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»Weißt du, ich rede so gern mit ihr. Es ist nicht, was du denkst, ich, ich habe doch keine Tochter und hätte sie so gern gehabt«, stammelte Bramante.

»Das fällt dir ja wahrlich früh ein«, spottete Imperia schärfer als gewohnt.

»Ich weiß selbst, dass es dafür längst zu spät ist. Meinen ganzen Ehrgeiz habe ich in den Beruf gesteckt, ihm alles untergeordnet, aber inzwischen weiß ich nicht mehr, ob das richtig war.«

»Was hat meine Tochter mit deinen Selbstvorwürfen zu tun?«

Bramante schlug die Augen nieder. »Nichts.«

»Würdest du denn für sie da sein, wenn mir etwas zustieße?«, fragte Imperia und sah ihm prüfend ins Gesicht.

»Aber ja, natürlich.«

»Und wäre sie für dich immer deine Tochter und niemals eine Frau?«

»Sie hat mich das Beten gelehrt. Niemals würde ich sie als Frau, aber immer als Tochter sehen. Das schwöre ich bei Gott«, beteuerte Bramante und schaute sie an. Sein Blick prallte an ihrer Unnahbarkeit ab, und er wandte sich mit hängenden Schultern zum Gehen. Es war ein Traum gewesen, was sonst?

»Donato«, rief Imperia mit unerwartet warmer Stimme. Er hatte sich kaum umgewandt, da fiel sie ihm bereits um den Hals und umarmte ihn so heftig, dass sie ihn zerdrückt hätte, wenn er nicht so ein kräftiger Kerl gewesen wäre. Er verstand die Welt nicht mehr.

»Ich weiß doch längst, dass ihr euch trefft. Lucrezia hat es mir erzählt«, flüsterte sie ihm zärtlich und mit warmer, feuchter Stimme ins Ohr. »Verzeih, dass ich dich prüfen musste, du Lieber!«

»Ich liebe dich, Imperia.«

»Ich weiß.«

»Es ist verrückt, aber mir ist, als sei sie unsere Tochter.«

»Vergiss das niemals. Ich bin froh, dass du das so siehst. Sie soll ehrbar bleiben und glücklich werden.«

»Bist du denn nicht glücklich mit Agostino?«

»Es geht mir nicht schlecht mit ihm«, antwortete sie ausweichend. Dann küsste sie ihn noch einmal lang und innig, bevor sie wie ein über den ersten Kuss erschrockenes junges Mädchen davoneilte. Bramante sah ihr lange nach. Er war auf merkwürdige Art und Weise Vater geworden und hatte damit die Endlichkeit überwunden. An diesem Tag setzte er sein Testament auf und bestimmte Lucrezia zu seiner Alleinerbin.

Nichts ging über ein Mittagessen im Hause des Giuliano da Sangallo, der wie immer einen liebenswürdigen Gastgeber abgab. Er saß an der Stirnseite eines zwölf Ellen langen, rechteckigen Tisches. Schon die freundliche Heiterkeit des kleinen Saals hob die Stimmung der Anwesenden. Die Gäste und der Hausherr, der unter einem leichten, schwarzen Mantel ein weißes Leinenhemd trug, wirkten, als seien sie gerade den Fresken an den Wänden entstiegen. Auf den Gemälden und Zeichnungen rekelten sich antike Götter beim Tafeln. Freizügig wurden die Unsterblichen beim Scherzen und beim Lieben gezeigt. Sangallo und seine zahlreichen Künstlerfreunde hatten mit Bedacht oder mutwillig nach so manch üppigen Male die frivolen Bildnisse an die Wand gebracht. Der Wein hatte Sangallo die Wangen gerötet und seine Stirn unter Schweiß gesetzt. Als er sich prustend über einen deftigen Witz amüsierte, ähnelte er mehr denn je dem bocksgesichtigen Weingott Dionysos, der als Personifikation der leiblichen Genüsse von der Wand neben der Tür schaute.

Nur einer kaute lustlos und mit verschlossenem Gesicht. Die Krüge mit gutem Wein und die dampfenden Schüsseln, unter denen sich der lange Pinienholztisch bog, beeindruckten Michelangelo wenig. Er verdünnte den Wein und nahm nur ein paar Nudeln mit Hühnerfleisch. Mit seiner düsteren Stimmung und seiner abgetragenen Kleidung wirkte er wie ein Fremdkörper in der scherzenden Gesellschaft der Freunde und Gesellen Sangallos.

»Ich weiß ja, dass die Melancholie ein Zeichen von künstlerischem Genie ist …«, rief ihm der Hausherr mit vollem Mund quer über den Tisch zu, wobei ihm ein paar Nudeln aus dem Mund fielen.

