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Als sie nickte, verschleierte Trauer ihren Blick.

»Es hat beiden genutzt«, meinte Antonio nachdenklich und wollte sie in den Arm nehmen. Lucrezia wich zurück. »Er lebt aber noch.« Dann schaute sie ihn fordernd an. »Geh zu Raffael!«

50

Rom, Anno Domini 1514

Die Sonne stand hoch am Himmel, als Antonio sich auf den Weg zum Petersdom machte. Aus den Häusern drangen Essensdüfte, und das Gewirr aus den hohen und tieferen Stimmen der Menschen, die zu Tisch saßen, hallte in den Gassen wider. Natürlich konnte er es nicht lassen, zur Baustelle zu gehen, mochte es auch ein Fehler sein. Das Gefühl, verantwortlich zu sein, zog ihn mit tausend Stricken dorthin. Auch wenn Maffeo guter Laune war, weil die Hälfte seiner Leute inzwischen an Antonios Palazzo baute, ließ sich die allgemeine Missstimmung mit Händen greifen. Alle spürten die Unentschiedenheit, wie es mit dem Petersdom weitergehen würde. Also arbeiteten die meisten langsam, wenn sie nicht damit beschäftigt waren, Steine und Puzzolanerde verschwinden zu lassen und anderswo zu verkaufen. Er konnte dagegen nichts sagen, denn er verhielt sich ja im Augenblick ähnlich, auch wenn er das Material später bezahlen wollte. Es fehlte der Ansporn, der nach vorn weisende, mitreißende Geist. Alle Männer, die auf der Baustelle arbeiteten, fühlten sich inzwischen wie auf Abruf.

In seiner Not hatte Antonio angewiesen, dass die offene Querseite der alten Basilika zugemauert wurde. Wusste man denn, ob man diesen Teil der alten Kirche später mit dem Neubau verbinden würde? Nichts wusste man, gar nichts! Seine Unentschlossenheit übertrug sich auf die Bauleute. Die Erfahrenen unter ihnen spürten, dass die Vermauerung der hinteren Seite des alten Baukörpers nur eine Verlegenheitsarbeit darstellte, etwas, das man immer machen konnte, weil es zu nichts führte. Diese Enttäuschung, das Gefühl auf verlorenem Posten zu stehen, sah er in ihren Augen, wenn sie ihn teils verächtlich, teils mitleidig anschauten. Der Autoritätsverlust war mit Händen zu greifen. Nun, wo sein Meister im Grab lag, sah man, was der Gehilfe taugte. Antonio ging, nein, er floh von der Baustelle, weil er diese Blicke nicht mehr ertrug. Etwas musste geschehen.

Endlich rang er sich dazu durch, Raffael in Agostino Chigis Palazzo aufzusuchen. Der Maler stand in der östlichen Loggia auf einem Gerüst und zeichnete den Kopf der Galathea. Antonio ahnte die Schönheit und genoss es, dem Maler zuzusehen, der mit einer faszinierenden Leichtigkeit den Pinsel führte. Er hatte den Besucher bereits aus den Augenwinkeln wahrgenommen.

»Ihr müsst noch etwas warten, bis ich das Pensum geschafft habe«, rief er Antonio zu.

Beim Freskieren wurde die Fläche, die man in drei bis vier Stunden bemalen konnte, mit feuchtem Mörtel überzogen, auf dem gemalt wurde und der beim Trocknen die aufgetragenen Farben mit abband. Deshalb musste sich Antonio eine Weile gedulden. Aber da es weder am Petersdom noch auf seiner häuslichen Baustelle etwas für ihn zu tun gab, konnte er genauso gut Raffael zusehen, zumal es ihm Freude bereitete, den Meister bei seinen eleganten und leichten, ja fast spielerischen Pinselstrichen zu beobachten. Eigentlich sah es weniger nach Malen aus als nach Zaubern. Wie sehr wünschte sich Antonio dieses Talent! Auch Bramante hatte sich nicht rühmen können, Raffael in der Malerei ebenbürtig zu sein.

Antonio war so versunken in die Betrachtung des Malers, dass er nicht hätte sagen können, wie lange er ihm zugesehen hatte, als Raffael vom Gerüst stieg. In seinen ovalen, schwarzen Augen unter der hohen Stirn stand ein liebenswürdiges Lächeln. Er trug eine dunkle Hose, darüber einen gelben Malerkittel.

»Messèr Antonio! Was verschafft mir die Freude Eures Besuches?«, sagte der Maler. Er legte Antonio freundschaftlich den Arm um die Schulter und führte ihn in den Garten. Das fröhliche Gezwitscher der Vögel umspielte ihr Ohr, während in der Luft ein Duft von wildem Fenchel lag.

