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Rom, Anno Domini 1505

Für Bramante begann die faszinierendste Zeit seines Lebens. Er fühlte sich, als seien die Tage der Fedeli zurückgekehrt. Dank seines Leibwächters und einer gewissen Vorsicht blieb er von Nachstellungen und Anschlägen des Kardinals verschont. Er rechnete immer wieder die Proportionen und Längen nach und ließ Antonio zeichnen, bis er eines Tages zum Papst gerufen wurde.

Er hatte kaum die Stanza della Segnatura betreten, als ihn der triumphierende Blick des Erzpriesters von Sankt Peter traf. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Fast trotzig hielt er Giacomo den Ring entgegen, den er am Finger trug. Augenblicklich verschwand der Triumph aus den Augen des Dominikaners, und sein Gesicht verdüsterte sich. Bramante lächelte boshaft und beugte sich zum Boden, um dem Papst die Füße zu küssen. Inzwischen war es Julius jedoch zur Gewohnheit geworden, seinen Baumeister daran zu hindern, indem er ihm die Hand mit dem Fischerring hinhielt. Bramante richtete sich also wieder auf, küsste den Ring des Papstes. Dann begrüßte er mit einem freundschaftlichen Nicken Giuliano da Sangallo, der eine schwarze Mappe in der Hand hielt und in einen grasgrünen Mantel gekleidet war. Einzig der Samt machte die Farbe des Mantels erträglich. Bramante überlegte kurz, ob der alte Schwerenöter wohl eine neue Geliebte hatte. Dann wandte er sich Michelangelo zu.

»Ah, Messèr Michelangelo, mit Bestürzung habe ich von dem furchtbaren Anschlag erfahren. Gottlob, Ihr seid am Leben!«, rief er und blickte dabei kurz zu Giacomo hinüber, um ihm zu zeigen, dass er wusste, wer hinter dem Überfall steckte. Der Kardinal erwiderte den Blick kalt und ohne jede Regung. Er hielt ihn für einen Heuchler, und damit hatte er zumindest in diesem Fall recht, wie sich Bramante im Stillen eingestehen musste. Sein etwas zu dick aufgetragenes Mitgefühl hatte allerdings eine andere, unbeabsichtigte Wirkung. Michelangelo maß ihn mit einem durchdringenden Blick, so als hielte er ihn für den Auftraggeber des Überfalls.

»Ich weiß Euer Mitgefühl zu schätzen, aber der Heilige Vater hat meinen Verlust geheilt und mich in einer so großzügigen Weise getröstet, wie es ein armer Mann wie ich nicht einmal zu hoffen wagen durfte.«

»Mit einer üppigen Zuwendung aus dem Schatz der Kirche, nicht wahr, Bruder Alidosi«, fügte Giacomo mit einem selbstgefälligen Lächeln hinzu. Offenbar wollte er Bramante treffen, indem er seinen Neid anstachelte. Der elegante Kardinal Alidosi zuckte zusammen, weil er es nicht schätzte, von seinem Kollegen in der schlichten Dominikanerkutte vertraulich als Bruder angesprochen zu werden.

Bramante kaute auf seiner Unterlippe und sagte dann: »Wisst Ihr, Frà Giacomo, das Geld ist vortrefflich angelegt, denn es wird den Schatz der Kirche mehren.«

»Genug, wir sind hier keine Krämer auf dem Markt!«, rief der Papst ungeduldig und erteilte dem Erzpriester von Sankt Peter das Wort. Giacomo Kardinal Catalano breitete auf dem schweren Ebenholztisch einen Grundriss aus. Bramante erkannte mit einem Blick, dass dies nur der Entwurf Frà Giocondos sein konnte, den der Architektenmönch aus Venedig gesandt hatte. Er zeigte eine fünfschiffige Kirche in rechteckiger Form, abgeschlossen von einem Chorbogen. Julius II. studierte, nicht eben begeistert, den Plan.

