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Rom, Anno Domini 1505
Ein Cavaliere, der von einem Bankett kam, hatte Bramante wiedererkannt und dem nicht weit vom Ort des Überfalls entfernt wohnenden Agostino Chigi Bescheid gegeben. Dieser schickte unter Führung eines alten Dieners ein paar handfeste Gesellen. Sie schafften die Leichen der beiden bravi fort und warfen sie kurzerhand in den Tiber. Es gelang ihnen aber nicht, sich dem Architekten zu nähern, denn der schlug, auf der Straße sitzend, ungestüm mit seinem Rapier um sich, weil er die Diener des Bankiers für neue Angreifer hielt.
Man beriet sich und schickte schließlich trotz der späten Stunde nach Imperia. Als sie Bramante erblickte, wie er da in einer Blutlache saß, zornige Blicke um sich warf und wild fuchtelnd mit der Rapierklinge Löcher in die Luft stach, brach es ihr fast das Herz.
»Donato, Lieber, ich bin es!« Er drehte sein Ohr in die Richtung, aus der er die geliebte Stimme vermutete, als ob er erblindet wäre. »Deine Imperia, mein Freund.«
»Imperia?« Ein befreites Lächeln breitete sich auf seinem blutverschmierten Gesicht aus. Sie band die Ärmelschnüre ihres blauen Brokatkleides auf und riss wie selbstverständlich den Ärmel ihres Unterkleides ab. Dann hockte sie sich zu ihm und tupfte ihm mit dem Stofflappen das Blut vom Gesicht. Erstaunt und glücklich blickte er sie an. »Bin ich im Himmel?«
»Meinst du, im Himmel sieht es aus wie in Regola? Schau dich einmal um!« Imperia legte seinen rechten Arm um ihre Schulter und hielt dabei mit ihrer Hand die seine fest. So gelang es ihr mit einiger Mühe und der Unterstützung von Chigis Dienern, den schweren Mann auf die Füße zu stellen. »Komm, es geht nach Hause.«
»Nach Hause«, murmelte Bramante.
Einer der Gesellen trug ihm seine Skizze hinterher. Von dem Überfall zeugten nur noch das Blut, das allmählich eintrocknete und die Farbe der Erde annahm, sowie Bramantes zerbrochener Rötelstift. Niemanden kümmerte es, dass zwei Meuchelmörder ihr Leben verloren hatten. Man würde ihre Leichen wohl an der Tiberinsel oder beim Ripa Grande bergen, wenn sie nicht vorher den Tiberfischern aufgefallen sein sollten.
Als sie Bramantes kleinen Palazzo erreichten, verscheuchte Imperia kopfschüttelnd die Musiker und Dirnen, die seit geraumer Zeit auf den Architekten warteten und inzwischen gelangweilt vor sich hin dösten. Sie zahlte ihnen das versprochene Salär aus; diese Leute konnten ja nichts dafür, dass ihr Auftraggeber verhindert gewesen war. Dann wusch sie Bramante mit Wasser, das der Diener ein wenig erwärmt hatte, und versorgte seine Wunden. Giorgio half ihm zu seiner Bettstatt, und Imperia setzte sich zu ihm. Sie streichelte seine Stirn und sang ihm zärtlich mit halblauter Stimme ein altes römisches Schlaflied vor. Der mütterliche Klang beruhigte ihn, und wenig später schnarchte er wohlig mit entspannten Gesichtszügen. Bevor sie ihn verließ, befahl Imperia seinem Diener, sie zu benachrichtigen, wenn er ausgeschlafen hatte.
Bramante schlief einen vollen Tag und erwachte erst am Morgen des übernächsten Tages. Er rieb sich die Augen und verlangte nach einem gebratenen Huhn. Als er gerade seine fettigen Finger an einem Tuch abwischte, trat Imperia in sein Schlafzimmer. Er prostete ihr mit einem Glas Weißwein zu und ließ es sich munden.
»Ah, von den Toten auferstanden!«, rief sie ihm spöttisch zu.
»Ich hoffe, nur ich.«
»Ja, die bravi sind bei den Fischen.«
Bramante schlug die Bettdecke zurück. In seinem weißen Hemd lag er da wie ein alternder Adonis.
Imperia lächelte. »Die Einladung muss ich leider ablehnen. Ich bin Agostino treu. Aber ich setze mich zu dir.«
Während sie seine Verbände wechselte, erzählte ihr der Architekt die Geschichte von Picos Tod, von dem Ring und dem Buch. Als er geendet hatte, sah sie ihn besorgt an.
