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Rom, Anno Domini 1527

Der Morgen des 6. Mai brachte dichten Nebel mit sich. Zumindest stand er auf der Seite der Angreifer, denn er hinderte die Soldaten auf den Zinnen der Engelsburg zunächst daran, auf die Truppen des Kaisers zu schießen. Wie die anderen Hauptleute rückte auch Seidensticker mit seinem Trupp vor. In der bunten Kleidung, die um ihre Körper wehte, wirkten die Landsknechte noch größer und gefährlicher. Sie trugen Kurzschwerter und Hellebarden, Hauptleute wie Seidensticker einen riesigen Beidhänder. Nur Ascanio verzichtete auf die Hellebarde und trug im Wehrgehänge das Kurzschwert und in der Hand das große Kampfschwert. Neben und hinter ihm schritten Eugenio und Baccio.

Dann hagelten die Geschosse aus Arkebusen und Feldschlangen von der Mauer auf die Angreifer nieder. Die Kugeln trafen immer ein paar Unglückliche, erzielten aber letztlich keine große Wirkung. Als direkt vor ihnen eine Sturmleiter an die Mauer gelehnt wurde, bekreuzigte sich Ascanio und bat Gott, ihn wenigstens so lange am Leben zu erhalten, bis er Lucrezia in Sicherheit wusste. Geistesgegenwärtig sprang er zur Seite, als die Leiter von den Verteidigern mit Stangen und Haken, aber auch mit Händen von der Mauer weggestoßen wurde und krachend auf die anrückenden Söldner fiel. Sie bissen sich an dieser Pforte die Zähne aus. Auch der zweite Angriff misslang. Als Ascanio um sich schaute und die Enttäuschung in den Augen der Söldner sah, wusste er nicht, ob er sich freuen oder ärgern sollte. Er hoffte so sehr, dass sich die Ewige Stadt würde halten können.

»Teufel auch!«, fluchte Seidensticker.

Und dann geschah etwas, was Ascanio zutiefst erschütterte und ihm eine höllische Angst einjagte. Ein junger Söldner mit einer Narbe, die quer über seine Stirn lief, und Augen in einem kräftigen Blau, wie es nur der Himmel des Nordens hervorbrachte, nahm seinen Helm ab. Sein langes, blondes Haar umrahmte sein Gesicht und ließ es aufleuchten. Entschlossen hob er den Beidhänder eines sterbenden Kameraden auf und hielt ihn hoch. Der Engel des Krieges, durchfuhr es Ascanio. Plötzlich begann der Junge, in seiner barbarischen Sprache zu singen.

»Ein feste Burg ist unser Gott,

ein gute Wehr und Waffen …«

Nach und nach fielen andere Landsknechte ein, bis dieser Gesang, der aus der Not und der Verzweiflung der Männer emporstieg, sich erhob und gegen die vatikanischen Mauern brandete.

»Er hilft uns frei aus aller Not,

die uns jetzt hat betroffen …«

Alle Landsknechte, die sich ohne Hoffnung auf dem Boden niedergelassen hatten, erhoben sich. Alle, die ihr Fähnlein hatten verlassen wollen, traten wieder an ihren Platz. Alle, die eben noch verzweifelt schienen, fassten neuen Mut. Was sind das nur für Leute, diese Deutschen?, fragte sich Ascanio schaudernd. Die Trupps nahmen erneut Aufstellung und immer lauter und immer trotziger wurde ihr Gesang.

»Der altböse Feind, mit Ernst er’s jetzt meint;

groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist,

auf Erd ist nicht seinsgleichen.«

Seidensticker lachte in wilder Freude. »Da könnt ihr noch was lernen«, rief er Ascanio und seinen beiden Freunden zu. Ascanio wurde schwer ums Herz bei dem Gedanken, was über die Stadt hereinbrechen würde. Hätten der Papst und die Römer doch gezahlt! Oder wenigstens die Tore geöffnet und auf Gegenwehr verzichtet. Dann fiel auch der Hauptmann in den Gesang ein.

»Und wenn die Welt voll Teufel wär

und wollt uns gar verschlingen,

so fürchten wir uns nicht so sehr,

es soll uns doch gelingen …«

Nun hatten die Kolonnen Aufstellung genommen, und der blonde Junge schritt voran.

