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»Wir hätten ihn zuunterst legen sollen, weil er der größte ist«, brummte der Kapitän.

»Damit er von den anderen Steinen gedrückt oder vielleicht angebrochen wird? Nein, aus dem da wird eine Figur, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat.«

Der Seemann spuckte aus und schwieg.

Francesco, der eine panische Angst vor dem Meer hatte, ließ sich von einem starken Arbeiter an Bord tragen. Um nichts in der Welt wäre er über das schmale Brett balanciert. Michelangelo rechnete es seinem Diener, der trotz der seltenen Entlohnung freiwillig bei ihm blieb, hoch an, dass er all das Ungemach über sich ergehen ließ. Im Grunde war der kleine Francesco der mutigste Mensch, den er kannte, weil er seine vielen Ängste ständig überwand.

»Messèr Michelangelo, lasst uns morgen auslaufen. Ich fürchte, wir geraten in einen furchtbaren Sturm«, sagte der Kapitän nachdenklich mit Blick auf die schwarze Wand, die sich seewärts aufbaute. »Es sind die Herbststürme.«

»Morgen werdet Ihr mir übermorgen sagen und übermorgen vielleicht … ach, lassen wir das. Ist das Schiff denn im Hafen sicher?«

»Das weiß niemand, aber wenigstens wir sind sicher.«

»Sicher sind wir nur in Gott. Wir stechen in See, ich muss nach Rom zurück! Ich kann nicht länger warten.«

Der Kapitän brummte einen unverständlichen Fluch, dann brüllte er: »Alles klarmachen zum Ablegen.«

»Alles klar, capitano«, echote der Bootsmann vom Hafenpier.

Der Bootsmann und die Matrosen, die an Land beim Verladen geholfen hatten, kehrten auf das Schiff zurück. Ein Junge von vielleicht sechzehn Jahren holte den Steg ein, wobei ihm der Bootsmann im Vorbeigehen gutmütig über den zerzausten Kopf strich.

»In drei Teufels Namen, Leinen los!«, befahl der Kapitän.

»Leinen los!«, rief der Bootsmann. Zwei Männer lösten die Seemannsknoten der Taue. Zwanzig Matrosen standen an der Reling und stießen das Schiff mit langen Stangen von der Hafenwand ab. Gemächlich drehte sich der Dreimaster Richtung Meer. Der Kapitän ließ das Sprietsegel setzen. Sogleich bauschte der Wind das kleine Segel auf. Langsam kam die caracca in Fahrt. Der Steuermann musste kreuzen, um den Wind im Segel zu behalten.

»Lateinersegel setzen«, befahl der Kapitän. Das dreieckige Segel am Besanmast, der sich hinter dem Großmast in den dunklen Himmel erhob, fing den Seitenwind besser auf. Die großen Rahsegel zu setzen wagte er noch nicht, erst wollte er sehen, wie es auf offener See sein würde. Sie segelten in die schwarze Wand aus hartem Regen wie in die Hölle. Und dabei war es erst Mittag. Francescos Nase nahm eine grüne Farbe an. Er kauerte sich an den Fuß der Treppe am Achterkastell, die zur Brücke führte, und betete unablässig.

»Du wirst nicht sterben«, fuhr ihn der Bildhauer an.

»Woher wisst Ihr das?«

»Weil es da oben steht«, sagte Michelangelo und wies zum Himmel.

»Ach, und Ihr könnt das lesen«, entgegnete ihm Francesco skeptisch.

An der ligurischen Küste hatten sie die Steine geladen, nun segelten sie durch das Tyrrhenische Meer Richtung Süden nach Ostia. Der Kapitän fuhr wegen des Sturmes weiter als gewöhnlich aufs Meer hinaus, weil er fürchtete, vom Sturm an die Küste oder gegen die Klippen gedrückt zu werden, die er wegen der schlechten Sicht zu spät wahrnehmen würde. Der Wind blies so kräftig, dass er weiterhin auf die Rahsegel verzichtete. Die Ladung der Steine und ihre Vertäuung hatte er persönlich überwacht. Es genügte, wenn ein einzelner Block ins Rutschen käme. Dann wäre es um Mann und Maus geschehen, denn der schwere Brocken konnte das Schiff entweder zum Kentern bringen oder die Holzplanken durchschlagen. So oder so würden sie sich am Meeresgrund wiederfinden.

