Vor seinem geistigen Auge erschien plötzlich Pico, und er kniete innerlich nieder vor dem Philosophen, denn nun würde er dessen Vermächtnis erfüllen, Rom und die Welt würde er erobern. Getrieben von dem Vorsatz, das zu verwirklichen, was er einst in San Vitale in Ravenna gelobt und an Picos Leiche geschworen hatte, stürmte er durch die nächtlichen Gassen und Straßen zum Vatikan.
Vor der Petersbasilika blieb er stehen und sagte laut: »Nicht mehr lange, bis du armseliger Steinhaufen einer wirklichen Architektur weichen musst!«
Als er in das kleine Lesezimmer des Papstes im Borgia-Turm trat, erwarteten ihn neben Julius II. bereits Kardinal Catalano, Egidio da Viterbo und Giuliano da Sangallo. Agostino Chigi ließ sich entschuldigen, seiner Frau ging es nicht gut.
»Die arme Margarita Saraceni, sie hat doch sehr viel zu leiden und ist dennoch immer froh gelaunt. Ein Vorbild, ein Vorbild für uns alle, die Prüfungen zu ertragen, die der Herr uns auferlegt«, sagte der Papst nachdenklich. Dann sprach er die erlösenden Worte. »Wir haben Uns entschlossen, den Neubau von Sankt Peter zu wagen. Setze Uns deinen Plan näher auseinander, Donato.«
Bramante entfuhr ein erleichterter Seufzer. Dann beeilte er sich, seinen Entwurf auszubreiten. Der Papst erblickte einen Zentralbau.
»Heiliger Vater, es ist so einfach wie folgerichtig. An dieser Stelle errichten wir den Tempel. Und schaut, hier im Nordarm würde Euer Mausoleum stehen, und wenn man Richtung Süden geht, käme hier die Memoria des Apostels Petrus, und in gerader Linie folgt das Grabmal Eures teuren Onkels, des Papstes Sixtus IV.«
Julius’ Augen begannen zu strahlen. Dann lächelte er listig. »Aber ich sehe noch etwas auf der Geraden!«
»Ja«, erklärte Bramante, »wir verlegen den Haupteingang von der Ost- zur Südseite. Dadurch eröffnet die Säule mit der Asche des Julius Cäsar die Verbindungslinie vom Grabmal Eures Onkels über das Grab Petri zu Eurem Mausoleum. Stellt Euch das vor, Heiliger Vater: Von den großen Taten des Julius Cäsar vor der Zeit Christi und seiner Kirche kommend, betreten wir den Dom und verneigen uns vor dem großen Sixtus, knien dann vor Petrus, dem Apostelfürsten, um schließlich bei Euch, Eurer Heiligkeit, zu verweilen. Zum Ruhme der Kirche. Und zum Ruhm der della Rovere!«
Stille trat ein. Alle betrachteten die Zeichnung.
»Ihr setzt also den Papst über Petrus?«, bemerkte Giacomo spitz.
»In welcher Weise?«
»Weil man die Linie von Julius Cäsar über Petrus zum Heiligen Vater auch als aufsteigend betrachten kann.«
Bramante begriff, dass in diesen Worten der Vorwurf der Ketzerei lauerte. Egidio da Viterbo trat zu dem Dominikaner und legte ihm beschwichtigend den Arm auf die Schulter, bevor er ihm ausgesprochen weitschweifig erläuterte, dass man die Gerade nicht als aufsteigend betrachten, sondern in der Kirche als gleichzeitig, als Tableau, begreifen müsse. Dennoch hatte der Einwurf den Papst nachdenklich gestimmt.
Giacomo hatte sich von Egidios Belehrungen nicht beirren lassen und fuhr mit feiner Ironie fort: »Wenn ich Eure Zeichnung richtig verstehe, dann nutzt Ihr die Fundamente und die mannshohe Mauer des Westchores nicht, die Nikolaus V. und Pius II. haben errichten lassen, sondern verschiebt die Kirche einfach nach Osten?« Bramante nickte. »Wenn Ihr diese Konstellation erhalten wollt und der Apostelfürst direkt in der Mitte, unter der Laterne der Kuppel, ruhen soll, dann müsst Ihr wohl das Grab des Apostels Petrus verlegen?«, erkundigte sich der Dominikaner mit allerunschuldigstem Gesichtsausdruck.
»Ist das wahr?«, fragte der Papst schroff.
