Bramante frohlockte innerlich, Julius war gleich zum Wesentlichen gekommen. Er verbeugte sich höflich vor dem Papst und wandte sich an Frà Giacomo. »Sankt Peter ist baufällig, Eminenz. Ist das richtig?«
»Ja«, antwortete der Dominikaner mehr gezwungen als freiwillig, jedenfalls mit deutlicher Reserve. Er misstraute Bramante.
»Steine lösen sich aus dem Verbund, an einigen Stellen regnet es sogar durch?«, fuhr dieser unbeeindruckt fort.
Giacomo nickte.
»Das ist alles behebbar, sicher«, Bramante geriet in Fahrt. »Bedenklicher ist es da schon, dass ganze Wände aus dem Lot geraten sind. Da ist es mit kleineren Reparaturen nicht getan.«
Julius II. schmunzelte. »Und da hast du gedacht, du baust gleich mal eine neue Kirche? So ganz nebenbei?«
»Heiliger Vater, das neue Jerusalem benötigt einen neuen Tempel!«, verkündete der Baumeister mit Inbrunst.
»Einen neuen Tempel für das neue Jerusalem!«, wiederholte der Papst nachdenklich.
Dass der Papst Rom zu einem neuen Jerusalem zu machen gedachte, hatte Bramante von Agostino Chigi erfahren. Ganz bewusst hatte er deshalb mit unschuldigem Blick diesen Begriff in die Diskussion gebracht, in dem sich die Ziele des Heiligen Vaters bündelten.
»Und warum nicht einfach ausbessern, Herr Baumeister?«, erkundigte sich Frà Giacomo mit gerunzelten Brauen.
Für diese Frage hätte Bramante den Erzpriester umarmen können! Auch wenn sie anders gemeint war, spielte sie ihm dennoch in die Hände.
»Für das Grabmal müssen wir erweitern. Dazu bietet sich, wie Messèr Michelangelo sehr richtig vorgeschlagen hat, die Erweiterung des Westchores an, die bereits unter Nikolaus V. begonnen wurde. Aber wenn wir das tun, bekommen wir Probleme mit der Statik«, erläuterte Bramante eifrig.
»Du meinst, der Anbau könnte Alt Sankt Peter ins Wanken bringen?«, fragte der Papst, worauf der Architekt eifrig nickte.
»Was denkst du?«, fragte Julius, an den Baumeister Giuliano da Sangallo gewandt.
»Möglich«, erwiderte dieser und wog nachdenklich den Kopf. Der alte Fuchs, dachte Bramante, er hält sich alle Türen offen.
»Gut, dass du da bist, Agostino.« Der Papst sah Chigi an. »Hypothetisch gefragt: Lässt sich so etwas denn überhaupt finanzieren?«
»Finanzieren lässt sich alles, was sinnvoll ist«, sagte der Bankier lächelnd.
»Es ist aber nicht sinnvoll!«, rief Giacomo mit ungewohnter Heftigkeit. »Der Petersdom ist das steingewordene, unvergängliche Gedächtnis der Christenheit!« Die Augen des jungen Kardinals blitzten vor Ärger, und seine Wangen glühten.
»Das ist ja gerade der Vorteil meines Planes, lieber Bruder«, erklärte Bramante dem Dominikaner so freundlich, als habe er nur dessen Wohlergehen im Sinn. »Über dem Grab des Apostelfürsten wird sich wie Gottes behütende Hände die Kuppel des Himmels erheben.«
Agostino Chigi sprang ihm zur Seite:
»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Und die Erde war wüst und leer,
und es war finster auf der Tiefe;
und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
Und Gott sprach: Es werde Licht!
Und es ward Licht.
Und Gott sah, dass das Licht gut war.
Da schied Gott das Licht von der Finsternis
und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht.
Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.«
Erstaunlich bibelfest, dachte Bramante und fuhr mit leidenschaftlicher Stimme fort: »Denn die mächtige Vierung mit den Fenstern im Gebälk und den Fenstern in der Kuppel wird für Gottes Licht in der Kirche sorgen. Lieber, guter Heiliger Vater, mit der ewigen Dunkelheit in Sankt Peter wird es ein Ende haben!«
Wer wollte da widersprechen? Aus Bramantes Mund klang das alles wie eine Verheißung, mehr noch, wie eine göttliche Vision. Und Visionen Gottes zog man nicht in den Zweifel.
»Ein neuer Tempel«, sagte Julius nachdenklich und sah dabei den Augustiner-Eremiten an. Egidio erwiderte den Blick, kniete vor dem Papst nieder und breitete die Arme aus.
