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»Johann, Eminenz. Aus Wallis«, antwortete der Erste, ein lustiger, pausbäckiger junger Mann.

»Lass das Eminenz weg. Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Ich bin euer Bruder in Christo, Frà Giacomo.« Dann schaute er den Nächsten an.

»Kaspar, Emi… äh, Frà Giacomo. Auch aus Wallis.«

»Heinrich aus dem Kanton Uri.«

»Mathias aus Zürich.«

»Huldrych aus Bern.«

»Balthasar aus Genf.«

»Jürg aus Sankt Gallen.«

»Joseph aus Waadt.«

Giacomo bemühte sich, sich die Namen seiner vierzig Mitstreiter einzuprägen. Dann trat er vor die Gardisten und sprach: »Ego te absolvo a peccatis tuis in nomine patris et filii et spiritus sancti«, schlug das Kreuz über ihnen, breitete anschließend die Arme über ihnen aus und fuhr fort: »Der Herr segne euch und behüte euch. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Der Herr hebe sein Angesicht über euch und gebe euch Frieden. Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.« Vielleicht ließ Gott ja ein Wunder geschehen, und es würde ihnen gelingen, die Basilika zu verteidigen.

Bedingt durch den Abriss, war es inzwischen unmöglich geworden, sich wie früher in dem Gemäuer zu verschanzen. Der Feind konnte praktisch von allen Seiten kommen. Deshalb postierte Giacomo die Männer vor dem Eingang der Schutzhütte. Er musste nicht lange warten.

Zu seiner großen Überraschung waren es keine deutschen Ketzer, die in den Kirchenraum drangen, sondern seine Landsleute, rechtgläubige Spanier. An dem Druck auf seine Ohren spürte er den Fall, es war ihm, als fiele er in ungewisse Tiefe. Es hätte ihn getröstet, wenn es Ketzer gewesen wären, die sich gegen das Allerheiligste wandten. Das hätte in der Ordnung gelegen. Dass sich aber Gottes Volk gegen Gott wandte, das war der Anfang vom Ende, das verhieß den Untergang der Welt. Giacomo verlor jede Hoffnung. Nun war er zu allem entschlossen. Schön wie der Erzengel Michael trat er den Eindringlingen mit dem Schwert entgegen und befahl ihnen mit kräftiger Stimme auf Spanisch: »Kniet nieder! Betet! Bereut eure Sünden!«

Die Landsknechte lachten ihn aus und boten ihm höhnend an, in ihre Dienste zu treten. »Wir brauchen jemanden, der sich hier auskennt und uns zeigt, wo das Gold ist. Darfst dafür auch unser Feldkaplan sein!«

»Ich schließe euch aus der Gemeinschaft mit Gott und den Gläubigen aus. Ihr seid verflucht jetzt und alle Zeit. Alle Höllenstrafen sollt ihr erleiden, und niemand soll euch davon erlösen können! Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.« Er hatte der Eile halber und, weil er unbedingt von den Landsknechten verstanden werden wollte, die Verdammnis auf Spanisch und nicht lateinisch gesprochen. Die Schweizer nahmen mit Hellebarden, Spießen und Schwertern neben ihm Aufstellung.

»Das Pfäfflein will kämpfen!«, rief ein Söldner und hielt sich den Bauch vor Lachen.

»Nimm sofort die Exkommunikation zurück!«, verlangte ein Zweiter zornig:

»Wer den Herrn nicht liebt, sei verflucht! Marána tha – Unser Herr, komm!«, sagte er nun auf Aramäisch, denn es interessierte ihn nicht mehr, ob sie ihn verstanden. Er spürte, dass sein letzter Tag gekommen war und er bald schon für seine Sünden büßen würde, wie diese Kriegsknechte eines Tages für die ihren. Dann stürzte er sich in den Kampf.

Zwei Stunden dauerte das Metzeln, dann hatte die spanische Übermacht die wie Löwen kämpfenden Schweizer niedergemacht. Giacomo Kardinal Catalano geriet mit einer Fleischwunde lebend in die Hände der Söldner. »Nimm das Anathema zurück und du sollst einen schnellen Tod haben!«, forderten sie abermals. Doch Giacomo schwieg. Er wollte keinen schnellen Tod, sondern die von Gott verhängte Strafe erdulden. Er hatte als Priester für Gott gelogen, betrogen, gestohlen, verleumdet, entführt, gefoltert und gemordet. Sogar einen Papst vergiftet. Er war in die Hölle hinabgestiegen, um Ihm und Seiner Kirche zu dienen. Er wusste, was er tat, und er wusste auch, dass ihn eines Tages dafür die gerechte Strafe ereilen würde.

