Выбрать главу

»Ich soll Euch etwas von wohlmeinenden Freunden übergeben, Eminenz«, sagte Eugenio mit einer Verneigung und drückte dem Kirchenfürsten ein feuchtes Stück Leinen in die Hand. Nach einer erneuten Verbeugung entschwand er durch den Kreuzgang und ließ den verblüfften Giacomo mit dem kleinen Bündel in der Hand stehen. Es roch nicht gut. Als er das Tuch auseinanderschlug, fuhr er zurück. Eine würgende Übelkeit überkam ihn. Auf dem schmutzigen Stück Leinen lag die blutverkrustete Wange eines Menschen. Die Wange durchzog eine wulstige Narbe. Der Kardinal wusste, zu wem dieses Stück Fleisch einmal gehört hatte, und hegte keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Warnung.

Die folgenden Tage vergingen für Bramante wie im Rausch. Eben hatte er noch vor den Trümmern seiner Existenz gestanden und nicht einmal mehr zu hoffen gewagt, dass sein Leben sich noch einmal zum Guten wenden würde. Durch seine Sucht nach Ruhm hatte er Menschen, die er liebte, in Lebensgefahr gebracht, und von dem Projekt seines Lebens, dem er seine Liebe geopfert hatte, hätte er um ein Haar zurücktreten müssen, weil er sich in einem Netz aus Intrigen verfangen hatte. Doch nun war das klug gewebte Gespinst zerrissen – durch eine entschlossene Tat und Fortunas Beistand. Bramante lächelte grimmig. Zuweilen ruhte das Glück des Menschen auf dem trefflichen Degenstreich eines guten Fechters! Welch ein Fehler zu glauben, dass Kunst und Kultur durch Schönheit und Moral überzeugten, und dabei zu vergessen, dass sie des Schutzes der Fechter bedurften, denn ihre Gegner bevorzugten nicht den freien Disput, sondern die Sprache der Schwerter, nicht das Argument, sondern den Faustschlag. Aber all das war erst einmal vorüber.

Bramante hätte es nicht besser gehen können. Seinen Feind hatte er gezwungen, ihn zu unterstützen. Der Papst schien keinen Tag mehr ohne ihn auszukommen und überhäufte ihn mit Aufträgen. Straßen waren anzulegen, Kirchen zu erneuern, Wasserleitungen zu errichten. Und alles sollte, nein, alles muss-te der Architekt beaufsichtigen. Von Tag zu Tag mehr verwandelte er sich praktisch zum päpstlichen Bauminister. Obwohl Giacomo alles getan hatte, um Bramantes Untergang herbeizuführen, hatte er ihn in einer seltsamen Verkehrung seiner Absichten nur erhöht.

Und damit nicht genug: Wenn der Baumeister nur ein wenig zu träumen wagte, hatte er sogar eine Tochter. Lucrezia lebte inzwischen bei ihm, da es im Kloster zu gefährlich für sie war. Der Erzpriester war zwar niedergerungen, aber nicht besiegt. Darüber machte sich Bramante keinerlei Illusionen. Und obwohl Agostino Chigi das Mädchen in der Stunde der Gefahr adoptiert hatte, konnte sie mit Rücksicht auf seine sterbende Frau noch nicht zu ihm ziehen. Nicht dass es Margarita Saraceni etwas ausgemacht hätte, vielleicht hätte sie es sogar begrüßt. Doch Chigi wollte das boshafte Gerede der vielen Missgünstigen vermeiden. Was mancher große Herr im Rausch der Eitelkeit der Macht sträflich unterschätzte, blieb ihm, der sich hochgearbeitet hatte, bestens vertraut. So zahnlos die öffentliche Meinung auch war, im Moment der Krise konnte sie zum Verhängnis werden. Deshalb verhielt sich Chigi klug, indem er darauf achtete, sie nicht herauszufordern.

Bramante hingegen war die öffentliche Meinung gleichgültig. Er genoss es, wenn er in seiner Werkstatt mit dem jungen, eifrigen Antonio da Sangallo schon in die Arbeit vertieft war und sie Lucrezia plötzlich mit glockenheller Stimme zum Frühstück rief. Das erste Mal in seinem Leben aß er morgens regelmäßig, und das bekam ihm gut. Er liebte diese kostbare Stunde am Morgen und wollte sie um nichts in der Welt mehr missen.

