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Schweren Herzens begab er sich in die Canonica von Sankt Peter, in der Giacomo Kardinal Catalano wohnte. Er hatte Glück, der Erzpriester von Sankt Peter empfing ihn. Antonio hasste diesen Mann für alles, was er Lucrezia angetan hatte, doch der Kardinal war als Leiter der Fabbrica di San Pietro für die Baustelle mitverantwortlich. Bramante war es seinerzeit gelungen, die Baukommission und mithin den Kardinal aus allen Entscheidungen herauszuhalten. Und nun blieb Antonio nichts anderes übrig, als den Kardinal um Hilfe zu bitten und ihm damit wieder einen Einfluss auf die Leitung und Planung der Bauarbeiten zu ermöglichen. Es war ein großer Fehler, das wusste Antonio. Aber er hatte keine andere Wahl.

Der Dominikaner reichte ihm die Hand mit dem Ring, die er küsste. Dann wies Giacomo mit unbewegter Miene auf einen mit rotem Samt gepolsterten Lehnstuhl, auf dem sich Antonio niederließ. Der Erzpriester dachte nicht freundlicher über den Architekten als dieser über ihn. Nach einem kurzen Schweigen forderte der Kardinal Antonio auf, frei und ohne Umschweife zu reden.

Mit knappen Worten skizzierte Antonio die Situation auf der Baustelle. Er erwähnte nicht, dass keine Pläne Bramantes für die Fortsetzung der Bauarbeiten existierten, was in diesem Zusammenhang auch keine Rolle spielte. Die Hände vor der Brust zu einem Dreieck zusammengelegt, hörte der Kardinal zu, ohne ihn zu unterbrechen. Ab und zu erschien ein flüchtiges Lächeln auf dem Gesicht des Erzpriesters, und Antonio wurde schlagartig bewusst, dass er einen weit größeren Fehler beging, als er angenommen hatte.

»Ich werde sehen, was ich für dich tun kann, aber bevor der Papst zurück ist, sind auch mir die Hände gebunden. Ich bete für dich, mein Sohn«, sagte Giacomo freundlich, was ihm bei der inneren Genugtuung, die er empfand, nicht schwerfiel. Dann schlug er segnend das Kreuz über Antonio und verabschiedete sich. Unverrichteter Dinge verließ dieser den dank seiner Einfalt wohlunterrichteten Kardinal.

Am Abend ging er Lucrezia aus dem Weg. Als sie sich zu Bett gelegt hatten, stellte er sich schlafend und lag doch die ganze Nacht wach. Gegen Morgen kam ihm der rettende Einfall. Mit aufgesetzter Fröhlichkeit nahm er gemeinsam mit Lucrezia das Frühstück ein und begab sich dann zu Chigis Bankhaus. Dort nahm er eine Anleihe auf seinen Palazzo auf. Damit konnte er zumindest die Arbeiter bezahlen, und es blieb auch für ihn noch etwas Geld übrig. Lange würde es jedoch nicht reichen.

Wenige Tage darauf stand er mit seiner Frau in dem soeben fertig gewordenen Kinderzimmer. »Dort«, sagte Lucrezia und zeigte auf eine Stelle an der Wand gegenüber dem Fenster, »kommt die Wiege hin. Und die Wände wünsche ich mir hellblau.« Antonio küsste sie. Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihren Bauch. Erstaunt und berührt spürte er den Bewegungen seines Kindes nach. Sein beglücktes Lächeln erstarb, als er von der Treppe her schwere, laute Schritte vernahm. Dann standen die Bewaffneten auch schon im Zimmer.

»Messèr Antonio da Sangallo? Begleitet mich auf die Engelsburg«, sagte einer der vier ungeschlachten Gesellen barsch.

»Wer hat das befohlen?«

»Seine Eminenz Kardinal Catalano.«

Lucrezia schrie auf und presste sich an Antonio. Er löste sich sanft von ihr, küsste sie wortlos und folgte dann den Männern. Er fühlte sich elend, so elend wie noch nie in seinem Leben. Die Frau, die er liebte und die sein Kind trug, hatte er schützen wollen und damit in höchste Gefahr gebracht. Dabei wusste Lucrezia noch nicht einmal, dass ihr Palazzo verpfändet war und sie nur Schulden hatten.

Lucrezia war außer sich vor Angst und Sorge. Sie lag die ganze Nacht wach und grübelte verzweifelt nach. Doch sosehr sie sich auch den Kopf zerbrach, sie fand sie keinen Anhaltspunkt dafür, was man Antonio vorwerfen konnte. Oh, dieser verfluchte Bau! Alle machten einen großen Bogen darum – Raffael, Baldassare Peruzzi, Giuliano da Sangallo, selbst der neue Papst schien sich der Angelegenheit nicht allzu rasch annehmen zu wollen.

