Выбрать главу

Sangallos Augen leuchteten. »Donato, du alter Spitzbube, du willst einfach vollendete Tatsachen schaffen?«

»Kennst du eine andere Definition für das Bauen, als vollendete Tatsachen zu schaffen? Sollen wir etwa mit Laien, mit Theologen vielleicht noch, über die Kunst der Architektur streiten? Ich bitte dich, Giuliano! Die sollen zahlen, aber den Rest uns überlassen!«

Aus Sangallos Blick sprach Bewunderung für die Frechheit und Konsequenz von Bramantes Plan. Beide Eigenschaften, Dreistigkeit und Rücksichtslosigkeit, lagen nicht in seinem Wesen, deshalb, und damit hatte er sich längst abgefunden, würde er immer der Zweite, niemals der Erste sein.

»Um noch eines muss ich dich leider bitten, mein Freund. Schweig aber darüber.« Bramante hob seine schmerzende rechte Hand, die rot und geschwollen war.

Sangallo erkannte die unheilbare Krankheit. »Die Handgicht!«

»Ja, das Entwerfen fällt mir zunehmend schwerer. Bald werde ich nicht mehr dazu in der Lage sein. Aber niemand darf davon erfahren, meine Feinde würden dieses Wissen gegen mich benutzen. Ein Architekt, der nicht mehr zeichnen kann!«

»Als ob es auf das eigenhändige Entwerfen ankommt«, warf Sangallo ein.

»Ein technischer Vorgang, aber wer weiß das schon.«

Giuliano da Sangallo stützte das Kinn in die Hand und überlegte einen Moment. Praktisch veranlagt, wie er war, suchte er sogleich nach einer Lösung für Bramantes Problem und fand einen eleganten Ausweg.

»Nimm meinen Neffen Antonio zu dir in die Lehre, bilde ihn zum Meister aus! Er ist ein ausgezeichneter Zeichner, er wird deine Ideen zu Papier bringen und dein Geheimnis wahren.«

Bramante erhob sich und umarmte Sangallo ebenso erleichtert wie bewegt.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit begab sich Bramante mit dem Porträt des Meuchelmörders zum Kolosseum. Er hatte die Skizze, die er bei dem Überfall auf den Entwurf gezeichnet hatte, auf ein sauberes Blatt übertragen. Hinter ihm hielt sich in diskreter Entfernung Ascanio. Der Architekt war zwar noch etwas blass um die Nase, steckte aber schon wieder voller Tatendrang und Kampfeswillen. Endlich würde es dem verfluchten Mörder von Pico an den Kragen gehen! Bramante war aufgeregt wie ein Knabe vor der Kommunion, auch wenn es um eine Totenmesse ging.

Sie durchstreiften zuerst die an verwilderte Höhlen erinnernden Ruinen der Thermen des Caracalla, inzwischen ein Unterschlupf für all jene, die entweder keine Wohnung hatten oder sich verstecken mussten. Wie Höllenschlunde wirkten die Loggien, aus denen Bäume und Gestrüpp wucherten. Die Tonnengewölbe der Decken waren größtenteils eingestürzt, und nur die breiten Bögen, die die Eckpfeiler verbanden, boten Schutz vor Regen und Schnee. Aber noch hielt der Sommer in Rom Hof, und niemand mochte an die kalten und feuchten Jahreszeiten denken.

Verlebte, magere Frauen, verschlagen blickende Diebe, allerlei zwielichtige Gestalten schüttelten teils energisch, teils lässig den Kopf, wenn Bramante ihnen die Zeichnung zeigte. Noch war das Konterfei im letzten Sonnenlicht gut zu sehen, aber niemand erkannte den Mann oder wollte ihn identifizieren. Erst als der Architekt einem jungen Falschspieler einen Scudo bot und ihm versicherte, dass der Porträtierte ebenso wie sein Bruder längst bei den Fischen ruhte, riet ihm dieser, am Triumphbogen des Titus unweit des Kolosseums nachzufragen. Dort habe er den Mann ein paar Mal gesehen. Bramante drückte dem jungen Mann ohne Dank das Geld in die Hand und eilte, von Ascanio gefolgt, zum Titusbogen.

Eine Gruppe von Gestalten, die sich dunkel gegen den Nachthimmel abzeichneten, war gerade dabei, ein Feuer zu entzünden. Zwei untersetzte Männer, auf deren Gesichtern sich ein freudiges Grinsen abzeichnete, rollten ein Fass mit Wein oder Branntwein heran. Bramante hielt einer zerlumpten Frau das Bild vor die Augen, doch die bekreuzigte sich bloß und wandte sich wortlos ab. Der Architekt kletterte auf einen bemoosten Granitquader, der irgendwann in den letzten tausend Jahren aus dem Bogen gebrochen war.

