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Zwei Wochen später erhob sich der Bildhauer von seinem Krankenlager, bat um eine Fleischbrühe und verkündete, er wolle zur Kirche gehen. Nachdem er die heilige Messe gehört hatte, wünschte er, seine Arbeit fortzusetzen. Es verlangte ihn danach, das Mädchen Anna zu malen, aber sie ließ es nicht zu. Liebend gern hätte er die Unschuld gezeichnet, aber sie war zu rein und unschuldig, als dass sie dies erlaubt hätte. Schließlich gab er es auf, in sie zu dringen. Er widmete sich wieder seiner Arbeit und ging vollkommen darin auf. Wie gut tat es, wieder im Steinbruch zu sein!

Eine Frage quälte ihn indes noch immer. Aus welchem Grund hatte Giovanni geglaubt, dass Gott ihn verführt habe und nicht der Teufel? So viel und so oft Michelangelo auch darüber nachsann, er konnte nicht ergründen, was den Jungen auf diesen Gedanken gebracht hatte. Andererseits gelang es ihm auch nicht, das Ganze als Geplapper eines Verrückten abzutun. Gott ist schuld – wie ein Stachel im Fleisch verhakte sich dieser Satz in seinem Denken.

Rom, Anno Domini 1505

Den ganzen Tag, die ganze Nacht und auch den nächsten Tag und die darauffolgende Nacht hatte Bramante mit Blei- und Rötelstiften Skizzen auf ein großes Pergament gezeichnet. Es gelang ihm nur selten, zwischendurch ein wenig Schlaf zu erhaschen, denn sein Gehirn gab keine Ruhe. Selbst wenn ihm die Augen zufielen, vermochte er sie nicht geschlossen zu halten. Während der Arbeit plagte ihn immer wieder die Gicht. Manchmal, wenn er freihändig oder mit dem Lineal eine Linie zog, schrie er vor Schmerzen auf. Zuweilen sah er sich gezwungen, die gesunde linke Hand zu Hilfe zu nehmen, um mit der gichtigen Hand, so gut es ging, die Linie zu halten. Auf diese Weise hatte er inzwischen den halben Vierungsraum mit dem Westchor und den ebenfalls halben Kreuzarmen entworfen.

Er lehnte sich zurück und betrachtete eine Weile die unfertige Zeichnung. Er würde sie nicht vollenden, fuhr es ihm durch den Kopf. Nicht Zeitgründe waren es, die ihn zu diesem Entschluss brachten. Nein, es war das Zwingende, vor allem Bezwingende, das von dieser halb fertigen Skizze ausging. Sie schrie förmlich nach Fertigstellung, nicht nur auf dem Papier, sondern als Bauwerk in der Welt. Konnte er etwas Besseres bei Julius II. hervorrufen als diese Sehnsucht?

Bramantes Augen blitzten auf, als er seinen Gedanken weiterspann, und sein Gesicht nahm den Ausdruck diebischer Freude an. Das Fragment hatte noch einen ausgesprochen vorteilhaften Nebeneffekt, indem es die Frage der alten Basilika weitgehend offenließ. Würde er die andere Hälfte des Entwurfs in gleicher Weise wie die bereits fertiggestellte ausführen, dann würde der Plan seine Absicht verraten. So aber konnte er lange argumentieren, dass der Zentralbau in den Langbau der alten Kirche münden solle. Und während die Diskussion darüber andauerte, konnte er vollendete Tatsachen schaffen.

Das Allerwichtigste aber war, dass dieses Fragment Größe ausstrahlte. Mit Speck fängt man Mäuse und mit imperialen Ideen den Papst, sagte sich der Baumeister, als er den Plan verpackte und sich auf den Weg zum Vatikanpalast machte.

Mit einer großen Rolle unter dem Arm, zwei Ellen lang, ging er eilig in Richtung Petersdom, fast lief er. Als er auf dem Vorplatz der Basilika ankam, umfasste sein Blick triumphierend das alte, heruntergekommene Gemäuer. Für ihn war es bereits Geschichte. Bald schon würde er diese wild gewachsenen Mauern niederlegen und einen neuen, größeren und schöneren Dom errichten.

Nicht einen Augenblick lang tat es ihm leid um das alte Bauwerk, das in seiner Geschichte schon so vieles gesehen hatte: Andacht, Krönung, Plünderung und Krieg, Heilige und Teufel und sogar den stinkenden Leichnam eines Papstes, den man aus dem Grab gerissen und in das Ornat gekleidet hatte, um über den Verwesenden Gericht zu halten, Sünde und Tugend, göttliche und menschliche Liebe. Ganz gleich, dieses Gemäuer war alt, es war baufällig, und es hatte ausgedient, und vor allem war es schlecht gebaut! Wer einen bildhaften Eindruck davon gewinnen wollte, wie ein muffiges Christentum die heitere und schöne Welt der Alten erstickt hatte, so fand Bramante, musste sich nur dieses Ungetüm anschauen, dem es an der Grazie der Formen und dem Humor des Lebens gebrach. Eine Architektur des schlechten Gewissens, des Verdruckstseins, nicht des Frohsinns.