Michelangelo wusste, dass es gegen alle Vernunft gewesen war, den Rat des erfahrenen Seemannes auszuschlagen, aber ihn hatte die Geduld verlassen. Böse Vorahnungen trieben ihn zurück nach Rom. Der Sturm nahm immer mehr an Kraft zu. Michelangelo gesellte sich zu dem Kapitän auf die Galerie. Jetzt, wo es entschieden war, dass sie sich in Gottes Hand und in den Sturm bewegten, wirkte dieser ruhiger.

»Lateinersegel reffen!«, befahl er. Die Welt versank in Finsternis, und Himmel, Horizont und Wasser waren nicht mehr zu unterscheiden. Sie bewegten sich in einem ununterscheidbaren Schwarzgrau, das nur aus feiner Nässe bestand. Und als sei das noch nicht Furcht einflößend genug, stimmte der Sturm ein Geheul an, das allen durch Mark und Bein drang.

»Das sind die Seelen der Verdammten, der sündigen Seeleute, die hier draußen ihr Leben gelassen haben. Haben keine Erlösung gefunden, die armen Kerle. Brüllen seitdem, als brate man sie am Spieß. Wie ist es mit Euch, Messèr Michelangelo, bereut Ihr jetzt Euren Entschluss?«

»Nein! Und was die Seelen betrifft, schließe ich sie in mein Gebet ein«, antwortete der Künstler trocken.

Der Kapitän schaute den Bildhauer erstaunt an. Ein harter Knochen! Die Wogen ergriffen das Schiff und spielten mit ihm. Michelangelo sah, dass der erfahrene Seemann neben ihm blass wurde. »Die See kabbelt.«

»Was heißt das?«

»Dass wir in Gottes Hand sind. Mal kommt eine Welle von vorn, mal von der rechten, mal von der linken Seite, weil die Windrichtung ständig wechselt. Das ist wirklich schlimm. Ich kann keinen Kurs einschlagen, jeder Kurs kann der falsche sein.«

Der Kapitän hatte kaum ausgesprochen, als eine Welle ihr Wasser über ihnen ausschüttete. Das Schiff sprang hin und her. Manchmal krängte es, dann raste es wieder in ein Wellental.

Francesco hatte inzwischen seinen ganzen Mageninhalt auf die Planken gespien, der vom Wasser ins Meer gewischt wurde, jetzt kam nur noch Galle.

Trotz des brüllenden Sturmes fuhren alle bei dem Knall zusammen, dem ein stampfendes und reibendes Geräusch folgte. Das Schiff neigte sich zur Seite.

»Der Marmor!«, brüllte der Kapitän.

Michelangelo folgte ihm die Treppen hinunter zum Laderaum. Während der Kapitän die Klappe öffnete, neigte sich das Boot immer mehr nach links. Zwei Seile waren gerissen und der durch sie fixierte Block rutschte immer weiter auf die linke Schiffsseite.

»Wer an seinem Leben hängt, zu mir!«, brüllte der Kapitän. Rasch kletterte Michelangelo zu ihm in den Laderaum, gefolgt von vier Matrosen. »Nehmt euch Bohlen! Und beeilt euch! Die nächste Welle von rechts bringt uns zum Kentern!«

Die Matrosen bewaffneten sich mit Holzbalken, die sie als Hebel benutzten, um den Quader über die von den unteren Marmorblöcken gebildete schiefe Ebene nach oben zu schieben. Auch Michelangelo packte mit an. Nur das Glück konnte noch helfen, keine Woge durfte von rechts kommen und die anderen Steine nicht in Bewegung geraten. Beides hätte bedeutet, dass das Boot kenterte. Immer wieder stemmten sich die Männer mit ganzer Kraft gegen den Stein, aus dem nach dem Willen des Bildhauers einmal der Moses entstehen sollte. Es gelang ihnen zwar, den Block etwas zu bewegen, aber sie vermochten ihn nicht zu halten. Schon rutschte er in die alte Lage zurück. Wenigstens verhinderten sie, dass er weiter nach links sackte.

»Haltet den Teufelsstein in dieser Position«, befahl der Kapitän.

Michelangelo verzog unwillig das Gesicht. Teuflisch war nicht der Stein, sondern das gerissene Tau. Wer weiß, wie alt es schon war und was es alles bereits gehalten hatte. Aber was wollte er verlangen? Schließlich hatte er wenig gezahlt und diesen Seelenverkäufer mit Blick auf den unschlagbaren Preis angemietet.