Auf dem Heimweg nach der Audienz beim Papst verging eine ganze Weile, bis Bramante sich wieder beruhigt hatte. Bis dahin folgte ein Wutanfall auf den nächsten. Zu tief hatte Michelangelo ihn in seinem Stolz verletzt. Natürlich konnte er bei Julius nicht direkt gegen ihn vorgehen. Damit würde er nur das Gegenteil dessen erreichen, was er bezweckte. Kurz erwog er, für ein paar Münzen einen Meuchelmörder anzuheuern, um den Florentiner zu den Fischen zu schicken, besann sich dann aber eines Besseren. Bei allem Zorn konnte er einen so begabten Bildhauer nicht einfach töten lassen. Das wäre ein Frevel gewesen, den Bramante nicht auf sein Gewissen laden wollte. Es musste andere Wege geben. Nur welche?
Mit hochrotem Gesicht schritt er so eilig aus, wie es ihm seine Statur und seine Füße erlaubten. Er keuchte laut, denn sein Herz zog sich krampfhaft zusammen. Am meisten sorgte er sich jedoch um seinen Verstand, der ihm zu entgleiten drohte. Die Häuser schnitten ihm Fratzen, und Schmach, Schmach, rief es ihm von allen Ecken und Enden der Stadt entgegen.
Als er endlich wieder zu Hause war, tauchte er seinen Kopf mehrmals in einen kleinen Bottich mit kaltem Wasser, den ihm Giuseppe bereitgestellt hatte. Prustend und schnaufend fand er langsam zu sich zurück. Dann machte er sich auf den Weg zu Imperia. Die Geliebte war nicht nur schön, sondern auch klug. Gemeinsam würde ihnen sicher eine List einfallen, um Michelangelo auszuschalten. Da er sie nicht zu Hause antraf, diktierte er ihrem Diener einen kurzen Brief. Bramante konnte zwar lesen, aber nicht schreiben. Um sich zu trösten, versuchte er anschließend, mit drei Damen des käuflichen Gewerbes die Nacht zum Tag zu machen.
Kaum dass er im Morgengrauen eingenickt war, riss ihn ein höllisches Gezeter schon wieder aus dem Schlaf. Er blinzelte und lächelte belustigt, als er begriff, was da vor sich ging. Kreischend und schimpfend streiften sich seine drei Gespielinnen eilig die Kleider über und versuchten gleichzeitig, sich mit den Händen vor einem Besen zu schützen, der erbarmungslos auf ihre Leiber niederfuhr. Das Ganze wurde von den schlimmsten römischen Flüchen begleitet, die selbst Bramante zum Erröten brachten.
»Es stinkt hier nach Huren!«, schrie Imperia, während Bramantes arg gerupfte Gefährtinnen der Nacht fluchtartig sein Schlafzimmer verließen. Bevor er noch etwas sagen konnte, klatschte ein ordentlicher Guss Wasser auf ihn nieder. Er glaubte zwischen den Laken zu ertrinken und schnappte nach Luft.
»Halt ein, halt ein!«, krächzte er. »Du tust das doch auch!«
»Nein, tu ich nicht!«, widersprach sie wütend und stemmte die Fäuste in ihre Seiten. Ah, dachte er, sie gibt die Römerin.
»Willst du mir erzählen, dass du eine Nonne bist?«
Er hatte kaum ausgesprochen, da packte sie ihn fest am Ohr und zog ihn hoch. »Hör mal gut zu, mein Lieber. Ich verdiene mein Geld damit, wohingegen du das deine dafür ausgibst. Das ist etwas völlig anderes!« Bramante musste ihr recht geben, so hatte er es noch nicht betrachtet. Aber Imperia war noch nicht fertig. »Meinst du, ich würde das tun, wenn meine Mutter eine Fürstin und nicht eine Kurtisane gewesen wäre? Aber ich sage dir etwas, du nichtsnutziger Bock. Im Gegensatz zu denen da«, sie wies mit dem ausgestreckten Finger nach draußen, »gehe ich nicht mit jedem mit, der mit dem Geldsack winkt, sondern suche mir meine Kundschaft genau aus. Musst du denn dein verdammtes Ding überall hineinstecken? Du holst uns noch die Franzosenkrankheit! Ach, Männer!« Sie verdrehte die Augen.
Wenn sie wie ein Orkan wütete, liebte Bramante sie am meisten, ihre Kraft und ihre Klugheit, ihre Leidenschaft und ihre Unbedingtheit. In Wahrheit war sie eine Fürstin, und sie machte ihn zum König.
»Was wolltest du eigentlich von mir?«, fragte sie ein wenig sanfter, ließ sich neben ihm auf das nasse Bett fallen und schmiegte sich an ihn.
