»Gewiss, Heiliger Vater«, sagte Bramante, der nur mühsam ein triumphierendes Lächeln verbarg, und verneigte sich.
Dann griff er nach dem Plan, der auf dem Tisch lag, und holte aus seinem schwarzen Mantel eine kleine Holzkiste mit Bleistiften hervor. Er hielt den Entwurf umgekehrt gegen das Licht und pauste die Vierungsarme durch. Anschließend legte er die Skizze mit der Vorderseite auf den Tischrücken. Alle sahen ihm verblüfft zu. Wenn ihn jetzt bloß nicht die Handgicht packen würde, betete er inständig. Er spürte zwar einen Schmerz in der rechten Hand, über die er, wie in letzter Zeit so häufig, einen Handschuh aus weißem Ziegenleder gestreift hatte, doch er biss die Zähne zusammen und skizzierte tapfer weiter. Mit schnellen Strichen verband er die Vierungspfeiler zu einem Quadrat, zur perfekten Vierung, dann umgab er sie mit mächtigen Bögen, mit drei Chorumgängen, die er gen Osten zum Langhaus hin öffnete.
»Majestät und Würde«, sagte er schließlich. »Hier das Grab Petri, über dem sich die Kuppel des Himmels erhebt. Als Ziel, als Mittelpunkt der Welt, als heilige Majestät, dem sich die Menschen durch die würdevolle Basilika nähern.«
Der Papst nickte wohlwollend, dem Dominikaner war das Staunen regelrecht anzusehen, und Sangallo grinste vergnügt wie ein Schuljunge. Der Architekt genoss seinen Triumph, bis zu dem Augenblick, als auch Michelangelo seine Idee lobte. Das machte ihn misstrauisch. Er brauchte nicht lange zu warten, bis der Pferdefuß des Lobes deutlich wurde. Der Bildhauer bat nämlich darum, an den Planungsarbeiten des Architekten teilnehmen zu dürfen. Nicht dass der große Bramante seiner Hilfe bedürfe, führte Michelangelo aus, doch er könne ihn vielleicht dabei unterstützen, den Standort des Grabmals für den Heiligen Vater in die Planung einzubeziehen.
Bramante war davon ausgegangen, dass Michelangelo durch den Neubau aus dem Rennen war. Nun aber zeigte sich, dass dieser über den Umweg des Grabmals auf die Planung von Neu Sankt Peter Einfluss zu nehmen versuchte. Er, Donato Bramante, erster Baumeister des Papstes, sollte sich einen Bildhauer vorsetzen lassen, schlimmer noch, zum Diener und Ausführungsgehilfen dieses dreisten Florentiners werden? Das konnte er nicht hinnehmen. Zähneknirschend überlegte er, was er dagegen einwenden könnte, als der Papst wieder das Wort ergriff.
»So soll es sein!«, entschied Julius II. »Donato, erneure den Dom. Michelangelo wird in die Planung einbezogen, denn er weiß am besten, welchen Platz mein Grabmal benötigt. Spute dich, mein teurer Donato, Ostern nächsten Jahres will ich den Grundstein legen!«
Einige Wochen später kehrte Bramante unter dem Schutz Ascanios spät in der Nacht verdrossen von einem Gastmahl bei Agostino Chigi heim. Er hatte die Einladung nur angenommen, um den Bankier nicht zu verärgern – und um Imperia zu sehen. Unter den misstrauischen Blicken Chigis hatte er jedoch gerade mal zwei Worte mit ihr wechseln können. Bramante fluchte. Sie fehlte ihm von Woche zu Woche, von Tag zu Tag mehr, auch wenn er es sich ungern eingestand.
Die beiden Männer hatten gerade die Via del Bianchi verlassen, als vor ihnen ein Mann auftauchte. Er war von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder gekleidet, und an seinem Ohr blitzte ein silberner Ring.
»Giuseppe di Avignon«, raunte Ascanio ehrfürchtig. Er hatte blankgezogen und mit einem schnellen Schritt zu Bramante aufgeschlossen. »Ah, Ascanio Romano! Dann werden wir also fechten müssen, Messèr?«
Der Leibwächter nickte. »Giuseppe di Avignon ist der beste Fechter, den ich kenne«, erklärte er dem Architekten.