»Dann dürftet Ihr, Messèr Giuliano, bei Eurem Frohsinn der unbegabteste Mensch auf Gottes Erdboden sein«, unterbrach ihn der junge Baumeister Baldassare Peruzzi, der gerade aus Siena nach Rom gekommen war und von Agostino Chigi den lukrativen Auftrag erhalten hatte, einen Palazzo am gegenüberliegenden Tiberufer auszubauen. Aus seinen lustigen Augen über der großen, zeltartigen Nase blitzte der Schalk, als er Michelangelo ansah und mit gekräuselten Lippen hinzufügte: »Und Ihr, Messèr Michelangelo, müsstet folglich ein noch größerer Schöpfer als Gott sein, denn der Allerhöchste soll Humor besitzen:

Nun denn ihr Herren, Gott zum Gruß

Nicht nur der Teufel hat ’nen Pferdefuß.«

Die Männer am Tisch lachten, und Baldassare fuhr fort:

»›Die Engel müssen ihn verstecken,

um keinen Argwohn zu erwecken.

Auch Gott das Ding gehörig kennt,

man ihn zu Recht den Vater nennt.

Kein Feuer, sagt man, ohne Rauch und Ruß

Und keine Lust auf Erden ohne Pferdefuß.‹

Nein, wirklich, ich stelle mir Gott immer ein wenig wie unseren Giuliano vor! Er kennt alle Genüsse und verzichtet auf keinen einzigen!«

Auf Michelangelos Stirn erschien eine tiefe Zornesfalte. Er mochte es ganz und gar nicht, wenn gelästert wurde. »Ihr könntet auch ungeschminkt und ohne Maske als Possenreißer gehen!«, fuhr er den jungen Architekten heftig an. Peruzzi stutzte. Er hatte in seinem Scherz sowohl Gott als auch Michelangelo beleidigt, und jedes für sich genommen war schon unverzeihlich genug. Aber die harsche Reaktion des Bildhauers hatte ihn dennoch nicht eingeschüchtert.

»Wenn Ihr den Pantalone gebt?«, gab er mit gewinnender Stimme und sprach munter weiter:

»Warum reimt sich auf Gott nur Spott?

warum auf Sohn nur Hohn und Inquisition?

Obwohl es an dieser Stelle holpert,

weil mein Vers zum Scheiterhaufen stolpert.

Die Aussicht, auf dem Grill zu landen,

macht die beste Poesie zuschanden.«

»Ist das alles, was Ihr bei Messèr Donato gelernt habt?«, fragte Michelangelo mit verkniffenem Gesicht, denn er wusste, dass der junge Mann aus Siena inzwischen auch Bramante nahestand.

»Nach der Natur zu malen, zu bauen und zu dichten, ja, das habe ich mir bei Messèr Donato abgeschaut.«

Niemand konnte Peruzzi etwas verübeln, wenn er mit seinem jungenhaften Charme über das ganze Gesicht lachte, niemand außer Michelangelo, der ihn jetzt grob belehrte.

»Es wäre besser, Ihr würdet nach Gott malen, bauen und dichten lernen. Und wenn Ihr nichts vom Schöpfer aller Dinge wissen solltet, dann versucht Euch an einem Sonett, und Ihr werdet Gott begegnen.«

»Was quält dich, mein Freund?«, versuchte Sangallo den reizbaren Bildhauer zu beschwichtigen. Der ließ sich nicht lange bitten und stimmte sofort mit herzerweichendem Tremolo eine Klage an, als wäre er der Prophet Jeremias persönlich, dass er dringend Geld benötige, denn der Papst hielte ihn kurz und die Kosten explodierten. Die Schiffer hatten die Preise erhöht, weil die wiederholten Anschläge auf seine Steine ihre Barken und ihr Leben in Gefahr brachten. »Ein Teufel verfolgt mich!«, schloss Michelangelo finster seine Litanei und dachte bei sich, dass dieser Donato Bramante hieß.

»Das mag ja alles sein, Angiolo, aber Julius hat dir doch nicht gerade wenig gezahlt!« Sangallo schüttelte sein mächtiges Haupt mit den langen mattschwarzen Locken, die von ersten grauen Strähnen durchzogen waren. Dass der Bildhauer für das Grabmal eine außergewöhnlich hohe Anzahlung bekommen hatte, die allein schon genügt hätte, das ganze Mausoleum zu finanzieren, war in Rom ein offenes, von interessierter Seite verbreitetes Geheimnis. Neider gab es deshalb zuhauf.

»Ich weiß, was geredet wird. Aber glaubt mir, gemessen an den Kosten war es zu wenig. Ich werde den Heiligen Vater um Geld bitten müssen!«

Vergeblich versuchte Sangallo, den Freund davon abzubringen. Ihm war bekannt, dass sich Julius II. inzwischen über die ständigen finanziellen Forderungen des Künstlers ärgerte. Dabei hatte der Papst noch nicht eine einzige Statue zu Gesicht bekommen, nicht einmal die bossierten Marmorblöcke. Alle Nachfragen tat Michelangelo mit Ausreden ab. Sangallo spürte, dass sich eine Auseinandersetzung anbahnte. »Angiolo, bitte verzichte darauf, überspann das Band nicht!«