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Eine von ihnen hätte es ihr sagen sollen, wenn sie etwas Neues unternahmen. Das Geheimnis um Desaine band sie aneinander. Die Enthüllung dessen würde selbst für eine Weise Frau ein Leben voller Qual - und was noch schlimmer war, voller Scham - bedeuten, wenn sie dann versuchen müßte, ihrem Toh zu begegnen, sofern sie nicht einfach nackt in die Wildnis gejagt wurde, um entweder zu leben oder zu sterben, und wahrscheinlich von jedermann, der sie fand, wie ein Tier getötet wurde. Sevanna zweifelte dennoch nicht daran, daß es ihnen genauso viel Vergnügen wie allen anderen bereitete, die Dinge vor ihr geheimzuhalten, die Weise Frauen während ihrer Ausbildung und bei den Reisen nach Rhuidean lernten. Dagegen mußte etwas getan werden, aber erst später. Sie würde keine Schwäche zeigen, indem sie fragte, was sie jetzt taten.

Sie wandte sich wieder dem Kampf zu und stellte fest, daß sich das Gleichgewicht verlagert hatte -anscheinend zu ihren Gunsten. Im Süden sanken die Feuerkugeln und Lichtblitze unverändert schwer herab, aber nicht mehr vor ihr und anscheinend auch nicht mehr im Westen und Norden. Was auf die Wagen niedergehen sollte, traf nur selten, und doch ließen die Bemühungen der Aes Sedai entschieden nach. Sie waren in die Defensive gedrängt worden. Sie siegte tatsächlich!

Noch während dieser Gedanke sie heiß durchströmte, wurden die Aes Sedai still. Nur im Süden fielen noch Feuer und Blitze zwischen die Algai'd'siswai. Sevanna Öffnete den Mund zu einem Siegesruf, als sie eine weitere Erkenntnis verstummen ließ. Feuer und Blitze brachen über die Wagen herein, brachen herein und krachten gegen irgendein unsichtbares Hindernis. Der Rauch der brennenden Wagen begann im Aufwärtsstreben die Umrisse einer Kuppel abzuzeichnen und entwich schließlich aus einer Öffnung oben in der unsichtbaren Umhüllung.

Sevanna wirbelte zu der Reihe der Weisen Frauen herum, und ihr Gesichtsausdruck bewirkte, daß mehrere der Frauen vor ihr und vielleicht auch vor dem Speer in ihrer Hand zurückwichen. Sie wußte, daß sie bereit wirkte, ihn zu benutzen. Und sie war tatsächlich dazu bereit. »Warum habt Ihr das zugelassen?« wütete sie. »Warum? Ihr solltet verhindern, was immer sie vorhatten, und sie nicht weitere Mauern errichten lassen.«

Tion wirkte, als wollte sie ihren Magen entleeren, aber sie stemmte die Fäuste in ihre breiten Hüften und sah Sevanna direkt an. »Das waren nicht die Aes Sedai.«

»Nicht die Aes Sedai?« spie Sevanna aus. »Wer dann? Die anderen Weisen Frauen? Ich sagte Euch, daß wir sie angreifen sollten!«

»Es waren keine Frauen«, erklärte Rhiale mit schwankender Stimme. »Es waren keine...« Sie schluckte mit bleichem Gesicht.

Sevanna wandte sich langsam zu der Kuppel um und dachte erst dann wieder daran, daß sie atmen mußte. Etwas war durch die Öffnung, durch die der Rauch entwich, aufgestiegen. Eines der FeuchtländerBanner. Der Rauch konnte es nicht vollständig verbergen. Karmesinrot, mit einer halb weißen und halb schwarzen Scheibe, die Farben durch eine gewundene Linie voneinander getrennt, genau wie bei den Stoffstreifen, die die Siswai'aman trugen. Rand al'Thors Banner. War er womöglich stark genug, um freigekommen zu sein, alle Aes Sedai überwältigt und dieses Banner gehißt zu haben? So mußte es sein.

Der Sturm brandete noch immer gegen die Kuppel an, aber Sevanna hörte hinter sich ein Murmeln. Die anderen Frauen dachten an Rückzug. Sie nicht. Sie hatte schon immer gewußt, daß man Macht am leichtesten erlangen konnte, indem man Menschen besiegte, die diese Macht bereits besaßen. Und sie war schon als Kind sicher gewesen, daß sie mit den Waffen geboren wurde, dies zu tun. Suladric, Clanhäuptling der Shaido, fiel ihr mit sechzehn zum Opfer, und als er starb, erwählte sie jene, die ihm höchstwahrscheinlich folgen würden. Muradin und Couladin glaubten jeder, er allein habe ihre Aufmerksamkeit erweckt, und als Muradin, wie so viele Männer, nicht aus Rhuidean zurückkehrte, konnte sie Couladin mit einem Lächeln davon überzeugen, daß er sie überwältigt hatte. Aber die Macht eines Clanhäuptlings verblaßte neben derjenigen des Car'a'carn, und selbst sie war nichts angesichts dessen, was sie jetzt vor sich sah. Sie zitterte, als hätte sie gerade in einem Schwitzzelt den unvorstellbar wundervollsten Mann gesehen. Wenn Rand al'Thor ihr gehörte, würde sie die ganze Welt erobern.

