Jetzt konnte sie nur noch beten, dachte Lucrezia und kehrte nach Hause zurück. Dort erwartete sie indes eine Überraschung. Im großen Saal saß Giacomo Catalano. Lucrezia blieb wie angewurzelt stehen. Der Erzpriester lächelte und bot ihr dann in ihrem eigenen Haus einen Platz an. Sie nahm die Absurdität gar nicht wahr, sondern setzte sich.
»Du trägst ein schönes Kleid, meine Tochter!«
»Habt Ihr Euch deshalb herbemüht, Eminenz, um mir Komplimente zu machen?«
»Natürlich nicht. Gesegnet sei die Frucht deines Leibes«, sagte Giacomo und spielte unverhohlen auf ihre Schwangerschaft an.
»Gesegnet sei auch der, der den Vater des Kindes, das in meinem Leib wächst, beschützt«, erwiderte sie schroff.
Der Dominikaner setzte eine Leidensmiene auf. Was für ein schlechter Schauspieler, dachte sie. »Ich will offen mit dir sein. Frà Giocondo hat auf meine Bitte hin die ausgeführten Bauten untersucht. Der südwestliche und der nordwestliche Stützpfeiler sind vom Einsturz bedroht, weil sich die Fundamente auflösen. Ich verstehe nicht allzu viel davon, aber die Fachleute versichern mir, dass schlechtes Material benutzt wurde. Entweder hat ein Ketzer den heiligen Bau hintertrieben, um Christus und der Kirche zu schaden, oder gutes Material wurde verkauft und schlechtes verwendet. Entweder handelt es sich um Häresie oder um Unterschlagung. Allerdings kommt Raub an diesem Bauplatz der Ketzerei gleich.«
Lucrezia wurde blass, aber sie durfte jetzt nicht hysterisch werden, sondern musste einen klaren Kopf behalten. Das war noch nicht alles. Nur um ihr das mitzuteilen, hätte er kaum diesen Weg unternommen. Er wollte etwas von ihr, so viel stand fest.
»Kommen wir zur Sache«, entgegnete sie kühl.
Ihr geschäftsmäßiger Ton verunsicherte den Kardinal für einen kurzen Moment. Dann breitete er die Arme aus. »Es ist ganz einfach. Du musst nur mit deinem Mann sprechen, damit er dafür eintritt, dass Frà Giocondo der leitende Architekt von Sankt Peter wird. Außerdem soll Antonio schwören, von nun an alles zu tun, dass die Vierung in einen Langbau ausläuft, und eine gut katholische Basilika entsteht, und die Zentralbaupläne Bramantes zu vernichten!«
Lucrezia musste sich beherrschen, um nicht laut loszulachen, denn von Donato gab es ja keine weiteren Pläne. Der alte Gauner hatte sie alle hinters Licht geführt. Alle waren davon ausgegangen, dass der Baumeister den Dom bis zu Ende projektiert hatte, doch in Wirklichkeit gab es keine weiteren Ausführungspläne. Vielleicht hatte Neu Sankt Peter fix und fertig in seinem Kopf gestanden – das konnte sie nicht beurteilen –, doch darüber hatte er weder mit Antonio gesprochen, noch ahtte er etwas Derartiges zu Papier gebracht.
»Ich schwöre bei der heiligen Jungfrau Maria, dass mein Mann sich für Frà Giocondo einsetzen wird und dass er alle Langhauspläne unterstützt. Donatos Pläne werden wir vernichten. Dafür will ich meinen Mann zurückhaben.«
Der Kardinal schlug ein Kreuz, dann stand er auf. Als Lucrezia sich ebenfalls erheben wollte, legte er ihr die Hand auf die Schulter. »Ruhe dich aus, meine Tochter. Du erinnerst dich doch, dass ich einmal geschworen habe, dich zu beschützen.« Lucrezia schauderte.
Am Nachmittag kehrte Antonio nach Hause zurück. Er war erleichtert, aber der Schreck saß ihm in den Knochen. Niemals, flüsterte er seiner Frau ins Ohr, obwohl sie sich allein im Zimmer befanden, würde er gegen den Willen des Kardinals Catalano verstoßen. Man hatte ihm die Instrumente gezeigt.
Einen Monat später kehrte auch der Papst von seinem Jagdaufenthalt zurück. Nachdem er Rücksprache mit Giuliano da Sangallo und Raffael gehalten hatte, ernannte er Frà Giocondo zum zweiten Baumeister von Sankt Peter. Lucrezia machte ihrem Mann bittere Vorwürfe, weil er ihren Palazzo beliehen hatte, konnte aber durch ein Gespräch mit ihrem Adoptivvater Agostino Chigi die Rücknahme der Vereinbarung erreichen. Die apostolische Kammer ersetzte die Auslagen, die Antonio da Sangallo gehabt hatte. Durch Vermittlung seines Onkels bekam Antonio seine ersten Aufträge, nämlich die Kirche in Santa Maria in Loreto, die ihn immer wieder zum Reisen zwang, obwohl er nicht von der Seite seiner schwangeren Frau weichen wollte, und schließlich einen Kirchenbau auf dem Trajansforum.
