Выбрать главу

Kurz nach Mitternacht hauchte Julius seine Seele aus. Klein und zerbrechlich wirkte der Mann, der allen immer als ein Hüne erschienen war. Am anderen Morgen bahrte man seine Leiche in der kalten und zugigen Petersbasilika auf, an einer Stelle, wo es nicht hineinregnete. Das Volk drängte sich in die Basilika und zog gesenkten Hauptes und mit Tränen in den Augen an Giuliano della Rovere vorbei, der in ihren Augen ein großer Papst und ein großer Herrscher gewesen war.

Nach der Totenwache nahm Giovanni de Medici den Erzpriester des Petersdomes, Kardinal Catalano, zur Seite. »Für wen werdet Ihr im Konklave stimmen?«

»Das werdet Ihr im Konklave sehen!«

Giovanni de Medici lächelte und wiegte den Kopf. »Für unseren lieben Bruder Alessandro Farnese werdet Ihr stimmen. Und er hat es mit Sicherheit verdient, vortrefflich, wie er ist. Allerdings wünschen die jüngeren Kardinäle, dass ich auf unseren teuren Julius folge. Ein Wunsch, dem ich mich aus christlicher Nächstenliebe nur schwer entziehen kann. Und wie die jungen, fühlen auch ein paar ältere Brüder dieses Verlangen. Ihr solltet Euch dieser Klugheit nicht verschließen.«

Der Dominikaner sah den Medici erstaunt an. »Warum sollte ich Euch wählen?«

»Weil Ihr damit die Schuld sühnen könnt, die Ihr am Ableben des Grafen Giovanni Pico della Mirandola tragt. Ihr müsst wissen, der Princeps Concordiae war einer meiner Lehrer, den ich verehrt und sehr geliebt habe.«

Fassungslos starrte der Erzpriester den Kardinal an, aber der sprach ungerührt weiter. »Glaubt mir, ich würde es nicht glauben und Euch selbst verteidigen gegen jedermann, wenn nicht stichhaltige Beweise mir das Ausmaß Eurer Sündhaftigkeit und Fehlbarkeit vor Augen geführt hätten.«

Giacomo musterte den Medici, dann dachte er lange nach. Schließlich presste er hervor: »Wenn Ihr Frà Giocondo zum verantwortlichen Architekten von Sankt Peter macht, werde ich Euch wählen.«

»Nach Donatos Tod.«

»Selbstverständlich nach dem Tod Bramantes!«

Geschickt hatte der Sohn Lorenzos des Prächtigen die Forderung des Erzpriesters in eine offene Wette verwandelt. Frà Giocondo war mindestens so alt wie Bramante. Niemand wusste, wer von den beiden zuerst das Zeitliche segnen würde.

Als Lucrezia in Begleitung von Antonio auf dem Petersplatz ankam, hatte sich dort bereits eine unüberschaubare Menschenmenge eingefunden, in der sie darauf achten mussten, nicht totgetreten zu werden.

Zur gleichen Zeit nahm Ascanio Abschied von Bramante. Es gab für den Leibwächter nichts mehr zu tun, und es drängte ihn zu neuen Abenteuern hinaus in die Welt, bevor er träge und alt würde. Zudem hatte er mit Erschrecken festgestellt, dass seine Liebe zu Lucrezia von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat größer wurde. Er fürchtete sich davor, etwas Unbedachtes zu tun, und zog lieber in die Ferne. Ascanio hatte diesen Augenblick gewählt, weil Lucrezia außer Haus war und er nicht wusste, ob er es über das Herz brächte, ihr Lebewohl zu sagen. Die beiden Männer, die so viele Gefahren miteinander überstanden hatten, umarmten sich herzlich und nahmen Abschied voneinander, wohl für immer, wie sie dünkte.

Lucrezia und Antonio hatten gerade einen guten Platz gefunden, als Kardinal Alessandro Farnese mit undurchsichtigem Gesicht verkündete, dass sie einen neuen Papst hätten, den hoch zu verehrenden Kardinal Giovanni de Medici, der sich Leo X. nannte. Das Volk jubelte, denn Giovanni de Medici war wegen seiner Freigebigkeit und seines heiteren Wesens allseits beliebt. Schon auf dem Rückweg zu Bramantes Palazzo hörten sie ein Epigramm, das wie ein Lauffeuer Verbreitung fand: »Einst hatte Venus geherrscht, dann kam an die Reihe der Kriegsgott. Nun beginnt der Tag, hehre Minerva, für dich.« Damit spielte der Dichter auf die Amouren des Borgia-Papstes Alexanders VI. an und auf die Feldzüge des kriegerischen Papstes Julius II. Von dem Pontifikat Leos X. erwarteten die Römer vor allem Geschick, Friedensliebe und Weisheit. Als Motto wählte er den Psalm 119,1: »Zu dem Herrn rufe ich, wenn ich in Trübsal bin, und er erhört mich.«

Doch die Freude der beiden jungen Leute war wie weggeblasen, als sie bei ihrer Heimkehr erfuhren, dass Ascanio sie verlassen hatte. Selbst Antonio schmerzte es, den früheren Rivalen um die Gunst Lucrezias verloren zu haben, dem er so viel verdankte.

