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»Arm und Kopfhaltung weisen auf eine kraftvolle Drehung des Körpers hin.«

»Als winde er sich!«

»Machen wir vorsichtig weiter.«

Sie benötigten zwei Stunden, um die Skulptur zu bergen. Und in der Tat war es der Laokoon, in gemeinschaftlicher Arbeit erschaffen von den antiken Bildhauern Hagesandros, Polydoros und Athenadoros. Einst hatte die Statue den Palast des Titus geziert. Der Vater lehnte sich in einer letzten Drehung seines Körpers gegen das Schicksal auf, wissend, dass er den Kampf nicht gewinnen konnte. Er hatte sich gegen die Götter gestellt, gegen ihren Ratschluss aufbegehrt, als er die Trojaner davor warnte, das hölzerne Pferd in die Mauern der Stadt zu ziehen. Dass er ein Priester war und dadurch den Göttern doppelt zum Gehorsam verpflichtet, hatte diese nur umso stärker erbost. Gegen die Unsterblichen konnte der Mensch nicht siegen.

Nachdem die Figur aus dem Hohlraum gehoben worden war, stand sie nun da, mitten im Weinberg.

»Das widerfährt dem, der sich gegen Gott auflehnt«, raunte Michelangelo Baldassare Peruzzi zu, bevor er sich in die Betrachtung der Skulptur versenkte. Sie berührte ihn. Wie aus einer fernen Zeit grüßten ihn Künstler, die nichts anderes darstellen wollten als er, nämlich den Menschen, dessen Denken, Fühlen, Handeln, Hoffen und Fürchten in den Gesten seines Körpers zum Ausdruck kam. Die Leiber in ihren Drehungen und Verstrickungen, in ihrem Aufbegehren und Sich-ducken, erzählten ihm die Geschichte der Welt, die Gottes Geschichte war und in den Schicksalen zum Ausdruck kam. Deshalb existierte für ihn nur das Schicksal, und es gab keinen freien Willen. Was man freien Willen nannte, war nur Hoffart, milde gesprochen, eine Illusion. Der Mensch konnte nur tun, was er tun konnte, wie Michelangelo nur Bildnisse erschaffen wollte gegen den Ansturm der Sinnlosigkeit, der sich mit der gleichen Notwendigkeit erhob wie ein Orkan, weil die Welt den Sinn, der ihr aufgezwungen wurde, nur sehr schwer ertrug und bei jeder sich bietenden Gelegenheit wieder ins Chaos flüchtete.

Der bestirnte Himmel wölbte sich über ihm wie die schützenden Hände eines Vaters. Obwohl ihm der Magen knurrte und sein Gaumen sich nach der belebenden Wirkung des Weines, des beglückenden Spiels der Aromen sehnte, verließ Bramante dennoch im Hochgefühl den Vatikan. Julius hatte seine Pläne gebilligt und das Datum der Grundsteinlegung festgelegt. Zu Ostern. Christi Leiden, Kreuzigung und Auferstehung sollte er mit dem alle Dimensionen sprengenden Bauvorhaben beginnen, genauer am 18. April 1506. Nicht einmal Michelagniolo di Ludovico di Lionardo di Buonarroti-Simoni, der stets querulierte und mit dem er inzwischen in einem ernsthaften Kampf um die Gunst des Papstes stand, hatte etwas eingewandt.

Bramante musste sich nun sputen. Bis zur Grundsteinlegung blieb nicht mehr viel Zeit, und es galt, die Baupläne zu präzisieren, die römischen Bauunternehmer auszuwählen und die Bautätigkeit in Etappen zu gliedern, mit denen dann die Maurermeister beauftragt wurden. Als Wermutstropfen seines Triumphes blieb nur, dass ihn Giacomo auf der großen Freitreppe eingeholt und aufgefordert hatte, zugunsten von Frà Giocondo zurückzutreten. Andernfalls hatte der Dominikaner ihm schlimme Konsequenzen angedroht. Was hatte der Kardinal gesagt? Es würde dem Architekten sehr leidtun, wenn er seinen gut gemeinten Rat in den Wind schlüge. Siegestrunken, wie er war, hatte Bramante ihn jedoch nur ausgelacht und gespottet, dass er es lediglich bereuen würde, den Dom nicht zu bauen. Das schale Gefühl, den der hasserfüllte Blick des Dominikaners in ihm zurückließ, hatte er weggelacht und verdrängt. Er redete sich ein, er habe souverän reagiert. Hunde, die bellten, bissen schließlich nicht. Allerdings hatte der Erzpriester schon bewiesen, dass er es nicht bei leeren Drohungen beließ und in der Tat zuzuschlagen verstand. Doch Bramante hatte kein Bedürfnis, weiter darüber nachzudenken. Er wollte endlich in einem rauschenden Fest seinen Triumph auskosten. Er verließ den Borgo durch die trutzige Porta Santo Spirito und schritt den Tiber entlang in Richtung Trastevere.