Frà Giocondo kümmerte sich bis zu seinem Tod im Jahr 1516 um die Nachbesserung der in der Tat aufgelösten Fundamente der beiden westlichen Vierungspfeiler, während Raffael im Auftrag Leos X. und Agostino Chigis baute und malte, immer mehr Schüler einstellte, um einigermaßen der Vielzahl der Aufträge nachzukommen. Vollkommen erschöpft starb berühmt, jung und schön Raffael aus Urbino fünf Tage vor seinem Mäzen Agostino Chigi und anderthalb Jahre vor seinem Förderer Leo X. im Jahr 1521 in Rom.
Nach dem Tod Frà Giocondos hatte der Papst Antonio da Sangallo doch noch zum Architekten von Sankt Peter bestimmt, und niemand freute sich darüber mehr als Maffeo Maffei, an dessen Seite häufig sein Sohn Arnoldo zu finden war, wenn der nicht gerade in der Lateinschule hockte. Maffeo hatte beschlossen, dass sein Sohn lesen und schreiben lernen sollte. Sowohl Antonio als auch Maffeo blickten stolz auf ihre wachsenden Familien, wobei Maffeo mit seinen sechs Kindern im Vergleich zu den vier Kindern Antonios in Führung lag.
Mehr allerdings, als die Fundamente zu verstärken und die Konterpfeiler zu errichten, gelang den Architekten in der Zeit Leos X. nicht, denn obwohl dieser Papst den Ablasshandel in die Höhe trieb, floss immer weniger Geld in der Baukasse des Petersdomes, weil der lebenslustige Giovanni de Medici, der Dichter und Gelehrte finanziell großzügig unterstützte, das Geld schneller ausgab, als es hereinkam. Die Kerzen zu seiner Aufbahrung mussten geborgt werden. Die Kassen der apostolischen Kammer waren leer. Viele wurden reich, die Kirche aber arm.
Und noch eines hinterließ Leo X. seinen Erben: Überall sagten sich Christen vom Papst los, ein gewisser Calvin in Genf, ein Zwingli in Zürich und, der Schlimmste von allen, ein gewisser Luther in Wittenberg versprachen den Menschen das wahre Christentum. Schnell sammelten die Ketzer Abtrünnige um sich, unter ihnen sogar Fürsten, ganze Kirchenprovinzen fielen von Rom ab. Besonders gern verwiesen diese Ketzer auf den unvollendeten Petersdom, auf die unfertig in den Himmel ragende Vierung, die einem Turm glich, dem Turm von Babylon. So wurde ihnen die Baustelle von Sankt Peter, der nur langsam vorangehende Neubau, zum Gleichnis für die Verderbtheit des Papstes, den einige sogar wagten, den Antichrist zu nennen.
Antonio hatte zu viel zu tun, als dass er diese Vorgänge zur Kenntnis nahm, geschweige denn sich damit beschäftigte. Er nahm so viele Aufträge an, wie es irgend ging. Politik, Philosophie und Theologie stießen ihn ab, denn er kannte sich darin nicht nur nicht aus, sie schienen ihm auch allzu gefährlich. Vom Bauen verstand er etwas, das war sein Handwerk, nichts anderes.
Gelähmt von den Forderungen Giacomo Catalanos war er inzwischen der Arbeit an Sankt Peter überdrüssig geworden. Raffael und er steigerten sich in immer neue, immer kühnere Entwürfe für Sankt Peter hinein, ohne dass je etwas davon auf der Baustelle umgesetzt wurde. Sie zeichneten, um nicht bauen zu müssen.
Und so gingen die Jahre dahin. Antonio war ein gefragter Architekt, liebender Familienvater und beliebter Gastgeber geworden, der auch seinen finanziellen Nutzen aus der Baustelle von Sankt Peter zu ziehen verstand. Er hatte aus der Krise gelernt, als er mit seiner Blauäugigkeit und Unbedachtsamkeit sich und seine Familie beinahe ins Unglück gestürzt hatte. Es waren gute Zeiten, doch im Norden zogen bereits die dunklen Wolken des Unheils herauf.
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Governolo bei M antua, Anno Domini 1526, im November
Das heisere Krächzen der Raben, die auf kahlen Ästen hockten, erfüllte die Luft. Nass und kalt und ungeheuer schrundig lag die nackte Erde irgendwo zwischen Ferrara und Mantua wie aufgekratzter Grind vor Ascanio. Durch alle Öffnungen seines Körpers kroch die Novemberkälte in seine Knochen. Er fürchtete sich vor dem Rheuma. Deshalb trug er unter Harnisch und Wams ein dickes Wollhemd, das er in die schwarzen Hosen gesteckt hatte. Dieser Feldzug, schwor er sich, sollte sein letzter werden. Von seinem Hut hingen traurig die schwarzen Bänder, die ihn als einen der Männer des großen Condottiere Giovanni delle Bande Nere auswiesen. Er war nun vierzig Jahre alt, entschieden zu alt für einen Landsknecht.