»Was soll das sein? Ein alter Mann, der, von Gicht geplagt, schmerzhaft den Kopf zwischen seinen Schultern einzieht?«, spottete Bramante.

»Der Entwurf lässt unsere heilige Basilika unangetastet und schlägt vor, sie einfach zu umbauen. Das ist genial«, erklärte der Erzpriester.

Bramante lachte auf. »Höre ich recht? Ihr wollt die Basilika in einem Sack aus Mauerwerk verstecken?«

Der ätzende Hohn in diesen Worten ließ Giacomo zusammenzucken. Dass eine Bezeichnung wie »Sack aus Mauerwerk« für den Vorschlag seines Ordensbruders tödlich war, ging selbst dem Theologen auf, der in Fragen der Baukunst trotz der vielen Jahre, der er bereits der Dombauhütte von Sankt Peter vorstand, ein Laie geblieben war. Julius würdigte den Entwurf mit keinem Wort, sondern forderte Giuliano da Sangallo auf, seinen Plan zu präsentieren.

Bramantes Anspannung stieg. Er wusste ja bereits, was kommen würde, denn er kannte Sangallos Plan. Doch die Reaktion des Papstes würde seine eigene Strategie festlegen. Ihm kam es nur drauf an, einen antiken Tempel von schwindelerregender Höhe zu errichten. Ob sich zu dessen Füßen noch ein Langhaus duckte oder nicht, war ihm letztlich gleichgültig.

Sangallos Entwurf stand im vollkommenen Gegensatz zum Vorschlag des Architektenmönches. Er hatte einen Zentralbau über der Grundfläche eines griechischen Kreuzes errichtet, also ein Quadrat, über dem sich an den vier Ecken mächtige Vierungspfeiler in den Himmel erhoben, als Säulen der Erde für die Kuppel des Himmels. Bramantes und Michelangelos Blicke trafen sich. Selten waren sie sich so nah gewesen wie in diesem Augenblick. Jeder las in den Augen des anderen die Bewunderung für Sangallos Entwurf, dessen Radikalität eine große Verneigung vor der guten Baukunst der Alten war.

»Dieser Tempel wird Euer Grabmal in idealer Weise aufnehmen, Heiliger Vater«, rief Michelangelo entzückt.

Doch Julius II. hielt sich mit seiner Meinung zurück und forderte den Erzpriester auf, sich zu äußern.

»Das ist Häresie!« Giacomo geriet außer sich vor Empörung. »Seht Euch vor, Sangallo, Ihr wollt im Herzen der Christenheit einen heidnischen Tempel errichten!« Er warf sich dem Papst zu Füßen und fuhr nahezu beschwörerisch fort: »Eure Heiligkeit, wenn es Euer Wille ist, dass unsere gute alte, von Konstantin errichtete und vom heiligen Papst Sylvester geweihte Basilika geschleift und an ihrer Stelle als ein Zeichen des Sieges des Heidentums über das Christentum ein Tempel errichtet wird, so will und kann ich dem nicht widersprechen. Aber dann entbindet mich von meinen Aufgaben und schickt mich weit fort, ins Morgenland zur Mission oder zu den Pest- und Cholerakranken, um sie zu heilen. Lieber will ich im Dienste Christi sterben als Zeuge dieses Frevels werden!«

Da der Kardinal nicht als Schwätzer galt, verschlug dieser Gefühlsausbruch allen im Saal die Sprache. Betretenes Schweigen breitete sich aus. Der Papst reichte Giacomo die Hand und half ihm, sich wieder zu erheben.

»Giulianos Vorschlag ist zwar sehr interessant, aber er schießt leider über das Ziel hinaus. Wir wollen einen würdigen Platz für Unser Grabmal, und Wir wollen ihn bald. Die Idee von Frà Giocondo, Alt Sankt Peter zu umbauen, scheint Uns gut zu sein, aber der Entwurf überzeugt Uns in architektonischer Hinsicht nicht. Du kennst deine Aufgabe, ehrenwerter Donato?«