Es gelang Lucrezia und Antonio, Bramante davon zu überzeugen, sie zur Prozession zu begleiten, mit der der neue Papst traditionsgemäß durch Rom vom Vatikan zur Lateranbasilika zog, die seit Konstantins Tagen als Bischofskirche der Päpste diente, um sie feierlich in Besitz zu nehmen. Und dieser Zug stellte alles, was sie bisher gesehen hatten, in den Schatten. Unter einem makellos blauen Himmel und einer glückstrahlenden Sonne führten zweihundert Lanzenreiter die Prozession an. Es folgten die Musiker in ihren Livreen, die in den Farben Weiß, Rot und Grün gehalten waren. Prachtvoll leuchteten die Banner der dreizehn Vorsteher der Stadtbezirke Roms und die Fahne der Universität, auf der ein Engel in feurigen Farben prangte, wie das Wissen, das von Gott kam, um mit ganzer Größe und Gewalt die Erde zu erobern. Die Stadt schwamm förmlich in Farben, denn diesem Banner schloss sich die Fahne Roms an, auf deren rotem Untergrund die goldenen Buchstaben »S.P.Q.R.« leuchteten, die für Senatus Populusque Romanum standen, gefolgt von der weißen Flagge mit dem schwarzen Kreuz des deutschen Ritterordens. Rotseiden mit weißem Kreuz erschienen dahinter die Johanniter. Farbenprächtig setzte sich die Prozession fort. Wie Tränen der Engel funkelten die Edelsteine, mit denen die prächtigen Gewänder der Oberhäupter der großen Familien aus Florenz und Rom besetzt waren, der Farnese, Medici, Conti, Orsini, Colonna, Santa Croce, Strozzi und Pucci.

Auf dem Petersplatz fand auch der Architekt mit seiner Tochter und seinem Gehilfen in der Menschenmenge Platz. Schließlich folgten der engere Hofstaat des Papstes und die geistlichen Herren. Zweihundertfünfzig Äbte, Bischöfe und Erzbischöfe ritten in ihrem feierlichen Priesterornat vor den Kardinälen her. Die Aprilsonne warf blendende Lichtreflexe auf die blanken Rüstungen der Schweizergarde.

Dann endlich kam unter einem Baldachin, der von römischen Bürgern getragen wurde und den Thronhimmel symbolisierte, der Papst selbst auf einem türkischen Schimmel geritten. Sein Haupt zierte die edelsteinbesetzte Tiara, die dreifache Krone. Der Camerlengo, der Kardinalkämmerer, und einige weitere Kammerherren folgten Leo X. und warfen Münzen unter das römische Volk. Den Abschluss bildeten vierhundert Reiter. Nicht nur wegen des verteilten Geldes, sondern vor allem, um an der unendlichen Pracht teilzuhaben, versammelte sich das Volk von Rom rechts und links der Straße oder lag in den Fenstern der Wohnhäuser.

Zehn Jahren zuvor war Rom noch ein einziges verwinkeltes Labyrinth von Häusern und Ruinen gewesen, durch das sich unübersehbar die Straßen der Stadt schlängelten. Wild wuchsen Häuser aus Häusern heraus, während andere allmählich zerfielen und zu dem Schutt wurden, auf dem sich die Stadt seit über zweitausend Jahren erhob. Drohend hatten sich aus dem Gewirr der Stadt die Wehrtürme der festungsartigen Paläste der stadtrömischen Adeligen emporgereckt, die dadurch ihren Anspruch auf Reichtum und Herrschaft dokumentierten. Diese Stadtfestungen des Adels wirkten auf ihre eigene Art wie Raubrittersitze. Jeder kämpfte mit jedem, alle misstrauten allen. Mit ihren wehrhaften Stadtsitzen als Inseln der Macht inmitten des eng bebauten, winkligen Durcheinanders kontrollierten die mächtigen Familien die römischen Bezirke, bis zu dem Tag, an dem Julius II. seinem Architekten Donato Bramante befahl, diese Quartiere zu schleifen. Und der Architekt, assistiert von Antonio da Sangallo, hatte ganze Arbeit geleistet, wie er stolz feststellte.