»Hört mich an«, rief er in die Runde und hob das Porträt hoch. »Dieser Mann hier auf dem Bild ist tot. Sein Bruder auch! Ihr habt nichts zu befürchten, könnt euch aber etwas verdienen. Ich suche ihre Auftraggeber. Kennt jemand von euch den Mann?«

Das Feuer zog Kraft aus dem Holz und warf seine gelben Flammen mutwillig in den Himmel. Der Schein ließ die armen Teufel, die sich hier versammelt hatten, gefährlicher, aber zugleich auch bedauernswerter aussehen. Lag das Leben der Menschen in Gottes Hand, so balancierte das ihre auf seiner Fingerkuppe. Niemand sagte etwas, sie beachteten Bramante gar nicht, es war, als ob er Luft sei.

Voller Ärger und Enttäuschung wollte sich der Architekt schon auf den Rückweg machen, als Ascanio ihn am Ärmel zog. Bramante sah ihn fragend an.

»Nicht so eilig, Messèr Donato. Diese Leute wissen etwas«, flüsterte ihm der Leibwächter mit einem zufriedenen Lächeln zu. »Die Gleichgültigkeit von denen, die nichts wissen, und von denen, die nichts wissen wollen, sieht ähnlich aus, ist aber nicht die gleiche.«

»So rede schon!«, drängte Bramante ungeduldig.

»Ganz einfach, die einen sind vollkommen teilnahmslos in ihrer Gleichgültigkeit und die anderen sind nervös. Und die Leute am Feuer hatten Mühe, ihrer Aufregung Herr zu werden.«

»Aus welchem Grund? Die bravi sind tot!«

»Aber ihr Auftraggeber nicht!«

»Du meinst, sie haben mehr Angst vor dem Auftraggeber als vor den Kerlen?«

Ascanio nickte. Seine Nasenflügel bewegten sich vor Jagdfieber wie ein Segel im Wind. »Er wird hierherkommen, da bin ich mir sicher.«

»Aber warum?«

»Habt Ihr den Ring noch?«, fragte Ascanio mit einem wissenden Lächeln.

Bramante dankte dem Schicksal für die feine Auffassungsgabe seines Leibwächters. Sie suchten sich ein Versteck in einem großen Gebüsch und hielten die ganze Nacht Wache. Ohne Erfolg. In der darauffolgenden Nacht begaben sie sich wieder in das Versteck. Nichts. Doch Bramante vertraute auf Ascanio, weil dessen Sicherheit seine immer wieder aufkommenden Zweifel besiegte.

In der dritten Nacht endlich betrat ein vornehm gekleideter Mann, der aussah wie ein Spanier, den Platz. Bramante wusste vom ersten Augenblick an, dass es der Gesuchte war. Als er die schwarz gekleidete Gestalt im gleißenden Mondlicht sah, fuhr ihm durch den Kopf: Da ist er, der Engel des Todes. Den gleichen Gedanken hatte er damals in Florenz in jenem Hausflur gehabt!

Er verließ das Versteck im Gebüsch hinter der Ruine und trat ans Feuer. Ein vierschrötiger Kerl machte nun die schwarze Gestalt auf den Architekten aufmerksam.

»Herr, da ist einer, der Euch sprechen will. Alfaron und Bruno sind übrigens tot.«

Mit einer jähen Bewegung wandte sich der Mann zu Bramante um. Der Schein des Feuers modellierte die harten Gesichtszüge des Mannes, der ohne Zweifel vor über einem Jahrzehnt den Grafen Pico della Mirandola vergiftet hatte.

»Giacomo Kardinal Catalano!«, entfuhr es Bramante. »Ihr, Eminenz? Ihr seid der Sekretär, Ihr habt meinen Freund ermordet?«

»Ja, ich! Irgendwann musstet Ihr ja drauf kommen. Aber es wird Euch nichts mehr nützen, denn niemand wird es wagen, Euch Glauben zu schenken.«

Die beiden Männer maßen sich einige Augenblicke in stummer Feindschaft. Der Kardinal wies mit dem Zeigefinger auf die rechte Hand des Baumeisters.

»Ihr habt da etwas, was mir gehört.«

»Ihr auch!«

»Und was sollte das sein?«, fragte der Kardinal kalt.

»Euer Leben.«

Giacomo hatte sein Rapier noch nicht ganz gezogen, als Ascanio schon mit gezücktem Degen neben dem Architekten stand.

»Was hat Euch der Princeps Concordiae getan, dass Ihr ihn vergiftet habt?«, fragte Bramante bitter.