»Irgendwann musste es ja so kommen, dass wir uns im Kampf gegenüberstehen«, sagte der Angreifer mit einer gewissen Wehmut. Sie verneigten sich voreinander, dann begann das Duell. Bramante konnte die Hiebe kaum verfolgen, so rasch kreuzten die beiden Fechtmeister ihre Klingen in einem eleganten Wechsel von Angreifen und Parieren, gewürzt von klugen Finten und entschlossenen Stößen. Schließlich gelang es Giuseppe durch eine Sforza, Ascanio die Waffe aus der Hand zu schlagen. Geistesgegenwärtig warf Bramante seinem Leibwächter sein eigenes Rapier zu. Dieser fing es auf, vollführte eine blitzschnelle Parade, die er mit einer Riposte verband, bei der er seine Klinge entlang des Degens von Giuseppe führte, sie zur Seite drückte und zustieß. Als Ascanio das Rapier zurückzog, griff sich Giuseppe ans Herz und blickte verblüfft auf das Blut in seiner Hand. »Mon coeur!«, flüsterte er, bevor er tot zu Boden sank.
»Schade um ihn, er war ein guter Mann. Aber irgendwann ereilt es jeden von uns«, sagte Ascanio.
»Dann setz dich nur rechtzeitig zur Ruhe«, riet der Baumeister betroffen.
Ascanio lachte bitter und tauschte mit Bramante das Rapier. »Und wovon soll ich leben?«
»Bleib bei mir, und es soll dein Schaden nicht sein!«
»Solange Ihr solch entschlossene Feinde habt, werdet Ihr meine Dienste wahrlich brauchen. Der Kardinal muss Euch sehr hassen, wenn er einen so teuren Mann wie Giuseppe di Avignon angemietet hat.«
»Nicht weniger als ich ihn! Aber ich habe keine Zeit, mich mit Mordkomplotten zu beschäftigen, ich muss den Tempel der Tempel errichten. Was ist im Vergleich dazu schon ein kleiner Kardinal?«
Es wurde Zeit, dass er dem Dominikaner einen Schuss vor den Bug setzte, dachte der Baumeister verärgert. Glaubte der etwa, Donato Bramante ließe sich aufhalten?
Der Papst hatte Bramante zum Essen und zu einem Glas Wein eingeladen, weil er mit ihm sein neues Projekt besprechen wollte. Er wünschte sich nämlich eine breite Straße, die den Petersdom mit der Lateranbasilika, der päpstlichen Bischofskirche, verband. Viele Prozessionen führten von Sankt Peter zu San Giovanni in Laterano, und immer mussten sich die Menschen durch die engen Gassen und unübersichtlichen Viertel von Ponte, Regola, Sant’Angelo und Sant’Eustachio quälen. Bramante hatte vorgeschlagen, diese neue Straße am Tiber entlangzuführen, dann zum Kapitol zu schwenken, den berühmten Hügel links liegen zu lassen, um in gerader Linie weiter zum Lateran zu ziehen. Heißen sollte diese Straße Via Giulia, nach ihrem Erbauer, dem Papst. Um dieses Projekt zu verwirklichen, hatte Bramante erklärt, müsse er viele Häuser abreißen, was zu seinem Erstaunen durchaus in der Absicht des Papstes lag. Wenn er nämlich das städtische Labyrinth beseitigte, wurde gleichzeitig der Sumpf trockengelegt, aus dem der rebellische römische Adel seine Widerstandskraft bezog. Mit der städtebaulichen Veränderung verfolgte Julius II. von Anfang an zwei Ziele – Repräsentation und Machterweiterung.
Auch der Entwurf für Sankt Peter kam zur Sprache. Der Papst erinnerte Bramante wieder einmal daran, dass Michelangelo in die Planung einbezogen werden sollte, und der Architekt versprach, dem nachzukommen, wenn es an der Zeit wäre. Doch er nutzte auch die Gelegenheit, um dem Stellvertreter Christi seinen Verdacht mitzuteilen, dass der Kardinal Catalano hinter dem Anschlag auf Michelangelo steckte.
»Wie kommst du darauf?«, fragte Julius II. entrüstet.
»Mein Diener hat einen der Männer gestellt, der mit von der Partie war. Und der hat als seinen Auftraggeber den Kardinal angegeben.«
Eine Zornesfalte teilte die Stirn des Kirchenoberhauptes. Der Papst ließ ein unwilliges Räuspern hören, bevor er drohend seinen rechten Zeigefinger erhob. »Dir ist bewusst, dass diese Anschuldigung lächerlich ist? Ich werde dennoch mit dem Erzpriester reden. Er soll sich keinen Verdächtigungen aussetzen, das schadet der Würde des Priesters. Wenn dein Diener wieder einen dieser Kerle trifft, soll er ihn in der Engelsburg abliefern, damit er seiner gerechten Bestrafung zugeführt wird.«
Nach der wie immer sehr überschaubaren Mahlzeit hatte der Papst Bramante ermahnt, zuerst den Westchor zu errichten, in dem das Grabmal aufgestellt werden sollte. Mit dem Papst zu streiten war ein aussichtsloses Unterfangen, deshalb hatte Bramante zum Abschied nur genickt.
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