Von irgendwo weiter unten im Flur kam ein scharfes Geräusch, als jemand nach Luft schnappte. Cery sah Gol an, dann folgte er dem überraschten Blick seines Leibwächters zur Tür.
Jemand stand dort. Nein, begriff Cery. Jemand schwebte dort. Jemand, der ihm nur allzu vertraut war.
»Hier hast du also die ganze Zeit gesteckt«, sagte Skellin. Dann stieß er einen Pfiff aus. Aus einem entfernten Teil in den Tunneln kam eine durchdringende Antwort.
Cery streckte die Hand aus und hörte ein Zischeln, als das Ölpapier Feuer fing. Er sah einen Funken in Gols Richtung stieben, dann drehte er sich um und rannte auf die Tür zum Nebenzimmer zu.
Und krachte gegen die Wand.
Nein, nicht gegen die Wand. Gegen eine Barriere aus Magie. Cery fluchte, als er begriff, dass Gol auf das gleiche unsichtbare Hindernis getroffen war. Licht erfüllte den Raum – das unverkennbare Funkeln einer magischen Lichtkugel. Sein Freund sah ihn an, und seine Miene war grimmig und ängstlich. Cery schaute Gol in die Augen und verzog das Gesicht. Das war es also. Wir hätten vielleicht noch Zeit gehabt zu fliehen, wenn wir Skellin hätten näher kommen hören … Aber Skellin war geschwebt, um zu verhindern, dass man seine Schritte hören konnte. Als Cery sich zu seinem Feind umdrehte, sah er, dass die Flamme auf dem Ölpapier, das Gol entzündet hatte, in dem Loch verschwand. Er schloss die Augen und hielt den Atem an. Zumindest ist Anyi entkommen.
»Nun, nun. Nicht nötig, Euch schon gegen den tödlichen Schlag zu wappnen. Es wäre doch unhöflich von mir, Euch zu töten, ohne zuvor ein wenig zu plaudern. Hmm. Kein besonders großartiges Versteck.«
Cery öffnete die Augen und sah, dass der Magierdieb, dessen Schuhe jetzt den Boden berührten, auf ihn zukam. Zwei Männer traten hinter ihm in die Tür. Sie waren jung und muskulös. Skellin schaute sich im Raum um, dann sah er über Cerys Schulter ins Nebenzimmer. »Nicht so hübsch wie dein altes Versteck, soweit meine Mutter mir erzählt, obwohl es vielleicht der Geschmack deiner Frau war, was Dekoration betrifft, und du seit ihrem Tod in die Gewohnheiten deines Namensvetters zurückgefallen bist.«
Meine Frau … das Versteck … Kalter Schock und dann Hass schossen durch Cerys Adern. Lorandra hat meine Familie ermordet. Aber warum hätte sie das tun sollen, wo Skellin und ich damals noch keine Feinde waren?
»Obwohl du vielleicht froh warst, sie los zu sein. Du solltest so zornig werden, dass du ein Bündnis mit mir eingehst, damit ich den Jäger der Diebe für dich gefunden hätte«, sagte Skellin.
Cery starrte Skellin an. Er hat meine Familie getötet, damit ich den Wunsch entwickle, mich mit ihm zusammenzutun. Nachdem er den Jäger der Diebe »gefunden« hatte – ihn oder irgendeinen armen Lückenbüßer –, hätte ich in seiner Schuld gestanden. Er schaute zu der anderen Wand hinüber und suchte nach der Flamme, die er in Brand gesteckt hatte. Er sah keinen Lichtfunken. Auch er war in der Wand verschwunden. Schon bald würde er Skellin in die Luft sprengen …
Gol fluchte und senkte den Kopf. »Tut mir leid, Cery«, murmelte er. »Es hätte inzwischen losgehen müssen.«
Cery fluchte ebenfalls, als ihm klar wurde, dass die Falle versagt hatte. Gol hatte ihm gezeigt, dass Minenfeuer funktionierte. Warum tat es das jetzt nicht?
»Worüber plaudert ihr?« Skellin kam näher und kniff seine seltsamen Augen zusammen. Er beugte sich zu Cery vor, und sein Mund verzog sich zu einem freudlosen Lächeln. »Es fehlt jemand hier, nicht wahr? Wo ist deine Tochter, Ceryni?«
Cerys begann das Herz in der Brust zusammenzuschrumpfen, aber er zwang sich zu einem Lachen. »Erwartest du wirklich von mir, dass ich dir das verrate?«
Skellin zuckte die Achseln, dann straffte er sich und sah sich um. »Nein. Aber meine Quellen in der Gilde sagen mir, dass sie hier unten bei dir ist. Ich frage mich, wo sie sein könnte.«
»In Sicherheit vor dir«, erwiderte Cery. Quellen in der Gilde? Also entsprechen die Gerüchte der Wahrheit. Aber woher wissen sie, dass Anyi hier ist?