Bramante erzählte ihr, was sich bei der päpstlichen Audienz zugetragen hatte, und spürte, wie ihn wieder die Wut auf Michelangelo überkam.
»Oje, mein armer großer Bär. Das ist ja alles andere als erfreulich«, sagte Imperia und knetete sanft sein Ohr, das von ihrer Misshandlung noch immer schmerzte. Dann richtete sie sich mit einem Ruck auf.
»Wir müssen nachdenken. Und wir brauchen Verbündete.«
»An wen denkst du?«
»Was ist das Zweitwichtigste in Sachen Kunst?«
»Die Idee.«
»Steht und fällt mit Nummer eins, dem Künstler?«
»Dann steht und fällt mit ihm auch das handwerkliche Geschick. Vielleicht das Verständnis des Auftraggebers?«
Imperia verdrehte langsam die Augen, was ihr ein unnachahmliches Aussehen höchster Seelenpein verlieh. »Du enttäuschst mich, Donato. Ich will dir helfen. Wohinter bist du her wie nach nichts sonst auf der Welt?«
Sein Grinsen geriet nur allzu anzüglich.
»Und sag mir jetzt nicht, nach Frauen«, drohte sie, und er zog es vor, wieder ernst zu werden.
»Ruhm?«
»Lügner.«
Bramante lächelte. Endlich hatte er verstanden, worauf sie hinauswollte.
»Geld!«
»Richtig. Kunst kostet Geld, und große Kunst kostet großes Geld.«
»Zumindest das, was man dafür hält«, wandte er ein.
Imperia machte eine wegwerfende Handbewegung, als wollte sie sagen: Halte mich jetzt nicht mit Nebensächlichkeiten auf. »Wer finanziert den Papst?«
»Der Bankier Agostino Chigi aus Siena«, antwortete der Architekt brav.
»Mach mich mit ihm bekannt.«
Bramante sah sie erschrocken an. Sie legte beschwichtigend ihre Hand auf seinen Oberarm. »Es wird dein Schaden nicht sein.«
»Nein, niemals«, antwortete er entschlossen. Instinktiv überkam ihn die Angst, sie zu verlieren. Er kannte Agostino und wusste, dass er kein Mann war, der teilte.
19
Rom, Anno Domini 1505
Die Vesperzeit spülte wie eine gewaltige Flut das Heer der Büßer in den Petersdom wie auch in die anderen sechs Wallfahrtskirchen von Rom. Die Angst, für ihre Sünden beim Jüngsten Gericht zur ewigen Pein verurteilt zu werden, trieb sie zur Beichte, zur Andacht, zur Reue und zum Erwerb von Ablässen. Hier konnten sie vor der römischen Nacht, die das schwache Fleisch zu Missetaten hinreißen würde, die Vergebung ihrer Verfehlungen erlangen, der vergangenen wie der künftigen – immer zwischen Schuld und Sühne, der Kreislauf der Ewigen Stadt. Das Hauptschiff und die Kapellen von Sankt Peter dampften geradezu von der Andacht der Gläubigen.
Als Giacomo il Catalano durch das rechte Seitenschiff zum Nordarm des Domes strebte, empfand er die unfreiwillige Komik dieses Massenandrangs zur Sündenvergebung. Mehrere Messen wurden gleichzeitig in Sankt Peter gefeiert. Die verschiedenen Gebete und Gesänge überlagerten sich und stiegen in einer wahrend Kakofonie hinauf ins Gebälk. Vielleicht war die Ketzerei auch entstanden, dachte Giacomo, weil die Menschen den Glauben zu unterschiedlichen Zeiten angenommen und nicht alle zugleich mit dem Kyrie eingesetzt hatten. Vielleicht stimmten deshalb die Rhythmen nicht zusammen. Glauben jedoch bedeutete nach seiner tiefen Überzeugung Zusammenstimmen, Homofonie nicht Polyfonie, Synchronizität nicht Asynchronizität. Und damit dieser Gleichklang entstehen konnte, bedurfte es der Priester. Sie waren die eigentlichen Kapellmeister des Glaubens.
Doch was wusste er schon? Giacomo spürte, dass seine Gewissheiten ins Wanken geraten waren. Der Besuch bei dem Bildhauer hatte ihn verunsichert. Dass die Frauen ihm schöne Augen und eindeutige Angebote machten, war er gewohnt. Noch nie aber hatte ein Mann ihn verliebt angesehen. Wenn seine Keuschheit ernsthaft bedroht wurde, dann nur durch eine Frau. So manches Mal hatte er mit sich selbst einen harten Kampf auszufechten gehabt, um der Verlockung der aufreizenden Blicke, der bebenden Busen, der schwingenden Hüften zu widerstehen. Für Männer interessierte er sich in dieser Hinsicht nicht. Im Gegenteil, die Vorstellung ekelte ihn an.