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Einige Tage später stand Imperia in der Loggia und blickte auf die Dompfaffen und Zeisige, die sich in dem Springbrunnen tummelten, den sie so sehr liebte. Die Nachmittagssonne tauchte den Garten in ein goldenes Licht. Kein Lüftchen bewegte sich, und es duftete nach trockenem Gras. Sie nahm einen großen Schluck aus dem Glas mit Rotwein, das sie in der rechten Hand hielt, die linke stützte sie auf die Balustrade. Eine tiefe Gelassenheit lag in ihren Augen. Ihr ganzes Gesicht drückte fast so etwas wie Zufriedenheit mit ihrem letzten Geschäft aus. Sie kannte ihren Ruf als die göttliche Hetäre, als die am meisten umworbene und die teuerste Kurtisane von Rom. Das sollte ihr niemand mehr nehmen können.

Mitten in der Nacht hörte Bramante, wie jemand heftig an die Tür seines Hauses pochte. Er legte die Bibel beiseite. Beim Abendessen hatte er versucht, mit Lucrezia zu sprechen, doch sie war für seine vernünftigen Argumente nicht zugänglich gewesen. Er war immer noch schlecht gelaunt wegen dieses Streits und sprang aus dem Bett. Mit einem unwirschen Knurren warf er sich einen Mantel über. Auf der Treppe stieß er mit Ascanio zusammen, der sein Schwert in den Händen hielt. Im Vestibül stand Imperias Kammerdiener. Er war völlig außer Atem und wirkte erschüttert.

»Was ist passiert?«, fragte Bramante. Sein Herz zog sich vor Angst zusammen.

»Kommt, kommt schnell, Madonna Imperia liegt im Sterben!«

Die Nachricht traf Bramante wie ein Beil. Nach einer Schrecksekunde packte er den Boten an der Schulter und rüttelte ihn kräftig. »Wie, im Sterben? Sag endlich, was geschehen ist, du Schuft!«

»Messèr, sie hat Gift getrunken, Messèr Donato!«

»Gift? Bist du sicher, dass sie nicht vergiftet worden ist, sondern Gift getrunken hat?«

»Vollkommen!«

»Aber warum? Warum ist sie nicht zu mir gekommen? War sie denn nicht glücklich?« Er blickte zu Ascanio und rief ihm zu. »Wecke Lucrezia, rasch! Und dann komm mit ihr zu Chigis Palazzo!« Dann stürmte er aus dem Haus.

Böiger Wind kam auf. Als Bramante durch die Straßen eilte, pfiff er heulend um die Giebel der Häuser. Tiefschwarze Wolken ballten sich in atemberaubender Geschwindigkeit über der Ewigen Stadt zusammen. Eine halbe Stunde später hastete er bereits die elegante Freitreppe in den ersten Stock in Chigis Palazzo hinauf, in dem das Schlafzimmer lag. Vor der offenen Tür stand Agostino Chigi im Korridor. Er wirkte wie ein Schatten seiner selbst, und aus seinen Augen sprach eine Verzweiflung, die an Wahnsinn grenzte. Er sah Bramante an, aber er erkannte ihn nicht. Aus Imperias Schlafzimmer trat Bonet de Lates. Er nickte dem Architekten kurz zu, dann wandte er sich an den Bankier. »Ihr müsst jetzt sehr stark sein. Vor dem starken Gift versagt meine Kunst. Ich kann nichts mehr für sie tun.«

»Und wenn wir sie zum Erbrechen bringen?«

»Zu spät. Das Gift wütet schon in den purpurnen Flüssen unter der Haut und frisst ihr Herz.«

»Nicht das Gift, mein Verrat hat sie getötet«, murmelte Chigi und sackte noch mehr in sich zusammen.

»Geht hinein! Sie will euch beide sehen!«

Nach Chigi, der wie ein geprügelter Hund die Schultern eingezogen hatte, betrat Bramante das Schlafzimmer. Das Fresco Sodomas mit der fast nackten Roxane wirkte in diesem Augenblick eigenartig fehl am Platze. Blass und durchscheinend lag Imperia auf dem Bett. Noch nicht ganz fort, aber auch schon nicht mehr von dieser Welt. Bramantes Herz schmerzte so heftig, dass er glaubte, es würde ganz wund davon und könnte stehen bleiben.

»Meine beiden Männer!«, flüsterte Imperia mit einem zärtlichen Lächeln. Mit ihrer langen, zarten Hand wies sie auf ihre Bettkante. Verunsichert wollte jeder der beiden dem anderen den Vortritt lassen, Bramante, weil er wusste, dass Chigi Imperias inoffizieller Ehemann war, und Agostino Bramante aus Schuldgefühl ihm gegenüber.

