»In zwei Tagen werde ich wieder hier sein, und dann will ich den Ring haben. Habt ihr mich verstanden?«
27
Rom, Anno Domini 1505
Auf den Tisch hatte Bramante ein großes Pergament gespannt und zeichnete darauf seine Vision der neuen Peterskirche. Schon seit einer Woche hatte er unablässig wie im Rausch daran gearbeitet. Immer wieder unterbrach er sich und blätterte in der Übersetzung des »Buches der Baumeister«. Dann rechnete er wieder. Wie hoch durfte er die Pfeiler der Vierung treiben? Und vor allem: Welche Fläche konnte eine Kuppel maximal überspannen, ohne einzubrechen? Mit einem Wort: Welche Ausmaße würde sein Himmel einnehmen? Ihn zu gering zu denken verbot sich von allein. Also, welchen Durchmesser sollte er ansetzen? Fünfzehn Fuß? Fünfundzwanzig? Fünfzig? Dann würde sein Himmel die Breite des Tibers übertreffen.
Er rechnete nach, setzte die Zahlen zueinander ins Verhältnis und erkannte, dass er nicht nur eine riesige Vierung mit gigantischen Segmenten brauchen würde, um die Kräfte der Kuppel aufzufangen. Es blieb auch fraglich, ob die Kuppel selbst die ungeheuren Kräfte in ihrem Innern ableiten konnte und nicht einfach barst. Die Kuppel des Pantheons maß nahezu fünfzehn Fuß, die des Domes von Florenz kam auf ähnliche Maße, war zweischalig und mit geringer Wölbung, aber stattdessen mit vielen Streben versehen, im Grunde gotisch. Also zählte sie nicht. Auch wenn seine Berechnungen etwas anderes ergaben, reizte es ihn, die Flussbreite des Tibers an der Schleife nahe Sankt Peter, dort, wo die Engelsburg stand, als Maß für den Durchmesser der Kuppel des neuen Petersdomes zu nehmen. Er warf sich in seinen Stuhl, sodass das ausgetrocknete Holz unter seinem Gewicht ächzte, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und dachte nach.
Es würde genügend Neider geben, die ihm vor- und nachrechnen würden, dass sein Plan undurchführbar war. Er beschloss, von der Größe der Kuppel des Pantheons auszugehen. Sie in ihrer flachen Eleganz als Himmel auf den neuen Dom zu heben, würde ihm genügend Ehre einbringen. Während er zeichnete, kam ihm eine vage Idee, die sich seiner nach und nach vollkommen bemächtigte. Schließlich ließ er die Skizze ruhen, denn es trieb ihn zum Vatikan. Drei Tage verbrachte er dort mit Vermessungsarbeiten. Obwohl er darin geübt war, probierte er eine neue Methode aus, die bussola, bei der er den Magnetkompass dazu benutzte, über mathematische Proportionen Längen zu berechnen.
Das Gelände unterhalb des Südarmes der Basilika, wo sich die beiden berühmten Kapellen, die Capella Santa Maria della Febrella und die Kapelle der heiligen Petronilla, befanden, erregte sein besonderes Interesse. Vor Santa Maria della Febrella erhob sich eine uralte römische Säule, in deren Kugel unterhalb der Spitze sich die Asche des Julius Cäsar befand. Einst hatte sie im Zircus des Kaisers Nero gestanden, den inzwischen der Staub und der Schutt der Zeit bedeckten. Die Säule brachte Bramante auf eine kühne Idee, so kühn, dass es ihm selbst die Sprache verschlug. Die Vermessungen sollten nun zeigen, ob sie aufging. Zur Verneigung vor seiner eigenen Genialität war es noch zu früh, erst wollte er seine Vision durch genaue Messungen absichern.
Er prüfte die Lage des Petrusgrabes und des Grabmals von Julius’ Onkel, Papst Sixtus IV. Nun musste er die gewonnenen Daten nur noch auf die Skizze übertragen. Der Plan ging auf, wie von Gott gewirkt. Bramantes Augen begannen zu leuchten. Seine Idee war elegant, groß und in ihrer Einfachheit genial. Durch die Zeichnung hindurch sah er die Gestalt des neuen Petersdomes. Und es war das Schönste, was er in seinem ganzen Leben gesehen hatte – er wollte, er musste es in der Realität sehen. Nichts und niemand durfte es wagen, ihn daran zu hindern!
»Messèr Donato, Messèr Donato!«, sprach ihn jemand leise an.