Dabei gaben sie schon eine reichlich eigenartige Familie ab, wenn sie sich um den ovalen Pinientisch im Esszimmer versammelten: Bramante, sein Schüler Antonio, Ascanio und natürlich Lucrezia. Es erheiterte ihn, wenn der junge Mann und der Krieger in den besten Jahren um die Gunst des Mädchens wetteiferten. Dabei gehörte ihre Liebe nur ihm, sie sah immer mehr den Vater in ihm. Manchmal dachte Bramante voller Trauer, wie sinnvoll sein Leben hätte sein können, wenn er nicht all die Jahre atemlos dem Ruhm hinterhergelaufen wäre, sondern beizeiten eine Familie gegründet hätte. Nun gut, sein Leben hatte sich anders gestaltet.

Dennoch hatte ihm Gott am Abend seines Lebens eine Tochter geschenkt, was ihn mit tiefer Dankbarkeit erfüllte. Das Zusammenleben mit Lucrezia, die beinahe wegen seines Ehrgeizes gestorben wäre, veränderte unmerklich und langsam sein Leben und auch sein Denken. Er lebte nicht mehr in einem leeren Haus, in einem Taubenschlag, in dem Künstler und Huren aus und ein gingen, sondern in einem gutbürgerlichen Heim. Weil er nicht einen strafenden oder betrübten Blick von ihr riskieren wollte, hütete er sich vor derben Worten und Gotteslästerungen, was ihm reichlich schwerfiel. Doch die Anstrengung lohnte sich. Freude, Frohsinn, unschuldige Ausgelassenheit erfüllten sein Haus, das ihm heller und reiner vorkam als früher.

Lucrezia war auch ein Grund für ihn gewesen, religiös zu werden. Die Morgenandacht hielt er immer noch im Kloster San Silvestro gemeinsam mit Lucrezia und Ascanio. Zuweilen, wenn sein Blick sich länger in ihren reinen Augen verfing, begann er sich sogar für manches zu schämen, was er getan hatte. Dann suchte er allein eine kleine Kirche auf, wo ihn keiner kannte und niemand ihn beobachtete, und bat Gott inständig um die Vergebung seiner Sünden, die sich nicht ungeschehen machen ließen.

Bramante wunderte sich über sich selbst. War es das Alter, das ihn weicher und sentimental machte, oder war das die Einsicht, die vielen verschlossen blieb? Die Konfrontation mit dem Leben, mit der wahren Liebe schenkte ihm den Glauben, weil er das erste Mal in seinem Leben Verantwortung empfand. Früher hätte er die Verantwortung womöglich als Fessel empfunden, doch jetzt befreite sie ihn. Sein Leben lang war er ein Gefangener seiner Gier und seiner Leidenschaften gewesen, getrieben, sie auszuleben. Aber das war nicht Freiheit, nur Verwahrlosung und die Herrschaft des Leibes über den Geist. Er begann zu ahnen, was der Seher Johannes gemeint hatte, als er in der Offenbarung vom Tier sprach. Was er früher wie viele andere für Freiheit gehalten hatte, stellte sich ihm jetzt als Herrschaft des Tieres dar.

Bramante begann, in der Bibel zu lesen, und erinnerte sich an die Worte, die auf dem Pergamentchen in Giacomos Ring geschrieben waren: »Betrachte durch mich den Kosmos, wie er vor den Fenstern deiner Seele liegt, und begreife genau seine Schönheit: Er ist ein unversehrter Körper, und nichts wird je älter sein als er, und dennoch steht er in allem in der Blüte seiner Kraft, ist jung und blüht über und über. Sieh auch die liegenden sieben Welten, deren Ordnung in ewig gültiger Weise geregelt ist und die in ihrem unterschiedlichem Lauf den Äon ausmachen; alles … ist nun voller Licht geworden, das von oben eine Leuchtkraft bekommt von der Wirkkraft Gottes, des Erzeugers von allem Guten und aller Ordnung der sieben …«

Lange dachte Bramante darüber nach, wie er den Neubau beginnen sollte. Früher hatte er fest daran geglaubt, dass ihn, wenn er einmal angefangen hätte, nichts würde hindern können, den Neubau von Sankt Peter auch zu vollenden. Alles kam darauf an, die Arbeiten aufzunehmen, das galt noch immer. Doch die Ereignisse der letzten Wochen und die Erfahrung der Liebe hatten den Architekten demütiger werden und eine realistische Einschätzung des Projektes in ihm reifen lassen. Natürlich würde er nicht ewig leben, und die Dinge benötigten Zeit.

37

Rom, Anno Domini 1506

Und dann fing er an. In Trastevere und Sant’Angelo suchte Bramante die Maurer- und Steinmetzmeister aus. Die Verhandlungen überließ er seinem Schüler und beobachtete ihn dabei. Antonio da Sangallo, der aus einer Familie von Architekten und Bauunternehmern stammte und seine Kindheit mehr oder weniger auf Baustellen zugebracht hatte, wurde ihm bei der Auswahl zu einer großen Hilfe.