»Für ein läppisches Buch vergisst du mich schon, du Schuft! Was für eine Schmach, welch eine Beleidigung!«
Bramante schaute über die Schulter. Imperias Augen blitzten zornig, als sie auf seinen Schoß sprang. Der Stuhl geriet ins Wanken und kippte um. Bramante landete auf dem Rücken, Imperia saß rittlings auf ihm und bearbeitete seinen Leib weiter mit ihren Fäusten.
»Verschone mich, Imperia.«, stöhnte Bramante. »Das halte ich nicht aus!«
»Und wenn schon!«, schimpfte sie unbeeindruckt. »Es müsste dir doch Vergnügen bereiten, wenn sie deine Haut abziehen, gerben und zu Pergament verarbeiteten! Allerdings würde daraus bei deiner Körperfülle kein handliches Oktavbändchen, sondern ein dicker Foliant!«
Bevor eine weitere Kaskade von Schlägen auf ihn niederprasseln konnte, richtete er sich ein Stück weit auf und umklammerte ihre Arme mit den seinen wie eine Holzzwinge.
»Es ist gut, Imperia, es ist ja gut! Es tut mir leid. Aber dieses Buch dort ist kein frommes Brevier, es ist die Schatzkammer des größten Geheimnisses der Welt.«
»Was könnte das schon sein?«, fragte sie und rümpfte die Nase. »Ist es etwa größer als ich?«
»Nein, das natürlich nicht«, gab Bramante lachend zurück. »Selbstredend ist es das zweitgrößte Geheimnis der Welt – nach dir!«
Imperia wurde ruhiger, aus ihrer Miene sprach Neugier, und Bramante lockerte seinen Griff. Plötzlich sprang sie auf, griff nach seinem Rapier, das auf einer Truhe lag, und setzte die Spitze an seinen Kehlkopf.
»Verrate es mir, oder fahr zur Hölle!«
Bramante breitete die Arme aus, als wollte er sich ergeben. »Alles, Geliebte, alles verrate ich dir.«
»Fang an.«
»Um es dir zu erklären, muss ich etwas aufzeichnen.«
Imperia zog das Rapier zwar zurück, hielt es aber weiterhin auf ihn gerichtet. Bramante erhob sich ächzend und setzte sich wieder an den Tisch. Er zog ein Blatt Papier heran und nahm einen Bleigriffel.
»Schau her, meine Liebste. Du kennst die Kuppel des Pantheons?«
Imperia nickte, legte das Rapier beiseite und setzte sich neben ihn. Ihre Wangen färbten sich rosig vor Neugier und Konzentration.
»Bis heute weiß niemand, wie sie gebaut ist. Bis heute hat es niemand fertiggebracht, ein solches freitragendes Gewölbe zu errichten«, erklärte Bramante.
»Ich habe gehört, dass auch der Dom zu Florenz eine riesige Kuppel hat. Das sagen zumindest die Florentiner«, wandte Imperia ein.
»Ach, das sind doch alles Lügner. Aber selbst wenn sie es nicht sind, wissen sie es nicht besser. Dieser Fuchs Brunelleschi hat ihnen zwar eine Kuppel nach Art der Alten verkauft, aber eben nur äußerlich. Inwendig ist es eine normale gotische Kuppel. Mit einem Gerippe errichtet und daher nicht freitragend.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Imperia und rieb ihre Wange an Bramantes Schulter.
»Ich zeige es dir«, sagte er, zeichnete einen großen Bogen und schrie plötzlich auf, weil ein stechender Schmerz sein rechtes Handgelenk durchfuhr. Er schaute auf seine Hand, die langsam anschwoll und sich rot verfärbte. Die Schwellung glänzte, als habe man sie mit Olivenöl eingerieben.
»Was ist mit dir?«, fragte Imperia besorgt.
Bramante wusste, was es war, und er wurde traurig. Er kannte diese heimtückische Krankheit. Wie sollte er mit einer kranken Hand zeichnen, und wie sollte er, ohne zeichnen zu können, Architekt sein? Er stöhnte auf.
»Was ist? Was ist?«, rief Imperia und nahm sein großes Gesicht liebevoll in ihre zarten Hände.
»Die Gicht«, murmelte er leise.
Imperias Blick zeigte so viel Mitgefühl, dass Bramante sogleich die schreckliche Krankheit vergaß – für diesen Ausdruck in ihren Augen nahm er die Schmerzen gern in Kauf.
»Ich bin eben ein alter Mann«, seufzte er.
»Du und ein alter Mann. Denk an den Papst, der ist ein alter Mann!«
»Wir sind im gleichen Jahr geboren«, sagte Bramante.
Imperia ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken. »Und? Was macht das schon?«
»Zieh bei mir ein, und lebe mit mir«, sagte Bramante. Ihr Mitgefühl hatte ihn kühn werden lassen.
»Niemals! Gott ist mein Zeuge, Donato, ich liebe dich, aber keinem Mann werde ich meine Freiheit opfern. Wir haben beide keine Zeit zu verschenken. Du nicht, weil du das größte Bauwerk der Welt zu errichten hast, und ich nicht, weil ich genügend Geld verdienen muss, um meinen Lebensabend und das Auskommen meiner Tochter abzusichern.«
»Was mir gehört …«, setzte Bramante an, doch Imperia verschloss mit ihrer Hand seinen Mund.