Der Architekt sah von seiner Zeichnung auf. Vor ihm stand der Kammerdiener des Papstes, der mit der ganzen bewunderungswürdigen Zurückhaltung eines obersten Domestiken auf sich aufmerksam machte, nachdrücklich, aber nicht aufdringlich.
»Ja, bitte?«
»Seine Heiligkeit erwartet Euch nach dem Komplet in ihren Privatgemächern.«
»Richte dem Heiligen Vater aus, es sei mir eine Ehre.«
Kaum war er wieder allein, rief Bramante nach seinem Hausdiener. »Giorgio, elender Lumpenhund, wo steckst du schon wieder?« Als er sich rufend und fluchend umwandte, stand der Gesuchte seelenruhig vor ihm.
»Sag doch, dass du hinter mir stehst! Elender Schleicher! Richte mir ein Bad, spare aber nicht mit Lavendel und Rosenblüten. Und ruf den Barbier. Das Kraut muss ab!« Mit Daumen und Zeigefinger umfasste er den Vollbart, der ihm in der Woche gewachsen war. Seit die Haare auf dem Kopf ausblieben, sprossen sie an Kinn und Wangen – und leider auch aus der Nase – nur umso williger.
Eine Woche hatte Julius II. ihn warten lassen. Sicher, der Papst konnte sich nicht ausschließlich mit dem Bauprojekt beschäftigen, ihn plagten größere Sorgen. Auch hatte Bramante die Zeit gebraucht und gut genutzt. In diesen Tagen drehte Fortuna ihr Rad nur für ihn. Er wäre ein Narr gewesen, wenn er das nicht ausgenutzt hätte. Im Grunde war es ein Wunder, dachte Bramante, dass der alte Mann im Vatikan trotz all seiner politischen Projekte noch Zeit und Kraft fand, um sich um Kunst und Architektur zu kümmern. Doch der Heilige Vater war eben klug genug, um zu wissen, dass beides zusammengehörte: die Macht und die Architektur der Macht. Nicht nur die großen Feldherren, auch die Baumeister würden Rom wieder zur Welthauptstadt und zum neuen Jerusalem machen. Die einen nicht ohne die anderen.
Bramante beschloss, nach dem Bad ein einfaches Abendessen zu sich zu nehmen und dann aufzubrechen. An diesem Tag sollte es entschieden werden. Seine Idee war fertig ausgearbeitet, überdies göttlich und einfach unwiderstehlich. Er wies seinen Diener an, zur Feier des Tages um Mitternacht ein ausgiebiges Festmahl zu richten und außer Musikern ein paar Damen dazuzuladen, von der Art, wie der Hausherr sie mochte. Zu dieser Stunde, schätzte er, würde er von der Audienz zurück sein. Sobald er Julius von seinem Projekt überzeugt hätte, woran er nicht zweifelte, wollte er nur noch feiern.
Gott, wie lange hatte er sich nicht mehr in das warme Fell einer Frau gebohrt! Er und alt? Unfug! Bramante verstand nicht mehr, weshalb er die letzten Wochen in Trauer und Verzweiflung, Skepsis und Kraftlosigkeit zugebracht hatte. Als sei er verhext und ein anderer gewesen. Der Verlust Imperias hatte ihn tief getroffen, gut. Aber lag es nicht in der Ordnung der Welt, dass die Frauen kamen und gingen? Nichts hatte Bestand, nur der Wechsel. Immer neue Generationen würden sich in den gleichen ebenso lächerlichen wie Lust spendenden Verrenkungen ergehen.
Nach dem Bad und dem Imbiss, bei dem er mehr trank als aß, zog er ein weißes Damasthemd über und eine rote, geschlitzte Hose, die den noblen schwarzen Unterstoff sehen ließ. Zum Schluss schlüpfte er in ein samtenes Wams in der Farbe der Hose. Ein mächtiger Federhut vollendete seinen Aufzug. In seiner beschwingten Stimmung, die auch auf den sizilianischen Nero d’Avola beim Abendessen zurückzuführen war, bemerkte er nicht, dass er etwas zu auffällig für sein Vorhaben gekleidet war. Seine Idee war stärker als alle Reize der Welt, verführerischer als Frauen, berauschender als Wein und unwiderstehlicher als die feinste Speise. Bramante verneigte sich in tiefer, ehrlicher Bewunderung vor seinem Spiegelbild und verließ das Haus.