Nur Antonio tat so, als wäre er für alles und jeden dort verantwortlich und bot sich damit für alles Mögliche als Sündenbock an, dachte Lucrezia, als sie plötzlich ein heftiges Ziehen im Unterleib spürte. Heftige Angst um ihr Kind stieg in ihr hoch, und sie legte beide Hände schützend auf ihren Leib. Sie rief ihre Dienerin herbei und ließ sich von ihr kalte Umschläge auflegen. So gelang es ihr allmählich, ihrer Panik Herr zu werden.

Als das Morgenlicht durch die Fensterscheiben ins Zimmer drang, hatte sie sich wieder gefasst und begann, mit klarem Kopf nachzudenken. Sie stand auf und zog einen Hausmantel über. Dann setzte sie sich an den Arbeitstisch, der während der Bauarbeiten in der unteren Etage in ihrem großen Schlafzimmer stand, und nahm Papier und Feder. Sie schrieb zwei Briefe, einen an Agostino Chigi, den anderen an Giuliano da Sangallo. So gut sie darüber Bescheid wusste, schilderte sie den beiden Männern ihre Situation und bat sie um Rat und Hilfe. Während ihre Feder über das Papier glitt, vernahm sie Geräusche, die von den Bauarbeiten unter ihr herrührten. Die ersten Maurer hatten mit ihrer Arbeit begonnen. Auf dem Flur riefen sich die Diener etwas zu. Diese Alltäglichkeiten verliehen ihr Kraft und Zuversicht – das Leben ging weiter.

Als die Briefe fertig waren, schickte sie zwei Boten los, einen nach Venedig, den anderen nach Siena. Plötzlich verspürte sie einen heftigen Appetit auf Hühnerbrühe mit Erdbeeren und verspeiste mit großem Genuss zwei Teller mit dieser seltsam zusammengestellten Suppe. Danach kleidete sie sich an und begab sich in Begleitung einer Dienerin und des Hausburschen zu Raffael, der in einem kleinen Palazzo im Borgo wohnte, den übrigens Bramante als einer der ersten Aufträge in Rom errichtet hatte.

Der Maler schlief noch. Lucrezia wurde in einen kleinen Saal im piano nobile geführt, wo sie auf ihn wartete. Die Bilder der vielen Zweige und Vögel auf den Wänden gaben ihr das Gefühl, sie säße in einem Vogelkäfig. Als Raffael den Raum betrat, wunderte sie sich, dass die Vögel an den Wänden nicht aufflatterten und wegflogen. Mit wenigen Worten entschuldigte sie sich, ihn so früh zu stören, und schilderte ihm dann, was geschehen war. Raffael blickte sie aus seinen leuchtenden Augen voller Mitleid an.

»Madonna, ich bin untröstlich. Aber ich fürchte, ich kann Euch nicht helfen. Ich kenne den Erzpriester kaum.«

»Es tut mir leid, dass ich Eure Zeit verschwendet habe. Donato wird es Euch im Himmel sicher vergelten«, sagte Lucrezia kühl und erhob sich. Sie hatte kaum ausgesprochen, da beobachtete sie etwas, was noch niemand bei Raffael gesehen hatte: Sein stets heiterer Gesichtsausdruck verdüsterte sich für den Bruchteil einer Sekunde.

»Verzeiht, Madonna Lucrezia, aber ich hatte Eurem Mann geraten, einen großen Bogen um die Baustelle zu machen, solange der Papst nicht die Richtung befohlen hat, in die es weitergehen soll.«

»Was ist schlecht daran, dass er Verantwortung übernommen hat, für die vielen Leute, die von dieser Baustelle leben, für die Männer, für ihre Frauen und Kinder?«, fragte sie. Weder war sie laut geworden, noch hatte ein Vorwurf in ihrer Stimme gelegen.

»Schlecht war nichts daran, nur unvorsichtig und naiv. Ihr seht ja selbst, was daraus geworden ist.« Der Maler schwieg und dachte nach. Man sah ihm an, wie ungern er sich in die unangenehme Angelegenheit hineinziehen ließ. »Ich werde einen Brief an den Bischof Bibbiena schicken und ihn bitten, sich dafür einzusetzen, dass Euer Mann unverzüglich auf freien Fuß gesetzt wird.« Als er ihren enttäuschten Blick sah, fügte er hinzu: »Der Bischof ist die rechte Hand des Papstes.«