»Ach ja?« Skellin musste die Barriere entfernt haben, da er sich an Cery vorbei ins Nebenzimmer bewegte. Seine Lichtkugel schwebte vor ihm her. »Wer schläft denn in dem dritten Bett?«
»Jemand, den du nicht kennenlernen möchtest.«
Skellin gab keine Antwort. Er blickte zu dem Gang, der zu den Magierquartieren führte. Obwohl er das Gesicht abwandte, erkannte Cery an der Haltung seiner Schultern, dass er auf etwas lauschte.
Anyi und Lilia? Eine Woge der Hoffnung schlug über Cery zusammen, gefolgt von Furcht. Ich hoffe, Lilia ist bereit für das, was sie hier erwartet, und ich hoffe, dass Anyi klug genug ist, aus dem Weg zu bleiben.
Skellin machte einen Schritt auf die Tür zu, dann noch einen. Cery spürte, dass Gol sich geduckt hatte. Er wandte den Blick ab und sah, dass sein Leibwächter eine immer noch brennende Kerze aufgehoben hatte. Skellins zwei Gefolgsleute waren jedoch in den Raum getreten. Sie würden Gol daran hindern können, an eines der Minenfeuerrohre in der Wand heranzukommen.
Ein Lachen lenkte Cerys Aufmerksamkeit wieder auf Skellin. Der wilde Magier war in den Tunnel getreten. Er streckte eine Hand nach etwas aus, das Cery nicht sehen konnte. Eine allzu vertraute Stimme fluchte. Anyi erschien und wehrte sich, während eine unsichtbare Kraft sie in Skellins Arme trieb.
Bei ihrem Anblick tat Cerys Herz einen Satz und krampfte sich zusammen wie ein Tier, das zu fliehen versucht – und es tat weh. Er ballte die Fäuste gegen den Schmerz und machte einen Schritt nach vorn, aber etwas hielt seine Beine fest. Auch Gol kam taumelnd zum Stehen.
Wo ist Lilia? Als Skellin die Hand ausstreckte, um Anyi zu packen, hörte sie auf, Widerstand zu leisten, und sprang vorwärts. Gewiss ist Anyi nicht ohne Lilia zurückgekehrt. Aber die Hand, mit der sie Skellin treffen wollte, verdrehte sich, als sie auf seinen Leib traf, und Anyi fluchte vor Schmerz. Skellin ergriff sie am Handgelenk und drückte ihr das Messer aus den Fingern. Aber wenn sie Lilia nicht finden konnte, dann …
Der Dieb sah grinsend zu ihm auf. »Sicher vor mir, was? Sieht so aus, als hättest du es einmal mehr nicht geschafft, deine Familie zu beschützen, Ceryni.«
Cery knirschte mit den Zähnen. Hatte Anyi Lilia zumindest eine Nachricht geschickt? War Lilia auf dem Weg? Cery wollte Anyi fragen, aber der Schmerz in seiner Brust machte ihm das Atmen schwer, und er wollte Skellin nicht vorwarnen, dass Lilia kam. Wir müssen ihn aufhalten. Lilia Zeit verschaffen …
Anyi wehrte sich noch immer, aber sie konnte nichts tun, um Skellin zu verletzen oder aus dem Gleichgewicht zu bringen. Cery schwankte, als eine Welle des Schwindels ihn traf, und der Raum verdunkelte sich. Als seine Sicht sich wieder klärte, sah er, dass Skellin Anyi an eine Wand gestoßen hatte. Sie blieb dort, festgehalten von Magie. Skellin pfiff, und die Männer drängten an Cery vorbei.
»Durchsucht und fesselt sie.«
Anyi biss die Zähne zusammen, als die Männer ihr den Mantel auszogen und sie nach Waffen abtasteten. Cery schlang schmerzende Arme um seine Brust und schnappte nach Luft, um zu sprechen.
»Du willst mich, nicht sie«, brachte er heraus.
Skellin lachte. »Ich will euch alle drei. Aber ihr müsst in der richtigen Reihenfolge sterben. Und …« Skellin schaute nach oben, als könnte er die Magier über ihnen sehen. »Nicht hier.« Dann wanderte sein Blick von Cery zu Gol. Er rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf. »Du bist die Mühe nicht wert.« Seine Augen wurden schmal, und Cery hörte ein übelkeiterregendes Knacken. Gol schrie vor Qual und Überraschung auf und fiel zu Boden.
Nein! Ich muss ihn daran hindern, Gol zu töten. Ich muss ihn aufhalten! Cery versuchte, an dem Feuer in seiner Brust vorbeizudenken. Eine Möglichkeit zu finden, um Skellin noch eine Weile aufzuhalten. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, konnte aber nur keuchend nach Luft schnappen. Eine weitere Woge der Schwärze verzehrte ihn, und seine Knie wurden weich. Er hatte den Verdacht, dass einzig Skellins Magie ihn aufrecht hielt. Was hat er mit mir gemacht?