»Komm zu dir, Freund!« Agostino Chigi stützte ihn und sagte naserümpfend: »Du brauchst ein Bad.«
Bramante stieß auf, und ein säuerlicher Geschmack breitete sich in seiner trockenen Mundhöhle aus.
»Verzeiht, ehrenwerter Agostino, verzeiht.«
Der Bankier ließ ihn los. Bramante riss die Augen auf, bewegte die Gesichtsmuskeln und schnaufte.
Chigi kam gleich zur Sache. Er wollte sich offensichtlich nicht länger als nötig im Schlafgemach des Architekten aufhalten.
»Imperia hat mir von deiner Idee erzählt, einen neuen Petersdom zum Ruhme Gottes zu errichten. Es sei an der Zeit.«
»Es ist an der Zeit!«
»Dann tu es! Meine Unterstützung hast du. Aber es wird einen Aufschrei geben, wir müssen klug und gewappnet sein.«
»Und was springt für Euch dabei heraus?«
»Eine gute Frage. Endlich kommst du wieder zu Verstand! Die Finanzierung. Das wird das größte Geschäft meines Lebens.« Chigi schmunzelte. Es hatte den Anschein, als habe er Kredit und Zinsen schon durchgerechnet und auch die Sicherheiten bedacht, die er sich überschreiben lassen und gewinnbringend nutzen wollte. Der Bankier wandte sich zum Gehen, blieb jedoch in der Tür stehen und senkte den Blick.
»Imperia lässt dich grüßen.«
Bramante unterdrückte ein bitteres Auflachen.
»Wir werden deinen Anteil an unserem Glück nicht vergessen, mein lieber Donato. Du hast einen Freund gewonnen«, sagte Chigi, der reichste Mann der Welt, der so geschäftstüchtig wie großzügig war, und verließ Bramantes kleinen Palazzo. Alles wäre gut gewesen, wenn die Liebe den Architekten nicht so gequält hätte.
Nachdem er wer weiß wie lange auf seinem Bett gesessen und über Chigis Worte nachgedacht hatte, die er nicht annehmen wollte, sprang er plötzlich wie von der Tarantel gestochen auf und brüllte: »Giuseppe, Kerl, mach Wasser heiß, und bereite mir ein Bad mit Lavendel und Rosmarin.«
Der Bankier hatte recht, er brauchte wahrlich dringend ein Bad. Kurz darauf stieg er in den dampfenden und duftenden Zuber und schloss die Augen. Der Lavendel beruhigte ihn, während der Rosmarin sein träges Blut antrieb und, wie er hoffte, die Gicht verjagte, die sich wieder bemerkbar machte. Der Dunst malte Figuren in die Luft, Säulen, Kuppeln. Ja, er wollte nach den Gesetzen des guten Bauens handeln. Was hielt ihn zurück? Das Alter? Die Furcht, den Dom nicht zu vollenden? Aber darauf kam es doch gar nicht an!
Bramante setzte sich im Zuber auf und wischte sich mit der Hand das Wasser aus dem Gesicht. Um das Vollenden ging es doch gar nicht, auf das Beginnen kam es an! Nur eines war wichtig: genauso anzufangen, dass niemand, auch nach seinem Tode, mehr etwas ändern konnte. So einfach war es! Das Einzige, worüber er sehr genau nachdenken und danach seine Schritte setzen musste, war, vollendete Tatsachen zu schaffen.
Mit einem Freudenschrei kletterte Bramante aus dem Bad, zog, unbeschadet des Umstandes, dass er noch nass war, Hose, Hemd, Wams und Stiefel an und eilte aus dem Haus zum Pantheon. Er spürte nicht, wie der noch kühle Frühlingswind durch seine Kleidung blies. Dann stand er unter der mächtigen Kuppel des alten Tempels, den man zu einer christlichen Kirche umgewidmet hatte, und schaute nach oben, zu den Kassetten, die sich unterzuhaken schienen. Das Herz des Gebäudes, das Herz des Glaubens, sollte ein Zentralbau werden, den eine Kuppel bedeckte. Etwa so wie das Pantheon, nur viel, viel größer. Im Vergleich zu seinem Petersdom sollte das Pantheon wie eine Hundehütte wirken!
Auf dem Rückweg dachte er an das »Buch der Baumeister«. Zu Hause angekommen, nahm er es hervor, schlug die Seite auf mit dem Etz Chaim, dem Lebensbaum mit den vier Erzengeln in der Mitte, auf dem die Welt ruhte. Die Verbindung des Himmels zur Erde und der Erde zum Himmel hielten die Erzengel aufrecht, weil sie Boten waren, weil sie unablässig zwischen Erde und Himmel unterwegs waren. Vor Bramantes geistigem Auge entstand nicht von außen, sondern aus dem Inneren heraus, aus dem Mittelpunkt der Kraft heraus, das gigantische Gebäude als anmutiges Spiel der Engel mit dem Himmel. Sie, die Engel, würden die Kuppel des Himmels tragen.
