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Auf der Via Papale bewegte sich der päpstliche Zug nun von Alt Sankt Peter quer durch die Stadt zur Lateranbasilika. Und die Menschen, die am Rand die Prozession verfolgten, jubelten und riefen, wenn sie den neuen Papst erkannten: »Pale, Pale«, womit sie auf das Wappen und das Erkennungswort der Medici anspielten. Wer Pale, Kügelchen, rief, bekannte sich als Anhänger der Medici. Die Kügelchen im Wappen wiesen auf die Herkunft der mächtigen Florentiner Familie aus dem Stand der Apotheker hin.

Für Bramante kündigte die Inthronisation des Medici eine Zeitenwende an. Zwar erfreute er sich des Wohlwollens des neuen Papstes, aber Julius II. fehlte ihm sehr. So verlor er langsam die Lust an allem. Antonio begann, ihn auf den Baustellen, die er immer weniger aufsuchte, zu vermissen. Der ehemals unersättliche Architekt lehnte sogar schon den einen oder anderen Auftrag ab. Immer häufiger traf Antonio ihn im Gebet oder bei der Lektüre an. Auch hatte Bramante wieder angefangen, Sonette zu verfassen. Dabei konnte er zufrieden sein. Kein Konkurrent wagte sich gegen ihn heraus, und Papst Leo X. empfing ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit. Sein Schützling Raffael stieg im Wettstreit mit Michelangelo zu Roms berühmtestem Maler auf und verneigte sich in Achtung vor dem alten Meister.

Schließlich lud Bramante Antonio an einem Sonntag nach der Messe zu einem Spaziergang ein. Der Architekt eröffnete seinem Gehilfen, dass er sich trotz der Gunst des Papstes und seines Ruhms einsam und müde fühle. Der Tod Imperias und kurz darauf des gleichaltrigen Papstes Julius hatten die tragenden Säulen seines Lebens einstürzen lassen. Er sehnte sich nach nichts anderem mehr, als Giovanni Pico della Mirandola und Julius und Imperia wiederzusehen – vorausgesetzt, fügte er mit schmerzlichem Lächeln hinzu, dass Gott ihn nicht in die Hölle stieße. Verdient hätte er es. Nicht einmal die Besuche seines alten Freundes Leonardo, der sich in Rom aufhielt, vermochten, ihn aufzuheitern. Er legte den Arm um Antonios Schulter.

»Weißt du, woran man merkt, dass das Ende naht, mein Sohn? Wenn man eine stärkere Sehnsucht nach den Verstorbenen als nach den Lebenden fühlt. Sie warten auf mich. Sie rufen nach mir. Ich kann sie hören.« Die Worte des Meisters taten ihm weh, deshalb wollte Antonio etwas erwidern, die Traurigkeit des alten Mannes zerstreuen, doch der ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Glaub mir, alles ist gut. Nur eines nicht. Das muss ich noch in Ordnung bringen. Ich habe mich mit Agostino Chigi und mit dem Papst verständigt. Du wirst nach meinem Tod Baumeister von Sankt Peter. Zusammen mit Frà Giocondo, falls der Alte dann noch lebt. Man kann mit ihm auskommen. Rede niemals darüber, aber wisse, der Papst gehört unserem Bund an, den Fedeli. Du musst das wissen, weil du mir als Prior der Gefährten der Liebe folgen wirst. Aufträge wirst du nicht zu knapp erhalten. Damit bist du ein gestandener Mann, der eine Familie gründen kann.«

»Auch wenn Ihr mir das alles nehmt, Messèr Donato, werde ich niemanden außer Lucrezia heiraten!«

»Und Lucrezia sollst du auch heiraten! Wenn du sie nicht glücklich machen oder betrügen solltest, werde ich persönlich aus dem Jenseits zurückkehren und dich gehörig durchprügeln, mein Sohn, dass du wünschen wirst, niemals geboren worden zu sein!«

49

Rom, Anno Domini 1514

Im März fand die Hochzeit statt, eine prachtvolle Hochzeit, und im April legte sich Donato Bramante mit einem seligen Lächeln auf den Lippen, erschöpft vom Leben, zum Sterben nieder. Antonio ahnte, dass es nicht nur die Freude über ihr Glück war, die seinem Meister in seinen letzten Atemzügen den glücklichen Ausdruck auf das Gesicht zauberte. Die Freude auf dem Antlitz des alten Baumeisters, der das Leben mit allen Fasern seines Herzens geliebt und genossen hatte, vermochte der Schüler nicht zu deuten. Sie blieb ihm ein Geheimnis, das wahre Mysterium der letzten Dinge.