»Der Fürst dieser Welt,

wie sau’r er sich stellt,

tut er uns doch nicht;

das macht, er ist gericht’:

Ein Wörtlein kann ihn fällen.«

In diesem Augenblick überholte sie der Connétable de Bourbone mit finsterer Miene, um sich an die Spitze des Angriffs zu stellen. Der erfahrene General spürte, dass es jetzt oder niemals gelingen würde, die Stadtmauer zu überwinden. Ascanio hörte, wie er im Vorbeigehen fluchend durch die Zähne presste: »Diables protestantes!« Er beherrschte die Sprache der Männer nicht, die er befehligte, und das bereitete ihm Unbehagen. Der Nebel lichtete sich, und die Arkebusen feuerten.

»Kommt, als Italiener sollt ihr als Erste dabei sein«, rief Seidensticker, und Ascanio, Eugenio und Baccio folgten ihm. Sie liefen an den Männern mit den langen Sturmleitern vorbei, stiegen über Verletzte, Sterbende und Tote, die von Kugeln oder Pfeilen getroffen worden waren und deren Schreie im Gesang untergingen. Kaum in der ersten Reihe angekommen, entdeckten sie zwischen dem Fahnenträger und dem blonden Jungen ihren Feldherrn, der plötzlich zusammensackte. Der Fahnenträger hielt an. Das war für den Heerhaufen das Signal, stehen zu bleiben.

Mit seinen beiden Freunden und Hauptmann Seidensticker eilte Ascanio zu dem General, der in seinem Blut lag.

»Mon Dieu, eine Kugel hat mir die Hüfte durchschlagen. Deckt mich ab. Der Feind darf nicht merken, dass ich verrecke!«

Seidensticker riss seinen gelben Mantel vom Lederpanzer und breitete ihn fast liebevoll über den Franzosen, der einst bei seinem König in Ungnade gefallen war, weil er sich geweigert hatte, des Königs Mutter zu heiraten. Was für eine schmutzige Geschichte, dachte Ascanio.

»Eugenio und Baccio tragen den Kommandanten zum Feldscher«, befahl Seidensticker.

»Tut mir das nicht an, ich brauche meine Freunde in der Stadt!«, rief Ascanio.

»Teufel auch, weil Ihr es seid, Ascanio.« Der Hauptmann bestimmte zwei andere Söldner.

Auf der Mauerkrone war unterdessen Jubel ausgebrochen. Die Verteidiger der Stadt hatten offensichtlich bemerkt, dass der General Karls V. gefallen war. Aber sie mochten jubeln und sich gerettet wähnen – Seidensticker hatte sein Schwert erhoben und auch der blonde Junge. Sie marschierten los. Die Fahne setzte sich wieder in Bewegung als Zeichen für alle, dass es weiterging. Der hohle Klang der Holzleitern, die gegen das Mauerwerk stießen, eröffnete das Kampfgeschrei der Männer, die jetzt behände über die Sprossen nach oben kletterten. Es gelang den Verteidigern, zwei Sturmleitern zurückzustoßen. Das Triumphgeheul von oben löste als Echo jedoch nur noch wütenderes Sturmgeschrei aus.

Ascanio kletterte hinter Seidensticker die Sturmleiter hinauf. Der Hauptmann erreichte die Zinne und durchbohrte mit seinem langen Schwert einen päpstlichen Soldaten, der ihn mit seinem Spieß erstechen wollte. Im selben Moment stand Seidensticker auf der Mauer. Ascanio sah, wie der große Deutsche mit seinem mächtigen Kampfschwert Ernte hielt. Wie der leibhaftige Sensenmann spaltete er Schädel, schlug er Köpfe ab, erstach diesen, während er im nächsten Augenblick jenem das Schlüsselbein durchschlug. Der große Mann tanzte förmlich mit dem Schwert. Ein tanzender Tod, dachte Ascanio, während auch er sein Schwert schwang und ebenso wie die anderen jeden tötete, der ihm in den Weg trat. Zu Füßen der Kämpfer bildeten sich schmutzige rote Pfützen. Es war, als würde es Blut regnen.

»Die Spanier!«, rief ihm Eugenio atemlos zu. Jetzt sah er sie auch. Sie hatten offensichtlich die Porta Portusa genommen. Zwischen ihnen und der Petersbasilika stand nur noch ein Trupp der Schweizergarde, der sich tapfer zur Wehr setzte. Später sollte Ascanio erfahren, dass die Spanier durch eine Werkstatt in die Stadt eingedrungen waren, die ein Handwerker unweit der Porta Torrione in die Verteidigungsmauer gebaut hatte. Als die Spanier in das Haus kamen, entdeckten sie ein Fenster, das eher schlecht als recht mit ein paar Latten vernagelt war. Sie rissen die Bretter ab, dann schlüpften sie durch das Loch in der Mauer und befanden sich gleich im Borgo, genauer im Garten des Kardinals Cesi.