Eine gute halbe Stunde später stand er vor dem hell erleuchteten Palazzo der Petronilla da Pecorino. Warm strahlte das Licht aus allen Fenstern und wirkte umso einladender auf ihn, weil es auf der Straße bereits empfindlich kalt geworden war. Musik drang verheißungsvoll aus der geöffneten Tür, die aufreizenden Klänge der Laute. Und wie Saite um Saite zum Tönen, so sollten heute Abend auch Körper um Körper zum Stöhnen gezwungen werden, während Flöten und Posaunen das Blut durch die Adern treiben würden.

Petronilla machte große Augen und kam ihm mit ausgebreiteten Armen durch das Vestibül entgegen.

»Bist du es wirklich? Bis du es, Donato?«, rief sie und blinzelte, als erkenne sie ihren alten Bekannten nicht recht. »Ich habe dich so lange nicht mehr gesehen!«

»Du weißt doch, das Gute ist rar!«, grinste Bramante.

»Was kann ich arme Bordellbesitzerin dem Guten schon bieten?«

»Alten Wein und neue Mädchen!«

Petronillas Pupillen verbogen sich fast vor Heiterkeit. »Je älter die Männer werden, umso mehr Mädchen müssen es sein.«

»Wir werden mit den Jahren eben immer besser! Wie der Wein.«

»Ach, mein Freund, ich glaube eher, dass ihr im Alter die Vielzahl der Projekte braucht, um euch darüber hinwegzutäuschen, dass ihr nicht einmal mehr eines zu Ende bringt.« Bevor der Architekt noch etwas erwidern konnte, hakte sie ihn freundschaftlich unter. Sie neigte sich zu ihm, stieß ihre Zunge kurz in sein Ohr und flüsterte: »Glaubt mir, denn ich bin erfahren: Nicht der Ständer macht den Mann! Eine Kurtisane, die das glaubt, hat den Beruf verfehlt.«

»Was ist es dann?«

»Geist, Ausstrahlung, Kampfeswillen und Glück. Und, mein lieber Donato, die Welt mag vielleicht die Sieger lieben, aber glaube mir, gegen die Käuflichkeit der Welt sind meine Mädchen ehrbare Jungfrauen. Wer den Kampf nicht scheut und mit Größe gewinnt oder mit Größe verliert, nur der ist ein wirklicher Mann. Die ganzen verdrucksten Beamten mit ihrer Lebensstellung in der Kurie – von denen ich allerdings lebe –, hängen mir, unter uns gesagt, zum Halse heraus.«

»Du hättest Philosophin werden sollen«, sagte Bramante und drückte sie fest an sich.

»Du hast es erfasst, das ist mein Gewerbe. Das ewige Auf und Ab. Ein Kunde hat mir einmal erzählt, ein alter Philosoph hätte gesagt, man könnte nicht zweimal im selben Fluss baden. Der Mann hat unrecht. Glaub mir, man badet immer im selben Fluss.« Sie winkte zwei rothaarige Mädchen herbei, die eine mit blauen Augen, die andere mit braunen. Griffig waren sie, so wie es Bramante liebte, mit allerliebsten, festen Rundungen, die bald schon erschlaffen würden. Aber so war der Lauf der Welt, wer wusste das besser als er? Alles kam aus der Form. Manchmal wachte er nachts auf, weil ihm der Geruch nach fauliger Erde nicht aus der Nase ging. Auch die Zeiten, in denen er auf seine Erektion wetten konnte, waren längst dahin.

Petronilla wand sich aus seinem Arm und schob sacht die beiden Mädchen zu ihm. »Er ist ein guter Mann, er hat es verdient, verwöhnt zu werden«, gab sie den beiden zu verstehen.

Bramante warf ihr einen dankbaren Blick zu, den sie kurz erwiderte, bevor sie sich lächelnd einem Geheimschreiber des Papstes zuwandte, einen von diesen abgesicherten Kurialen, und ihn mit säuselnder Stimme umgarnte. Sie führte ihn zu einem Sofa, auf dem er sich niederließ und einem jungen Lautenspieler mit schwarzen Locken und verlebten Augen schmachtende Blicke zuwarf. Als Bramante die beiden Grazien über die Treppe in das obere Stockwerk entführte, nahm er aus den Augenwinkeln wahr, wie sich der kleine Lautenspieler unter den Blicken des Geheimschreibers anzüglich mit der Zunge über die Lippen fuhr. Aber war er selbst denn etwas Besseres als der Prälat, er, der zwei blutjunge Mädchen im Arm hielt, die seine Töchter hätten sein können? Plötzlich musste er daran denken, dass Imperia auch einmal so angefangen hatte.