In ihrer Wut zogen die Landsknechte ihm den Panzer aus. Sein Habit leuchtete feucht und rot, von eigenem und fremdem Blut. Sie rissen ihm die Kutte herunter. Vollkommen nackt stand er vor den Söldnern. Wie das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wurde. Agnus Dei, betete er stumm. Die Landsknechte schauten sich um, dann entdeckten sie ein riesiges Kreuz, doppelt so hoch wie sie. Sie schlugen mit einer Hellebarde die Holzplastik des leidenden Erlösers vom Kreuz, dann pressten sie Giacomos Körper darauf. Ein Schmerz durchfuhr ihn und wieder einer und wieder und wieder einer. Sie hatten ihn mit Armbrustgeschossen ans Kreuz geschlagen. Er dachte noch, flehte noch, bitte kreuzigt mich mit dem Kopf nach unten! Ich bin es nicht wert, wie unser Herr Jesus zu sterben. Dann schwanden ihm die Sinne, blutige Tränen traten ihm aus den Augen und rannen ihm über die Wangen.

»Na, sprichst du uns nun von unseren Sünden frei und nimmst das Anathema zurück?« Es war zu spät. Sein Geist weilte längst nicht mehr bei ihnen. Wie hatte Ignatius von Antiochia gesagt: »Versucht nicht, den Menschen zu gefallen, sondern Gott … Ich jedenfalls werde nie wieder eine solche Chance haben, zu Gott zu gelangen.« Jetzt endlich verstand Giacomo sein Leben. Jetzt, wo er seinen Frieden mit seiner Existenz machte. Das Martyrium würde ihn reinigen.

»Was ist nun? Wenn wir dich nicht bald vom Kreuz abnehmen, bist du hinüber!«, brüllte einer der Landsknechte. Die Schreie der Qual und des Sterbens der Menschen, die sich ins Tegurium geflüchtet hatten, drangen an sein Ohr. Giacomo wiederholte das Anathema, dann betete er das Schuldbekenntnis.

»Confiteor Deo omnipotenti

et vobis, fratres,

quia peccavi

nimis cogitatione, verbo, opere et omissione:

mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa …«

»Lasst ihn verrecken«, befahl der Söldner. Wieder brandete der Schmerz wie tausend Feuer in Giacomo auf. Jemand zog ein paar Mal, wie um ihn zu necken, von unten an seinen Beinen. Dann ließen sie ihn allein. Ihm schwanden die Sinne.

»Jaume«, hörte er die Stimme einer Frau, die wie durch Watte hindurch auf Katalanisch zu ihm sprach. Er kannte die Stimme. Sie wurde immer deutlicher. Er kannte ihren Klang sehr gut, obwohl es ein ganzes Leben zurücklag, dass er sie zum letzten Mal gehört hatte. Er war damals noch ein Kind gewesen, zwölf Jahre alt.

»Jaume, komm, dein Vater will dich sprechen.«

Giacomo sah seine Mutter vor sich: Nach all den vielen Jahren, in denen er ihr Gesicht vergessen hatte, und sie sich nicht einmal mehr im Traum vorzustellen vermochte, erblickte er sie so deutlich, als stünde sie vor ihm. Ihre großen, dunklen Augen in dem schmalen Gesicht. Ihre schlanke Figur, die langen Hände, die ihn oft streichelten. Die vollen Lippen, aus denen der heilende Atem kam, wenn er gefallen war oder sich gestoßen hatte. Er folgte ihr in den Garten, hinter das Haus. Unter Pinien saß sein Vater, ein Arzt und Gelehrter, mit dem Rücken zum Eingang und las in einem Buch. Inmitten von Rosen saß er. Jaume benötigte einen Augenblick, bis er begriff, was an ihm so anders wirkte. Seinen Hinterkopf bedeckten nur Haare; die Kippa, die er ständig trug, fehlte.

»Dein Sohn, Jordi!« Und auch das Gesicht seines Vaters sah er das erste Mal seit damals wieder deutlich vor sich. Er hatte einen dunklen Teint, aber blaue Augen. Wenn er, wie jetzt, lächelte, nahm die Iris die Farbe des freundlichen Himmels an. Der Vater breitete die Arme aus. Es roch nach den reifenden Pinien, süß. Jaume rannte los, der Vater stand auf, bückte sich, griff seinem Sohn unter die Arme und hob ihn hoch in die Luft. Dann stellte er ihn wieder behutsam auf die Fliesen, mit denen der Weg zwischen den Blumen hindurch zum Rasenrondell gepflastert war. »Setz dich, ich habe mit dir zu reden!«