Sein Entschluss stand fest: Er würde die größte Kuppel, die je gebaut wurde, auf die Vierung setzen. Das war das Eigentliche, das, wovon auszugehen war, und dann käme noch etwas Kirche drum herum, und schon würde der neue Tempel des neuen Jerusalem dastehen.
Bramante hatte das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Die Gedanken jagten durch seinen Kopf, aber er hatte mit ihnen nichts zu tun. Sie führten ein völlig eigenständiges Dasein, sein armer Körper war nur ihr organischer Träger, die Hülle. Er musste sich setzen. Er sorgte sich um sein Herz, das zu zerspringen drohte, denn jetzt konnte er ihn genau vor sich sehen, den neuen Dom der Christenheit.
Der Architekt begann zu rechnen und zu skizzieren, benutzte dabei den Verhältnisschlüssel, der der Etz Chaim war, um zu bestimmen, wie stark die Pfeiler sein müssten, um eine so große Kuppel tragen zu können, ohne dass sie unter ihrer Last brechen würden. Jetzt hieß es, bis zur Rückkehr des verhassten Bildhauers aus Carrara vollendete Tatsachen zu schaffen. Und nicht nur für diesen, sondern für die gesamte, unweigerlich zwergenhafte Nachwelt!
25
Colonnata, Anno Domini 1505
Die Raben kreisten über dem Steinbruch, als Michelangelo und Francesco, nur von Matteo begleitet, früh am nächsten Tag in den Berg stiegen, um Steine auszusuchen. Es war, als warteten die Raben auf die Menschen. Matteo fluchte leise. Er hielt das für ein böses Omen, doch Michelangelo meinte nur, dass irgendein Stück Aas im Bruch läge, ein Hase, ein Fuchs oder ein Wolf.
Zur gleichen Zeit waren Fritz und Guido unterwegs, um die Steinmetze und Transporteure für das Unternehmen anzuheuern. Die Beförderung vom Berg bis zum Hafen wollte Fritz organisieren, von da ab musste Michelangelo sich selbst darum kümmern. Die Marmorblöcke sollten mit der Lizzatura und mit Ochsenkarren ins Tal nach Carrara gebracht, im nahe gelegenen Hafen auf Schiffe verfrachtet und dann nach Ostia verschifft werden. Dort angekommen, würden sie sogleich auf die bauchigen Tiberschiffe umgeladen und auf dem Fluss nach Rom gebracht werden. Zu diesem Zweck hatte Michelangelo mit einem Reeder aus Lavagna einen Vertrag über den Schiffstransport geschlossen.
Der Bildhauer untersuchte pedantisch genau die Äderung des Gesteins an der Sohle des Steinbruchs, der einem umgestülpten Trichter glich. Er erinnerte Michelangelo an Botticellis Darstellung der Hölle in der Ausgabe der »Divina Commedia«, die er seinerzeit von Landino geschenkt bekommen hatte und in der er fast täglich las. Nach eingehender Prüfung malte er schließlich mit dem Zeigefinger ein imaginäres Rechteck an die Felswand, um die Größe des zu brechenden Brockens darzustellen.
»Diesen!«, sagte er und wies auf die Stelle.
Während Francesco und Matteo den Block, der später herausgebrochen werden sollte, durch eingeschlagene Eisen markierten, kletterte der Bildhauer, die Tasche mit seinen Skizzenutensilien über der Schulter, auf einen kleinen Sporn. Nachdem er den Fels Zoll für Zoll eingehend betrachtet hatte, liebkoste seine Hand den Marmor, und ein hingerissenes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Der Stein war makellos, nicht eine Ader deutete auf Fremdkörper oder Risse im Gestein hin – es war der schönste Marmor, den er je gesehen hatte. Hieraus wollte er seinen Moses für das Grabmal hauen! Er dachte darüber nach, den Block gleich an Ort und Stelle zu bossieren, sobald er aus dem Felsen gebrochen war, als ihn ein unbestimmbares Geräusch aus seinen Überlegungen riss.
Etwa zwölf Fuß unter ihm stand auf einem winzigen Felsplateau Giovanni, der junge Bursche, den er in der Kirche gesehen hatte. Unwillkürlich wich die fast nackte Gestalt unter Michelangelos Blick zurück bis auf die Spitze des Vorsprungs. Sein verfilztes Haar stand in alle Richtungen ab, und auf seine Stirn hatte der Schmutz dunkle Furchen gezeichnet. Sein Blick war womöglich noch verwirrter geworden, als verfolgten ihn die rachedurstigen Erinnyen, die in seinem Herzen hausten. Gebückt stand der Junge da, die Schultern eingezogen, die rechte Hand in der linken Armbeuge. Mit der linken Hand bedeckte er sein linkes Auge, während das rechte schreckgeweitet auf den Bildhauer starrte. Die Unterlippe hatte er leicht nach vorn geschoben. Nie hatte Michelangelo einen vollkommeneren Ausdruck des Erschreckens gesehen, in dem sich das Entsetzen über das eigene Tun ebenso spiegelte wie die Angst davor, was unweigerlich folgen musste.