fragen nach anderen Fähigkeiten kam, die er nicht besitzen sollte, konnte er auf dieses Gerücht als ein Beispiel dafür hinweisen, wie töricht die Dinge waren, die wir Menschen von ihm glaubten.«
»Es war vielleicht keine Lüge«, hatte Lorkin erwidert.
Ihre Überraschung hatte sich wie immer in nachdenkliche Berechnung verwandelt. Was sie als Nächstes gesagt hatte, hatte er nicht erwartet. »Besser, du behältst das für dich«, hatte sie ihm geraten. »Es wird nur dazu führen, dass sich selbst jene, die dir am nächsten stehen, in deiner Nähe unbehaglich fühlen. Sei vorsichtig, dass du nicht mehr über andere erfährst, als du wirklich wissen willst.«
Sie hat nicht unrecht. Er konnte sich viele Situationen vorstellen, in denen es vielleicht peinlich sein würde, spontan die Gedanken eines anderen zu empfangen. Glücklicherweise konnte er lediglich die klarsten Gedanken wahrnehmen, und das nur, wenn er sich mit Macht konzentrierte.
»Lorkin.«
Tyvara war zu ihm zurückgekommen. Savara hatte sie zu sich gerufen, und die beiden Frauen hatten eine ganze Weile geplaudert.
»Ja?«
Sie lächelte. »Erzähl mir mehr über Lord Regin. Ist er besonders wichtig für die Gilde? Was denkst du, warum er zusammen mit deiner Mutter hierhergekommen ist?«
Lorkin runzelte die Stirn. »Er ist nicht wichtig. Nun, er stammt aus einem wichtigen Haus, aber er hat keine Position innerhalb der Gilde.«
»Also ist er nur eine Quelle der Magie für deine Mutter?«
Er versuchte, sich das vorzustellen, und scheiterte letztlich. Aber er hatte sich ausgemalt, dass Regin sich wie ein sachakanischer Quellsklave benahm, obwohl der Mann das nicht zu tun brauchte. Er muss nur Macht aussenden, und Mutter wird sie nehmen und lagern. Die beiden würden sich natürlich berühren müssen, aber sie brauchten nicht mehr zu tun, als sich an den Händen zu halten.
»Vielleicht«, erwiderte Lorkin. »Nun … wahrscheinlich.«
»Also, in welcher Beziehung stehen sie zueinander? Sind sie Freunde? Ein Liebespaar?«
»Nein. Tatsächlich haben er und meine Mutter sich als Novizen gehasst. Er hat sie schikaniert, bis sie ihn zu einem Duell herausgefordert hat. Sie hat ihn vernichtend geschlagen, und danach hat er sie in Ruhe gelassen.«
»Ein Duell?« Tyvara zog die Augenbrauen hoch, und ihr Lächeln wurde breiter. »Interessante Sitte.«
Lorkin sah sie mit schmalen Augen an. »Verspottest du die Gebräuche meines Volkes?«
»Ganz und gar nicht.« Sie versuchte, ernst zu wirken.
»Tust du doch«, beschuldigte er sie. Dann grinste er. »Es ist eine törichte Sitte. Soweit ich weiß, hatte zuvor schon Jahre niemand mehr einen Gegner zu einem Duell gefordert, und niemand hat es seither getan.«
»Dann muss es für sie das letzte Mittel gewesen sein.« Tyvara blickte nachdenklich drein. »Also sind sie nach ihrer großen Konfrontation gute Freunde geworden, wie das so oft passiert?«
»Nein. Mutter hat ihm nicht verziehen.« Obwohl Lorkin sich nicht daran erinnern konnte, dass sie es ausgesprochen hatte. Wenn überhaupt, hatte sie immer darauf hingewiesen, wie mutig Regin während der Invasion gewesen war. Widerstrebend.
Tyvara erwiderte nichts darauf, und er drehte sich um und sah, dass sie die Stirn runzelte.
»Warum fragst du?«
Sie blickte auf. »Nun … Savara und ich haben beide gedacht, dass es merkwürdig ist, dass die Gilde zwei Menschen auf eine derartige Mission schickt, die einander auf solch offensichtliche Weise schätzen. Wenn sie gefangen werden, könnte man den einen mit dem anderen erpressen.«
»Meine Mutter und Regin?« Lorkin schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Du bist auf der falschen Fährte.«
Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht hast du recht. Oder vielleicht hat die scheinbare Unmöglichkeit des Ganzen dazu geführt, dass die Gilde nicht begriffen hat, was für eine schlechte Wahl Regin ist. Vielleicht begreifen Sonea und Regin es auch selbst nicht.«
Lorkin schüttelte den Kopf und seufzte.
»Was?«
»Die mächtigsten Frauen in Sachaka, und was tun sie? Verschwenden ihre Zeit mit Tratsch und Kuppelei. Au!« Er rieb sich den Arm, wo sie ihn geschlagen hatte.
»Männer tratschen noch viel mehr«, erklärte sie. »Und es ist keine Zeitverschwendung, wenn es politische und kriegerische Konsequenzen hat.«
»Hat es die?«
»Es wird sie haben.« Sie hob den Kopf und kniff die Augen zusammen. »Ah.«
Er drehte sich um und schaute nach vorn. Sie hatten jetzt hinter Savara und den anderen Verräterinnen den Grat einer Düne erreicht. Vor ihnen lagen eine flache Ebene, die mit spärlicher Vegetation bedeckt war, und einen Marsch von einigen Stunden entfernt ein paar Gebäude.
»Du kannst immer noch deine Meinung ändern«, sagte sie zu ihm. »Niemand wird dich daran hindern, wenn du nach Kyralia zurückkehren willst. Auf dem Pass sind keine Ichani, die du fürchten müsstest.«
Bin ich wirklich mutig genug – töricht genug –, mich einem Volk anzuschließen, mit dem ich keine Blutsbande habe? Wage ich es, Krieg gegen die legendären Schwarzmagier zu führen, die mein Volk seit Jahrhunderten fürchtet?
Er sah Tyvara an und lächelte. »Wo du hingehst, gehe ich auch hin.«
Sie betrachtete ihn und schüttelte den Kopf. »Wann immer ich mich bei dem Gedanken ertappe, dass ich jemanden wie dich gar nicht verdiene, Lorkin, rufe ich mir ins Gedächtnis, dass du, wenn du bereit bist, mit mir zu kommen, vielleicht ein klein wenig verrückt bist.«
»Du denkst, meine Mutter und Lord Regin seien ineinander verliebt. Es ist nicht meine Vernunft, die hier in Frage steht.«
Sie grinste und wandte den Blick ab. »Wir werden sehen.«
Während sie schweigend ihren Weg fortsetzten, gingen ihm ihre Worte noch einmal durch den Sinn – und sein Lächeln verblasste. Würde sie ihn auch für so gut halten, wenn sie wüsste, was er mit dem Sklavenmädchen gemacht hatte? Er hatte es ihr noch nicht erzählt. Bisher hatte es keinen Grund dafür gegeben. Nein, das ist nicht ganz wahr. Es hat durchaus Gelegenheiten gegeben. Ich habe jedes Mal gedacht, dass es den Augenblick verderben oder die Stimmung trüben würde. Aber ich sollte es nicht länger hinausschieben. Die Verräterinnen werden vielleicht wissen müssen, was mit dem Mädchen passiert ist. Falls sie eine Verräterin war.