Für einen kurzen Moment erwog Antonio den Gedanken, den Bund wiederzubeleben. Doch wozu? Es gab nur noch zwei Fedeli – ihn selbst und Baldassare Peruzzi. Beide hatten sie kein Interesse an Politik. Und auch nicht an philosophischen und theologischen Spekulationen. Das verdarb das Geschäft und brachte einen nur in Schwierigkeiten. Zudem hatte der Sacco di Roma alle hochgespannten Vorstellungen von der Göttlichkeit und Ewigkeit der Kunst der grausamen Lächerlichkeit preisgegeben. Selbst wenn er daran zweifeln wollte, musste er nur durch Rom gehen und sich die geschändeten Kirchen, die zerstörten Kunstwerke anschauen, um zu erkennen, dass sich die Fedeli gründlich geirrt hatten. Liebe war nur Trug und die Kunst so verletzlich wie der Mensch. Nicht die Philosophen, nicht die Künstler und Dichter beherrschen die Welt, nicht ihre Ideen und Kunstwerke, sondern schlicht und einfach die Gewalt und der Zufall.
Antonio da Sangallo hatte seine Lektion gelernt. Es ging nur darum, dass man sich in der Welt behauptete, um sich und den Seinen ein gutes Auskommen zu sichern. Es war an der Zeit, dass die Familie Sangallo das Baugeschehen in Rom beherrschte. Aufträge und Arbeit gab es nach dem Sacco zur Genüge. Dennoch las er mit der größten Neugier im »Buch der Baumeister«, denn er wusste, dass Bramante ihm noch immer weit überlegen war. Bis zu diesem Tag verstand er nicht alle Ideen seines Meisters. Aber wenn er das geheime Wissen studiert hatte, würde er vielleicht endlich auf einer Stufe mit ihm stehen.
So verging eine gute Woche. Am Ende war Antonio ermüdet von den vielen theoretischen Spekulationen und dankbar für ein paar neue Berechnungsarten, in die ihn das Buch einführte. Nie würde er, der ein versierter Architekt war, erfahren im Umgang mit den Bauunternehmern, von denen ihm keiner etwas vormachen konnte, was die Lösung praktischer Probleme betraf, Donato Bramante verstehen können. Zwischen Fleiß und Inspiration hat Gott eine Grenze gesetzt, und Antonio war zwar sehr fleißig und auch begabt, aber nicht inspiriert. So stellte er beide Bücher nach der Lektüre auf das kleine Bücherregal in seinem Atelier. Nein, wären sie nicht gestorben, dann hätte der Sacco di Roma den Gefährten der Liebe den Garaus gemacht.
Im frühen Herbst, noch bevor die Blätter fielen und es kühl wurde, brachte Ascanio Lucrezia und die Kinder zurück nach Rom. Nur Eugenio, der in Florenz eine Witwe gefunden und sie geheiratet hatte, blieb in der Arnostadt zurück. Die beiden Söldner hatten so tief bewegt voneinander Abschied genommen, als seien sie sicher, sich nicht mehr wiederzusehen.
Antonio hatte inzwischen den Palazzo vollkommen instand gesetzt und seine Arbeit am Petersdom wiederaufgenommen. Der Tod des Kardinals Catalano hatte eine Last von seinen Schultern genommen. Er war von dem Versprechen, das ihm die Lust am Bauen genommen hatte, erlöst. Nun endlich wollte er wieder dort anschließen, wo Donato geendet hatte. Zurück zum Zentralbau!
Doch der Geldmangel behinderte die Wiederaufnahme der Bauarbeiten im großen Stil, und der gedemütigte und ruinierte Papst Clemens VII. vermochte sich zu keinen großen Entscheidungen mehr aufzuraffen. Antonio war es recht, er verdiente viel Geld mit anderen Projekten – hier ein Palazzo, da eine Kirche – und konnte in Ruhe am Konzept für den Petersdom arbeiten. Eines schwor er sich: Niemals würde er so leichtsinnig vorgehen wie Bramante. Er wollte detaillierte Pläne und ein exaktes Holzmodell erarbeiten, damit der Fortgang der Bauarbeiten eindeutig festgelegt wurde. Und während er daran arbeitete, wuchsen in seinem Herzen die Vorwürfe, die er seinem einstigen Lehrmeister machte, in dem er immer mehr den Schuldigen für die Misere ausmachte. Mit einer ordentlichen Planung stünde Neu Sankt Peter bereits, dachte er. Auch als endlich wieder Geld floss, baute Antonio nicht weiter. Die üblichen Verlegenheitsarbeiten – dort ein Fundament ausbessern, da eine Wand hochziehen – verschleierten die Wahrheit. Es ging nicht voran, und das hatte einen Grund.