Bramante hörte nämlich nicht mehr die Worte des Priesters, nicht mehr Agostino, der sich tief erschüttert von ihm verabschiedete, nicht Raffael, der tränenüberströmt an seinem Bett kniete und sich nicht zu trösten vermochte, als läge sein eigener Vater im Sterben, den er früh verloren hatte. Er vernahm nicht einmal mehr die Worte Lucrezias, des einzigen Menschen, den er im Diesseits noch liebte. Die Welt büßte für ihn mit jedem schwächer werdenden Atemzug ihre Bedeutung ein. Er sah bereits durch die Zeiten und Welten auf der anderen Seite eine kleine Gruppe von Menschen, die ihm wie einem lange Erwarteten fröhlich, geradezu übermütig zuwinkte. Imperia lachte hell, und ihre schönen Augen strahlten vor Glück, Pico schlug einen Purzelbaum, und Julius, ja, glaubte man es denn, Giuliano della Rovere, der harte Mann und Kriegspapst, saß vergnügt auf einer Schaukel und lachte vor Freude wie ein Kind.

Lucrezia nahm seine Hand in die ihre. Als er die weiche Haut der jungen Frau fühlte, den festen Griff, glaubte er, dass Imperia ihm die Hand gereicht hätte. Er hörte schon, wie sie ihm vorwurfsvoll an den Kopf warf: »Du Bummelant!« Dann zog sie ihn mit einem kräftigen Ruck auf ihre Seite der Welt.

Am 11. April 1514 starb in Rom Donato Bramante, der Bauernsohn vom Monte Asdrualdo, der seinen Nachfolgern, nämlich Frà Giocondo, Raffael, Baldassare Peruzzi und Antonio da Sangallo, die größte Baustelle der Welt hinterließ. Die Stützpfeiler für die Kuppel hatte er in die Höhe getrieben, ohne das Firmament über der Vierung errichten zu können. Am Ende hatten ihn die beiden Mächte, denen er zeitlebens entkommen war, doch noch eingeholt – der Tod und die Liebe.

Es goss schon den ganzen Vormittag in Strömen. Antonio machte sich dennoch auf einen Rundgang über die Baustelle, mehr um sich zu beruhigen, als in der Gewissheit, dort gebraucht zu werden. Er merkte bald, dass es ein Fehler gewesen war, den er hätte voraussehen können. Bereits auf halbem Wege zwischen Südwestpfeiler und Westchor kam ihm Maffeo entgegen.

»Messèr Antonio«, rief er, »wir haben die Schutzhütte für das Grab Petri fertig.« Das klang nicht nach Freude oder Erfolgsmeldung, sondern nach einem handfesten Vorwurf.

»Gut«, sagte Antonio abwartend.

»Daran ist nichts gut, wenn ich mir wieder mit den anderen Unternehmern die Arbeit am Westchor teilen muss!« Antonio verstand Maffeo nicht. Der breitete verzweifelt die Arme aus. »Ich muss dann die Hälfte meiner Leute entlassen.«

Nun endlich begriff er das Dilemma seines treuesten Meisters. Als Maffeo immer neue Bauleute angeheuert und in kritischen Zeiten sogar dank Antonio den doppelten Lohn gezahlt hatte, war er zum König der Bauunternehmer aufgestiegen. In den gefährlichen Tagen, als sie gemeinsam mit Ascanio das Kartell der alteingesessenen Unternehmen aufgebrochen hatten, war aus Maffeos kleiner, aufstrebender Firma die wichtigste Bauunternehmung Roms geworden. Dass sie in dieser gefährlichen Zeit einander vertrauten, wurde zum Fundament ihres Erfolges. Doch nun kamen sie wieder in schwere See. Antonio verstand. Wer Maurer entlassen musste, weil er nicht genügend Arbeit beschaffte, verlor als Bauunternehmer an Reputation. Maffeos Firma expandierte zwar, aber sie war noch keineswegs so gefestigt, dass sie den Verlust an Ansehen unbeschadet hinnehmen konnte. Bauen war und blieb Krieg, ein Krieg, in dem wie in der Liebe alle Mittel als erlaubt galten.

»Du musst vorerst keinen deiner Leute entlassen. Ein paar Tage halten wir das schon durch. Ich warte täglich darauf, den Heiligen Vater zu sprechen«, sagte Antonio und legte Maffeo beschwichtigend die Hand auf die Schulter. Dem Maurermeister schien ein Stein vom Herzen zu fallen. Antonio wandte sich zum Gehen, warf aber voller Unruhe noch einmal einen Blick zurück.