»Ich schicke dir einen Leibwächter. Einer von euch beiden wird sterben, du oder der Sekretär!«
Kurz nachdem sie ihn verlassen hatte, erschien Giuliano da Sangallo, nach dem Bramante geschickt hatte. Er spürte, dass Sangallos Mitgefühl echt war – dabei hatte er den alten Bundesbruder nicht immer freundlich, oft auch ein wenig herablassend behandelt. Aber Sangallo war eben nicht nachtragend. Er gehörte zu jener seltenen Spezies Mensch, die mit sich und ihrem Leben vollkommen im Einklang lebten. Über das, was Bramante widerfahren war, schüttelte er nur den Kopf.
»Wir sind keine Fürsten, keine Politiker, keine Kardinäle oder Bischöfe und auch keine Spitzbuben, also wer will dir da bloß ans Leben?«
»Picos Mörder natürlich!«, sagte Bramante.
In diesem Moment öffnete sich die Tür, und herein trat ein unangemeldeter Besucher. Die verwegene Gestalt mit einem goldenen Ring im Ohr war von Kopf bis Fuß in braunes Leder gekleidet. In den hellblauen Augen des Mannes, dessen Gesicht von wilden schwarzen Locken umrahmt war, schien ein spöttisches Lachen für immer Quartier bezogen zu haben.
Bramante richtete sich auf. »Hier geht es ja zu wie auf dem Marktplatz! Woher kenne ich Euch? Was wollt Ihr von mir?«, fuhr er den Fremden an. Dunkel erinnerte er sich an die Gestalt, konnte sie aber noch nicht recht einordnen. Er spürte nur, dass der Zusammenhang nicht unangenehm war. Mit der rechten Hand zog der Mann den Federhut vom Kopf, malte mit diesem drei Ellipsen in die Luft und verneigte sich dabei ausgesprochen elegant.
»Ascanio Romano, Fechtlehrer, Fechter für alle Fälle, aber nur für die Fälle der Guten und immer bereit, gegen das Böse die Klinge zu kreuzen. Madonna Imperia schickt mich. Und ich will eher sterben, als die hohe Dame zu enttäuschen«, brüllte er, als würde er von der Benediktionsloggia vor der Petersbasilika zu einer Menge von mindestens tausend Menschen sprechen.
»Wenn Ihr von Madonna Imperia kommt, seid Ihr mir mehr als willkommen, mein Freund! Aber ich bitte Euch, dämpft Eure Stimme ein wenig«, sagte Bramante und fasste sich an den Kopf. Noch während er Ascanio begrüßte, entsann er sich, dass dieser ihm damals die Tür von Imperias Palazzo geöffnet hatte.
»Dann suche ich mir im Vorraum einen Platz. Ruft nach mir, wenn Ihr mich braucht«, schrie Ascanio, vergeblich bemüht, dem Wunsch des Hausherrn nachzukommen. Bramante warf Sangallo einen schicksalsergebenen Blick zu. Sein Schutzengel musste doch nicht gleich die Mauern von Jericho zu Fall bringen!
»Lasst Euch von Giorgio einen Platz zuweisen und etwas zu essen geben.«
Nach einer nicht weniger aufwendigen Verbeugung als bei seiner Ankunft verließ Bramantes neuer Leibwächter den Raum. Der Architekt sah ihm mit einem Lächeln nach.
»Er muss lange in Frankreich gedient haben«, sagte er, auf die Verneigung anspielend. Ein warmes Gefühl der Dankbarkeit für Imperia erfüllte ihn. Gab es denn einen größeren Liebesbeweis? Er verscheuchte die Gedanken an die Herrin seines Herzens, setzte sich auf die Bettkante und wandte sich wieder seinem Besuch zu. Ihm war noch immer ein wenig schwindelig, aber das wollte er nicht zulassen und ging dagegen an. Aus dem langen weißen Hemd baumelten seine behaarten, bogenförmigen Beine mit den großen Plattfüßen.
»Giuliano, alter Freund, ich bedarf deiner Hilfe und deiner Dienste. Bist du bereit, dich für die Ziele unserer Bruderschaft einzusetzen?«
Sangallos Robbenschnauzbart begann zu zittern, Rührung trat in seine Augen. »Unsere gute Bruderschaft, wie oft denke ich daran …«, seufzte er, und Bramante meinte sogar, eine kleine Träne in seinem Augenwinkel auszumachen.
»Der Neubau von Sankt Peter muss der Tempel der Fedeli d’Amore werden! Mein Plan ist der: Du legst einen Entwurf für den Neubau des Petersdomes vor, konsequent als Zentralbau gedacht. Frà Giocondo wird sicher mit der Skizze eines Langhauses kommen, so wie ich den gotischen Langweiler kenne. Und wenn der Streit darüber seinen Höhepunkt erreicht, werde ich einen Vorschlag mit einer mächtigen Vierung vorlegen, lasse aber die Frage nach Zentralbau oder Langhaus offen. Denn diese werden wir dann praktisch beim Bauen beantworten!«