Antonio wagte sich nicht an die Kuppel. Er mochte sich noch so sehr schinden, die Berechnung gelang ihm einfach nicht. Und das alte Konzept, an dem er sogar mitgearbeitet hatte, zweifelte er inzwischen an. Seine tiefe Skepsis entsprang nur einem einzigen Grund, den er sich aber nicht einzugestehen wagte – es mangelte ihm an Mut. Wenn er die Kuppel setzen würde und sie zerbräche oder die Pfeiler hielten ihrem Gewicht nicht stand, würde sie ihn und seine Familie unter sich begraben. Davor hatte er Angst. Und darüber musste er sich hinwegtäuschen.
Der Tod von Baldassare Peruzzi ließ ihn als Architekt vollends vereinsamen. Hatte sich Baldassare auch vorher nicht viel um den Bau gekümmert, so fehlte er ihm dennoch. Der Papst sah keinerlei Notwendigkeit, einen zweiten Architekten zu beauftragen. Und Antonio selbst konnte ja schlecht darum bitten. Es hätte wie ein Eingeständnis ausgesehen, dass er überfordert sei. Von Jahr zu Jahr mehr empfand er das Projekt als ein abgrundtiefes schwarzes Loch, das ihn zu verschlingen drohte oder als eine große Eisenkugel am Bein, die ihn langsam und unerbittlich auf den Grund des Tibers zog, während er nach Luft schnappend und mit den Händen rudernd versuchte, sich an der Wasseroberfläche zu halten.
Teil IV –
Die Feuer der Inquisition
Selbst wenn mein eigener Vater ein Häretiker wäre, würde ich das Holz für seinen Scheiterhaufen sammeln, um ihn zu verbrennen.
Gian Pietro Carafa, Großinquisitor, später Papst Paul IV.
54
Florenz, Anno Domini 1533
Die Stadt lag vor ihm wie eine untreue Geliebte, von der er doch nicht lassen konnte, aus Gewohnheit und weil niemand mehr zu bieten hatte als sie. Als Rom geplündert und gequält worden war, hatte Michelangelo sich gottlob am Arno aufgehalten und darüber gestaunt, dass die Prophezeiung des als Ketzer verschrienen Abtes Joachim von Fiore, die dieser einst in seinem »Liber de Concordia Novi ac Veteris Testamenti« formuliert hatte, tatsächlich eintraf. Eines Tages, hatte der Abt aus Kalabrien geschrieben, würde Rom, das neue Babylon, für seinen Hochmut gezüchtigt werden. Und so war es schließlich gekommen. Sie alle – die Päpste, die Humanisten und die Künstler – hatten in ihrem Hochmut und ihrer Eitelkeit daran geglaubt, sich in ihren Werken zu verewigen. Doch ihre Skulpturen waren von den Landsknechten zerschlagen, ihre Bilder und Bücher von den Söldnern verbrannt worden und ihre Palazzi fielen den Geschossen der Feldschlangen zum Opfer.
Auch er hatte diesem selbstgerechten Glauben gefrönt, den die rauen Winde der Wirklichkeit erbarmungslos vor sich hergetrieben und schließlich zum Zerstieben gebracht hatten. Nichts auf der Welt war ewig – nur Gott. Das hatte Michelangelo einsehen müssen. Die ihn zutiefst verstörende Erkenntnis lautete, dass selbst die Kunst so vergänglich war wie der Mensch. Die Ewigkeit gehörte Gott allein, und er ließ sich kein Gran davon abhandeln.
Einst hatte Michelangelo dem Hof Leos X. stolz den Rücken gekehrt und sich der Republik Florenz zur Verfügung gestellt, erst als Künstler und später, als Clemens VII. die Stadt erneut den Medici unterwerfen wollte, als Festungsbaumeister, weil er meinte, die republikanische Ordnung verteidigen zu müssen. Doch dann hatte sich Kaiser Karl V. nach der grausamen Plünderung Roms durch seine unbezahlten Truppen mit dem Papst versöhnt und diesem die stolze Arnostadt sozusagen geschenkt. Die Republikaner wurden vertrieben oder flohen.