Zudem entsprach es in seinem wilden Durcheinander der Proportionen und Stile in keiner Weise den Regeln der guten Baukunst. Wenn man überhaupt von Proportionen und Stilen reden konnte. Bramante fühlte sich mit einem Mal wie ein junger Ritter, der den alten Drachen aus Stein erlegen würde. Er lachte so heftig über den albernen Vergleich, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb und sich die Leute auf der Straße nach ihm umdrehten. Ein Verrückter, ein Narr in Christo, mochten sie denken. Aber es gelang ihm einfach nicht, seiner Heiterkeit Zügel anzulegen. Der Cavaliere Donato Bramante saß jetzt auf einem sehr hohen Ross, und er wusste und genoss es. So jung, so gut, so kraftvoll hatte er sich lange nicht mehr gefühlt!

Mit dem guten Christengott hatte das alles, was er plante, herzlich wenig zu tun. Vielmehr mit einer Wiederkehr der großen alten Zeit unter einem neuen Julius, zwar nicht Cäsar, sondern della Rovere, der aber ebenso kriegerisch, kraftvoll und klug war. Der zweite Julius würde das Römische Reich wiederaufrichten und die Muslime aus Byzanz und Jerusalem vertreiben. Das Genie Gaius Julius Cäsars war in der Person dieses Papstes zurückgekehrt, wenngleich dieser alt war und sich sputen musste. Julius’ Pläne lieferten sich auf der Kampfbahn der Zeit ein gnadenloses Rennen mit seinem Alter. Doch nie hatte es einen Stellvertreter Christi gegeben, der dem Titel eines Pontifex maximus, des größten Brückenbauers, gerechter wurde als Giuliano della Rovere, der in der Tat eine Brücke schlug vom Altertum über die dunkle mittlere, die gotische Zeit hinweg bis zur Gegenwart.

Bramante und Julius II., Baumeister und Herrscher, Hiram und König Salomon, auf diesem Paar ruhte die Geschichte der Menschen. Er, Bramante, würde den Tempel für die Rückkehr des Weltenherrschers, des Cäsars Julius, erschaffen. Der Sohn eines Bauern aus Monte Asdrualdo in der Nähe von Urbino konnte die Ewigkeit, in die er eingehen würde, bereits mit den Händen fühlen. Wenn er nur einen Bruchteil seiner Begeisterung im Papst erwecken könnte, dann wäre das Projekt gewonnen. Er ermahnte sich streng, einen kühlen Kopf zu bewahren. Jetzt nur keinen Fehler machen! Nicht zu hastig sein!

In der Stanza della Segnatura wurde Bramante bereits vom Papst erwartet. In seiner Gesellschaft befanden sich der Augustiner-Eremit Egidio da Viterbo, der Erzpriester des Petersdomes, Frà Giacomo, der Architekt Giuliano da Sangallo und – zur großen Freude des Baumeisters – der Bankier Agostino Chigi. Bramante hatte ihm eine Nachricht geschickt, und er war tatsächlich gekommen.

»Na, mein Sohn, so guter Laune?«, fragte der Papst.

»Oh ja«, sagte Bramante noch ein wenig außer Atem. »Verzeiht mir altem, sündigem Mann, dass ich lache, dass ich mich freue, dass ich tanzen möchte, wo ich Gott auf Knien danken müsste, still und in aller Demut. Denn hier«, verkündete er und hielt die Rolle mit dem Entwurf wie eine Trophäe in die Höhe, »hier habe ich die Lösung für alle Probleme, die mit der Aufstellung des Grabmals verbunden sind!«

Als Julius sich fragend im Kreis umsah, nutzte Bramante die Gelegenheit, Frà Giacomo verschwörerisch zuzuzwinkern.

»Dann zeig sie Uns endlich!«, forderte der Papst. »Oder willst du Schabernack mit Uns treiben?«

Mit vor Aufregung zitternden Händen breitete Bramante den Plan auf dem großen Tisch im Studierzimmer des Papstes aus. Man konnte die Erregung förmlich spüren, die von Julius II. Besitz ergriff, als er sich über den Entwurf beugte.

»Es ist nur halb ausgeführt, aber das macht nichts, das macht gar nichts. Wir können alles klar erkennen. Das ist der Plan einer Kirche. Hast du vergessen, Donato, dass Wir bereits eine haben?«