»Für Förmlichkeiten haben wir keine Zeit«, sagte der Architekt schließlich und setzte sich ihr zur Linken, der Bankier ihr zur Rechten. Sie legte den Finger an die Lippen und forderte die beiden Männer sanft und nachdrücklich zum Schweigen auf.

»Schwört, dass ihr alles, was in eurer Macht steht, für Lucrezia tun werdet. Schwört bei Gott! Bei eurer ewigen Seligkeit!« Die beiden Männer hoben die Hand und leisteten den Eid. »Gräme dich nicht, Agostino, und heirate die Gräfin. Wir hatten eine gute Zeit. Ich hatte viel Glück. Viel Glück!« Schmerzen verzerrten Imperias Gesichtszüge, aber sie kämpfte tapfer dagegen an. »Wisst ihr denn nicht, dass man gehen soll, bevor die Neige ausgetrunken ist?« Sie blickte zur Tür, und ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. »Lasst uns allein«, hauchte sie.

In der Tür stand Lucrezia, kalkweiß und mit schreckgeweiteten Augen. Schweigend verließen die beiden Männer das Zimmer. Vor der Tür sahen sie sich stumm an. Bramante befand sich in einem heftigen Zwiespalt, ob er den Bankier umarmen oder verprügeln sollte. Er hätte beides gern getan. Aus dem Zimmer klang ab und zu leises Gewisper. Wie zwei junge Mädchen, die miteinander alberten. Bramante fürchtete, den Verstand zu verlieren. Dann zerriss der schrille Schrei Lucrezias die Stille.

Im gleichen Augenblick erklomm niemand Geringeres als Papst Julius II. die Treppe und ging an den beiden Männern vorbei ins Schlafzimmer. Mit wenigen großen Schritten hatte er das Bett erreicht. Er schloss Imperias Augen und machte mit dem Daumen das Kreuzeszeichen auf ihre Lider. Dann nahm er Lucrezias Hand. »Komm, mein Mädchen, lass uns beten!« Sie knieten nieder, Hand in Hand, ein fünfzehnjähriges Mädchen und der neunundsechzigjährige Stellvertreter Christi. Sie knieten nieder, um für eine Kurtisane zu beten. Nie war der Papst seinem Gott näher gewesen, der auch Maria Magdalena verziehen hatte.

In dieser Nacht entlud sich ein furchtbares Unwetter aus Gewitter und Hagel über Rom. Die Hagelkörner hatten die Größe von Taubeneiern. Zwei Tage später machte ein Epigramm des Dichters Gian Francesco Vitale in der Stadt die Runde. Agostino Chigi hatte es in Auftrag gegeben: »Die Alten verloren ein Weltreich, wir aber, wir haben unser Herz verloren« – die Worte spielten geistvoll mit den Worten Imperium und Imperia.

Agostino Chigi trug Trauer. Er richtete Imperia ein pompöses Begräbnis aus und ließ sie in Santa Maria del Popolo begraben. Auch erwarb er in dieser Kirche eine Kapelle, in der er selbst dereinst beigesetzt werden wollte, in der Nähe der geliebten Frau. Die Ehe mit Margarita Gonzaga kam nicht mehr zustande. Man wahrte die Form und ließ verlauten, Margarita habe sich in letzter Minute anders entschlossen.

Kurze Zeit nach Imperias Tod bat Bramante Antonio, wieder bei ihm einzuziehen und mitzuhelfen, Lucrezia zu trösten. Zuvor nahm er ihm den Schwur ab, sie nicht zu verführen und zu entehren. Allerdings musste Antonio mit einer Kammer unter dem Dach vorliebnehmen, während sich Lucrezias Zimmer neben Bramantes Schlafgemach befand. Der Architekt vertraute seinem Gehilfen blind, nicht aber den Kräften seines Körpers.

Antonio täglich – wenn auch nur kurz – zu sehen, schenkte Lucrezia ein wenig Trost. Vierzehn und mehr Stunden am Tag hielt ihn der Bau des Petersdomes in Atem, denn nach dem Willen des Papstes musste er den Westchor so schnell wie möglich hochziehen. Jenen Westchor, den Bramante und er für überflüssig hielten. Dadurch kamen die Arbeiten an der Vierung zum Erliegen, was Antonio ärgerte, Bramante aber so deprimierte, dass er jedes Interesse am Fortgang des Baugeschehens verlor und sich lieber auf den anderen Baustellen herumtrieb. So lag die ganze Last der Baustelle am Petersdom auf Antonios jungen Schultern. Die Zeit, die übrig blieb, verbrachte er mit Lucrezia. Das war schön und schwierig zugleich, denn ihre Liebe wuchs von Tag zu Tag, und das Versprechen der Enthaltsamkeit empfanden die beiden jungen Menschen als Folter.