»Du hast mir nicht zugehört. Von dir nehme ich kein Geld!« Ihr Atem machte ihn wohlig schaudern, als sie sich noch näher zu ihm neigte und ihm ins Ohr flüsterte: »Dich liebe ich.«
Bramante wollte sie an sich ziehen, doch sie wehrte ihn ab, stützte das Kinn auf die Hände und sagte: »So, und jetzt erkläre mir endlich, was es mit diesem verdammten Pantheon und der Kuppel auf sich hat!«
17
Rom, Anno Domini 1505
Wenige Tage darauf erschien ein päpstlicher Bote bei Bramante und teilte ihm mit, dass Julius II. ihn sogleich zu sehen wünsche. Auf dem Weg zum Vatikan dachte der Architekt unentwegt darüber nach, was wohl der Anlass dafür sein könnte.
Der Papst empfing ihn in der Stanza della Segnatura, die ihm als Bibliothek und Studierzimmer diente. Als Bramante in den Saal trat, beugte sich Julius über eine große Zeichnung, die auf einem mächtigen Holztisch ausgebreitet lag. Neben ihm stand der unverschämte junge Bildhauer aus Florenz, über dessen anmaßendes Wesen sich Bramante schon im Bordell der Petronilla geärgert hatte. Auf der anderen Seite des Tisches standen Sangallo und Frà Giacomo, der Erzpriester von Sankt Peter. Bramante hatte ihn bisher nur zwei- oder dreimal flüchtig gesehen und sogleich eine instinktive Abneigung gegen ihn gefasst. Bisweilen war ihm, als sei er dem Dominikaner auch außerhalb von Rom schon einmal begegnet, er konnte sich aber nicht an Ort und Stunde des Zusammentreffens erinnern. Jedenfalls war Vorsicht angeraten, dachte Bramante, auch wenn den Erzpriester ein Engelsgesicht zierte.
Als er eintrat, schaute Julius von der Zeichnung auf. Seine Gesichtszüge waren entspannt, und in seinen Augen zeigte sich eine naive, kindliche Freude, die kaum jemand dem kriegerischen Papst zugetraut hätte. Bramante aber kannte ihn besser. Er wusste, dass sich Giuliano della Rovere bis ins Alter und auch als Papst die Fähigkeit bewahrt hatte, sich frei, offen, vorbehaltlos wie ein Kind über gewisse Dinge zu freuen, zumeist über solche der Kunst.
Bedauerlicherweise war es nun aber ein Entwurf des jungen Florentiners, der Julius II. beglückte, und nicht eine Skizze von Bramante. So groß die Gunst des Papstes sein konnte, so schnell schwand sie manchmal auch wieder dahin. Denn die Kehrseite der päpstlichen Freude bestand darin, dass Julius mutwillig mit den Künstlern spielte wie ein Kind mit Holzfigürchen, die es achtlos in die Ecke warf, wenn es ihrer überdrüssig geworden war und ein anderes Spiel neue und größere Freude verhieß. Bramante musste also auf der Hut sein – ein anderer, jüngerer Baumeister schien angetreten zu sein, um ihn aus dem Herzen des Papstes zu verdrängen.
Und das jetzt, wo ich alt und gichtbrüchig werde, dachte Bramante mit einem Anflug von Selbstmitleid. Seine rot geschwollene Hand hatte er in einem weißen Ziegenlederhandschuh versteckt – niemand durfte von dem Gebrechen erfahren. Aber nicht nur daran zeigte sich zu seinem Erschrecken das Alter. Zuweilen verspürte er keine Lust mehr, sich um Aufträge zu balgen und die Rivalen kraft seiner Beredsamkeit und seiner Erfahrung zu verdrängen. Dafür plagte ihn in letzter Zeit immer häufiger der schiere Überdruss. Hatte er nicht alles erreicht, was ein Architekt sich nur wünschen konnte? Er hatte die beiden Korridore erbaut, die vom Vatikanpalast zum Belvedere führten. Zudem leitete er die größte städtebauliche Maßnahme in Rom: Haus um Haus ließ er in den verwinkelten Vierteln längs des Tibers niederreißen, um Platz für eine breite Straße zu gewinnen, die vom Vatikan zum Lateran führen und nach dem päpstlichen Bauherrn Via Giulia heißen sollte. Hinzu kam ein Tempel in San Pietro in Montorio, wo Petrus der Überlieferung nach gekreuzigt worden war. Bramante hatte diesen Tempietto als reinen antiken Zentralbau mit Kuppel gerade fertiggestellt. Seit tausend Jahren war in Rom nicht mehr etwas derartig Heidnisches erbaut worden. Er konnte stolz auf sich sein, denn damit hatte er – wenn auch im Kleinen – als erster Baumeister seiner Zeit die Grundsätze des guten Bauens umgesetzt, wie sie von Vitruv überliefert und von Leon Battista Alberti wiederentdeckt worden waren. Niemand wusste, dass Bramante den Petrustempel heimlich dem Andenken seines Freundes Pico geweiht und eine Locke vom Haupthaar des Philosophen im Fundament des Altars versenkt hatte. Wer war Petrus schon im Vergleich zu dem göttlichen Pico?