Bramante begriff, dass Giacomo il Catalano den einzigen schwachen Punkt in seiner Planung erkannt und herausgefischt hatte. »Es ist wahr, wir würden den Apostelfürsten umbetten.«
»Es ist klug von Messèr Donato, die Kirche nicht in Richtung des Westchores und der vorhandenen Mauern zu erweitern, weil es nur Kosten und Ungemach verursacht«, sprang ihm Sangallo bei.
»Und weshalb?«, erkundigte sich der Papst.
»Weil der Boden dort aufgeschüttet wurde und möglicherweise ins Rutschen kommt. Wollten wir die Fundamente für einen so großen Bau nutzen, müssten wir den Abhang unterfüttern und befestigen.«
»Aber es wäre möglich?« Julius war noch nicht überzeugt.
»Ja, nun, möglich ist viel.«
»Ist es möglich?«
Bramante vermochte seinen Zorn kaum zu bändigen. Religiöses Geschwätz und Kleingeisterei standen auf, um seine göttliche Idee zu zerstören. Das durfte nicht geschehen!
»Heiliger Vater, lasst den Gedanken einmal in Euch wirken. Stellt Euch vor, dass der Tempel, den Ihr, ein weitaus größerer Cäsar, aufrichten werdet, das majestätische Denkmal des ersten Julius gleichsam im Vorhof haben wird. Wie wird dieser gewaltige Obelisk die Seelen der Christen erschüttern und dadurch noch empfänglicher machen für die Größe Christi, die sie im Dom erwartet! Sorgt Euch doch nicht um das Grab unseres geliebten Apostels, es wird dabei nicht zu Schaden kommen. Mit meinen eigenen Händen werde ich es verlegen!«, beteuerte Bramante und hob beschwörend die Arme. »Wäre Petrus unter uns, er wäre der Erste, der seine Zustimmung erteilte, weil es um die Größe der Kirche geht, die Christus auf Petrus gründete.«
»Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein«, zitierte Egidio zustimmend.
»Aber es steht nicht geschrieben, dass man den Felsen beliebig verschieben darf. Es ist Sünde, sich aus Eitelkeit am Grab des Apostelfürsten zu vergehen«, rief Giacomo mit erhobenem Zeigefinger. »Und viele, viele werden es so sehen!«
»Was werden sie sehen, mein Sohn?«, fragte der Papst lauernd.
»Dass dem Heiden Cäsar zuliebe Petrus weichen muss!«
»Unser Sohn Giacomo hat recht«, entschied Julius II. Dann erhob er seine Stimme und verkündete: »Wir wollen, dass der Neubau erfolgt, aber die Lage der alten Basilika darf nicht berührt werden. Der Apostel Petrus bleibt, wo er ist. Das heilige Grab des ersten Papstes darf nicht angerührt werden. Schaff Uns einen Entwurf, der das berücksichtigt, Donato. Wie du es mit dem Obelisken hältst, ist deine Angelegenheit. Aber merke dir: Immer werden Wir das Christliche dem Heidnischen, die Religion der Pracht und die Pietät dem Schmuck vorziehen, die Wahrheit der prunkenden Äußerlichkeit.«
Bramante wollte etwas erwidern, hielt sich dann aber doch zurück. Wenn er auch mit seinem Plan Schiffbruch erlitten hatte, so lag er weiterhin gut im Rennen, mehr noch, er war derjenige, der vom Papst beauftragt worden war.
»Da es nun einmal beschlossene Sache ist, Sankt Peter zu erweitern und zu erneuern, wollen wir nicht einen kleinen Wettbewerb der Ideen veranstalten?«, schlug Giacomo vor.
»An wen denkst du?«, fragte der Papst.
»An Frà Giocondo.«
»An den Architektenmönch? Aber ist der nicht in Frankreich?«
»Nein, gerade eben nach Venedig zurückgekehrt.«
Eines musste Bramante dem Dominikaner lassen, er hatte sich gründlich vorbereitet.
»Eine schöne Idee, mein Sohn! Und auch du, Giuliano, denke mit!«, schloss der Papst die Audienz. »Für das Haus Petri bedürfen Wir des Rates aller guten Meister der Baukunst.«
Hatte Bramante gerade eben noch den Auftrag sicher gehabt, so würde er jetzt um ihn kämpfen müssen. Er beschloss, sich mit Giuliano da Sangallo abzustimmen. Sie durften sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Der Erzpriester, den er benutzen wollte, hatte ihm soeben ein Schnippchen geschlagen. Das durfte sich nicht wiederholen. Er fühlte sich herausgefordert. Man wollte, dass er kämpfte. Nun gut, dann würde er sich eben schlagen. Der Petersdom war sein Projekt, die Aufgabe, die das Leben für ihn bereithielt. Und für niemanden sonst!