»Der Petersdom.«

Raffael zuckte mit den Achseln. »Bedaure, es ist zu früh, darüber zu reden.«

»Ich beschäftige die Leute mit Verlegenheitsarbeiten. Der Fortgang der Arbeiten muss endlich entschieden werden.«

»Was sagen denn die Pläne?«

»Die Pläne? Nichts. Messèr Donato hat sozusagen von Schritt zu Schritt geplant.«

Raffael lachte. »Das sieht ihm ähnlich, meinem guten alten Donato. Er wollte sich von niemandem in die Karten sehen lassen. Aber das wollen wir doch lieber niemandem erzählen.«

»Natürlich nicht«, versicherte Antonio rasch. »Aber es muss doch etwas geschehen. Und Ihr seid der leitende Architekt.«

Raffael hob abwehrend die Hände. »Noch nicht. Ich bin zwar benannt, aber noch nicht beauftragt und berufen.«

»Was sollen wir denn tun?«

»Nichts. Wir müssen warten, bis der Papst zurück ist.« Er stieß den Baumeister freundschaftlich an. »Der Petersdom läuft uns nicht davon. Er steht ja schon über tausend Jahre da.«

»Ja, aber jetzt sieht er aus wie eine Ruine«, begehrte Antonio auf. Ihn ärgerte die lässige Art, mit der sich Raffael aus der Verantwortung stahl. Inzwischen bereute er es, dass er überhaupt hierhergekommen war. Über den Gartenweg kam ihnen ein Geselle entgegen.

»Meister, wir haben den Mörtel angebracht«, meldete er ihm mit einer Stimme, die der Branntwein angeraut hatte. Raffael nickte, dann hob er bedauernd die Hände.

»Die Arbeit ruft! Aber ich gebe Euch einen Rat. Treibt alles voran, was Euch außer dem Dom wichtig ist. Sucht Euch ein paar Aufträge, und beschwert Euch weder im Gewissen noch im Denken mit Sankt Peter, bevor der Heilige Vater zurück ist.« Damit ließ ihn Raffael mitten im Park stehen und eilte in die Loggia.

Zu Hause fand Lucrezia tröstende Worte. Raffaels Ratschlag schien ihr gut. Wenn Antonio überschüssige Energien habe, solle er Aufträge hereinholen. Er müsse endlich aus Bramantes Schatten treten, was ihm aber am Petersdom nicht gelingen werde. Was Lucrezia nicht wusste, war, dass es mit Bauaufträgen für Antonio nicht gut aussah. Wenn sie nicht schon vergeben waren, lud man lieber Baldassare Peruzzi noch eine Arbeit auf, als sie Bramantes Gehilfen anzuvertrauen. Dass er ein sehr guter Assistent war, wussten alle – ob er aber auch ein guter Baumeister war, konnte niemand sagen. So lief sich Antonio erfolglos die Füße wund.

Und dann kam das böse Erwachen. Einmal im halben Jahr holte er Geld für die Baustelle, für die Löhne und Baumaterialien. Doch in der apostolischen Kammer beschied man ihn diesmal kühl, dass er kein Geld bekäme. Er habe es zwar immer in Empfang genommen, aber nur im Auftrag des leitenden Architekten Donato Bramantes. Da dieser aber nun verstorben sei, bedürfe es einer neuen Verfügung. Antonio raufte sich die Haare; alle Schilderungen der Situation, dass die Leute bezahlt werden müssten, halfen nichts. Zwar sah man den Notstand ein, aber es brauchte eine neue Verfügung des Papstes. Unverrichteter Dinge verließ Antonio die apostolische Kammer.

Obwohl das Wetter schön und die Atmosphäre heiter war, glaubte er sich im Orkan seines Lebens zu befinden. Ihm wurde abwechselnd siedend heiß, dann wieder fröstelte ihn. Auch wenn er nicht der leitende Architekt war, würden sich die Bauunternehmer an ihn halten. Und diese Leute waren nicht zimperlich, warum sollten sie auch. Das Leben ihrer Familien hing von diesen Zahlungen ab. Als er wieder einen klaren Gedanken zu fassen vermochte, dachte er als Erstes daran, dass er Lucrezia in Sicherheit bringen musste. Dann fiel ihm ein, dass auch er über keinerlei Geld mehr verfügte, denn auch ihn hatte Donato als seinen Gehilfen bezahlt. Nicht nur den Maurern, auch ihm selbst wurde der Lohn verweigert. Mechanisch setzte Antonio einen Fuß vor den anderen. Er hatte das Gefühl, als würde alle Lebenskraft aus ihm herausfließen. Niemals im Leben hatte er sich solch existenziellen Schwierigkeiten gegenübergesehen, und ausgerechnet jetzt, da er Verantwortung trug und Vater wurde, wusste er nicht ein noch aus. Er überlegte, ob er noch einmal zu Raffael gehen sollte. Der Maler würde sich wieder als noch nicht zuständig bezeichnen und ihm allenfalls ein paar Scudi für sich und seine Familie anbieten. Doch es war ihm zuwider, Raffael um Geld zu bitten. Agostino Chigi, den er hätte fragen können, weilte in Venedig, und sein Onkel Giuliano baute wieder einmal in der Toskana. Im Grunde traute er sich noch nicht einmal nach Hause, weil er Lucrezia nicht beunruhigen wollte. Er musste eine Lösung finden!