»Bedrängt sie stärker«, befahl sie. »Stärker! Wir werden diese Aes Sedai für Desaine demütigen!« Und sie bekäme Rand al'Thor.

Plötzlich erklang ein Brüllen von der Kampffront. Männer riefen und schrien. Sevanna fluchte, weil sie nicht sehen konnte, was geschah. Sie rief den Weisen Frauen erneut zu, unvermindert voranzudrängen, aber wenn überhaupt eine Reaktion erkennbar war, schien es eher, als würde der Flammen- und Blitzregen gegen die Kuppel nachlassen. Und dann konnte sie etwas sehen.

In der Nähe der Wagen explodierten in den Cadin 'sor gekleidete Gestalten und Erde mit donnerndem Krachen in der Luft, nicht nur an einer Stelle, sondern in einer langen Reihe. Der Boden explodierte immer wieder, jedes Mal ein wenig weiter von den eingekreisten Wagen entfernt. Es war keine Linie, sondern ein fester Ring explodierender Erde und Männer und Töchter des Speers, der zweifellos ganz um die Wagen herumführte. Immer und immer wieder, sich ständig erweiternd, und plötzlich drängten Algai'd'siswai an ihr vorbei, kämpften sich durch die Reihe der Weisen Frauen und liefen davon.

Sevanna schlug mit ihrem Speer auf sie ein, drosch auf Köpfe und Schultern und kümmerte sich nicht darum, wenn sie die Speerspitze befleckter zurückzog, als sie schon zuvor gewesen war. »Bleibt und kämpft! Bleibt, für die Ehre der Shaido!« Sie liefen an ihr vorbei, ohne sie zu beachten. »Habt Ihr denn keine Ehre? Bleibt und kämpft!« Sie stach einer fliehenden Tochter des Speers in den Rücken, aber die anderen trampelten einfach über die gefallene Frau hinweg. Sevanna erkannte jäh, daß einige der Weisen Frauen fort waren, und sah, daß andere Verletzte aufhoben. Rhiale wandte sich zur Flucht, aber Sevanna ergriff den Arm der größeren Frau und bedrohte sie mit dem Speer. Es kümmerte sie nicht, daß Rhiale die Macht lenken konnte. »Wir müssen bleiben! Wir können ihn noch immer bekommen!«

Das Gesicht der anderen Frau war eine angstvolle Maske. »Wenn wir bleiben, sterben wir! Oder wir enden angekettet vor Rand al'Thors Zelt! Bleibt und sterbt, wenn Ihr wollt, Sevanna. Ich bin kein Steinsoldat!« Damit riß sie ihren Arm los und eilte ostwärts.

Sevanna blieb noch einen Moment stehen, von Männern und Töchtern des Speers hierhin und dorthin geschoben, die sich voller Entsetzen vorbeidrängten. Dann warf sie den Speer fort und tastete nach ihrer Gürteltasche, in der ein kleiner Würfel mit komplizierten Schnitzereien lag. Gut, daß sie gezögert hatte, ihn fortzuwerfen - sie besaß noch eine Sehne für ihren Bogen. Sie raffte ihre Röcke und schloß sich der hastigen Flucht an, aber während alle anderen vor Entsetzen flohen, lief sie mit einem Kopf voller Pläne davon. Sie würde Rand al'Thor auf Knien vor sich sehen, und die Aes Sedai ebenfalls.

Schließlich verließ Alviarin Elaidas Räume, äußerlich so kühl und gelassen wie immer, aber innerlich fühlte sie sich ausgelaugt. Es gelang ihr, steten Schrittes die lange, gewundene Treppe hinabzugehen, die gänzlich aus Marmor bestand. Livrierte Diener verbeugten sich oder vollführten den Hofknicks, während sie zu ihren Aufgaben eilten, denn sie sahen in ihrer Aes-Sedai-Ruhe nur die Behüterin der Chronik. Während sie weiter hinabging, begegnete sie zunehmend mehr Schwestern, von denen einige die Stolen in den Farben ihrer Ajahs trugen, als wollten sie durch Förmlichkeit unterstreichen, daß sie tatsächlich vollwertige Schwestern waren. Sie beäugten sie recht unbehaglich, während sie vorüberging. Die einzige, die sie nicht beachtete, war Danelle, eine verträumte Braune Schwester. Sie hatte geholfen, Siuan Sanche zu stürzen und Elaida zu erheben, aber als gedankenverlorene Einzelgängerin, die nicht einmal in ihrer eigenen Ajah Freunde besaß, schien sie nicht zu bemerken, daß sie anschließend beiseite geschoben worden war. Andere waren sich dessen nur zu bewußt. Berisha, eine hagere, hartäugige Graue, und Kera mit dem hellen Haar und den dunklen Augen, die bei Tairenern selten waren, und all der Überheblichkeit, die bei Grünen wiederum so häufig war, vollführten zumindest Hofknickse. Norine hätte es ihr beinahe gleichgetan. Mit ihren großen Augen manchmal fast so verträumt wie Danelle und genauso einsam, ärgerte sie sich über Alviarin. Wenn die Behüterin der Chronik schon aus den Reihen der Weißen erhoben wurde, hätte es ihrer Meinung nach Norine Dovarna sein sollen.