»Erlaubt, Heiliger Vater, dass ich spreche. Ich sehe es deutlich vor meinen Augen!«
Bramante hoffte auf den Beistand des Augustiner-Eremiten. Nach allem, was er über ihn gehört hatte, galt Egidio da Viterbo als einer der größten Prediger und der klügsten und gebildetsten Köpfe nicht nur seines Ordens, sondern der Kirche überhaupt. Seine Sprachgewalt würde dem Projekt entweder den gewünschten Auftrieb verleihen oder es unter vernichtenden Satzkaskaden begraben. Wohl und Wehe lagen im Mund des knienden Mannes.
Julius II. nickte. »Nun denn, mein kluger Freund.«
Egidio reckte seine Arme zum Himmel und ließ seine predigterprobte Stimme durch den Raum hallen.
»Dies sagt der Herr, der Allherrscher: Ordnet eure Herzen auf euren Wegen! Steigt auf zum Gebirge hin und schlagt Holz und baut das Haus, dann werde ich dran Wohlgefallen haben und ich werde verherrlicht werden. Ihr blicktet auf vieles hin, und es wurde weniges: Und nach Hause wurde etwas hineingebracht, und ich habe es weggeblasen. Weil mein Haus wüst ist, ihr aber jeder nach eurem Haus strebt, deswegen wird der Himmel Tau zurückhalten, und die Erde wird ihr Gewächs verweigern. Und ich werde herbeiführen ein Schwert gegen die Erde und gegen die Berge und gegen das Getreide und gegen den Wein und gegen das Olivenöl und was die Erde wachsen lässt und gegen die Menschen und gegen das Vieh und gegen alle Früchte ihrer Hände.«
Egidio erhob sich und ließ seine Arme sinken. »Ja, Heiliger Vater, ich stimme diesem Mann zu. Bauen wir das Haus unseres Herrn, das zerfallen ist, neu! Dann wird Gott alle unsere Unternehmungen segnen, so wie es der Prophet Haggai verheißt.«
Stille breitete sich aus. Keiner wagte zu sprechen. Bramante hatte plötzlich das Gefühl, dass der Heilige Geist unter ihnen weilte. Sollte er auf seine alten Tage etwa noch fromm werden? Dieser Egidio ist ein gefährlicher Mann, dachte er, seine Worte ersetzen einen ganzen Heerhaufen.
Nach einer endlosen Weile, in der man einen Federkiel hätte zu Boden fallen hören können, räusperte sich Julius schließlich. Dann sagte er leise, wie zu sich selbst: »Wohl gesprochen, mein Sohn. Rom als Mittelpunkt eines neuen Imperium Romanum und als neues Jerusalem braucht einen neuen Tempel.«
In diesem Moment wusste Bramante, dass der Papst von dieser Idee fasziniert war. Sie enthielt alles, was er schätzte: Sie war groß, sie war eines Cäsar würdig. Sie begann, seine Idee zu werden.
»Der Entwurf ist von großer Schönheit«, ließ sich Sangallo vernehmen.
»Und an diesen neuen Tempel schließen wir den alten einfach an«, schloss Bramante und bemühte sich um einen gelassenen Ton, während der Triumph ihn innerlich erzittern ließ. »Vergangenheit und Zukunft des Christentums in einem!«
»Also unsere Gegenwart! Denn sind wir Christen, so sind wir es im Heute, das für uns Vergangenheit und Zukunft in einem ist.« Mit diesen Worten beendete der gelehrte Egidio die Diskussion.
Dagegen konnte selbst Giacomo nichts einwenden. Nur Sangallo verzog das Gesicht. Bramante kannte seinen alten Bundesbruder aus den Tagen der Fedeli gut genug, um zu wissen, dass ihm die Vorstellung, die kühne Idee würde durch den Kompromiss, den der Anschluss an die alte Basilika bedeutete, verdorben, Unbehagen bereitete. Aber vorerst konnte er keinen Krieg mit dem mächtigen Dominikaner gebrauchen. Ach, der gute alte Sangallo! Sein Talent in Gesellschaft eines listigen Geistes hätte ihm durchaus Konkurrenz machen können. Aber Giuliano war zu gutmütig oder einfältig, je nachdem wie man es nennen mochte.
Der Papst sah sie einen nach dem anderen kurz an und sagte dann: »Lasst mich allein. Ich will nachdenken!« Er konnte seine Besucher offensichtlich nicht schnell genug loswerden. Zum Schein griff Bramante nach dem Plan, um ihn mitzunehmen.
»Das bleibt hier!«, fuhr ihn Julius an. »Und nun hinaus mit euch allen!«
Giacomo passte Bramante auf der Treppe ab und fragte ihn mit zornfunkelnden Augen, wie er denn auf diese Weise das heidnische Mausoleum verhindern wolle. Der Architekt lächelte vielsagend und erwiderte ruhig: »Genau auf diese Weise. Lasst das nur getrost meine Sorge sein. Der größte Teil von Alt Sankt Peter bleibt erhalten. Und das Grabmal des Bildhauers wird niemals in Sankt Peter errichtet werden. Das Projekt ist heute gestorben, darauf mein Wort, Frà Giacomo!«