Schließlich führte sie die Suche nach Maurern in den Rione Regola, der am Tiber lag. Sie passierten den letzten der fünf wuchtigen Bögen des mittelalterlichen Hauses in der Via di San Bartolomeo und kamen auf den Vicolo del Melangolo, auf dem sich bereits einige Maurermeister versammelt hatten. Auf einem Stein saß, frech die Mütze auf den Hinterkopf geschoben, ein Bursche mit struppigen, aschblonden Haaren, vielleicht in Antonios Alter, und kaute an einem Grashalm.
»Wenn Ihr einen tüchtigen Meister braucht, nehmt mich«, rief der junge Mann ihnen forsch zu. Die älteren Meister knurrten oder drohten mit der Faust. Sie empfanden es als unerhört, dass sich der junge Kerl einfach vordrängte.
»Ich brauche erfahrene Meister und keine halben Kinder. Wisch dir die Ohren ab, sie sind noch feucht von den Eierschalen«, wies ihn Bramante zurecht.
»Ah, ich verstehe, Ihr baut nicht an der Peterskirche, sondern an einem Friedhof!« Der Maurermeister sprang von dem Stein, auf dem er saß, steckte die Hände in die Taschen seiner knielangen, sandfarbenen Hose und lachte sie aus strahlenden blauen Augen an. Er überragte den eher klein gewachsenen Bramante nicht. Trotz seiner schmalen Gestalt sah er so aus, als könne er kräftig zupacken.
»Wie heißt du?«, fragte Antonio. Das Interesse seines Schülers machte Donato neugierig.
»Maffeo Maffei, Messères!« Er spuckte den Grashalm aus und stellte sich breitbeinig vor die beiden Baumeister.
»Wie viele Leute kannst du beibringen?«, erkundigte sich Antonio weiter.
»Fünfzig«, gab der junge Mann gelassen zur Antwort.
»Der lügt, der Aufschneider!«, rief einer der älteren Meister.
Maffeo zog seelenruhig sein Messer und ging auf den Konkurrenten zu. »Sag noch einmal, dass ich lüge, und ich schicke dich zu den Fischen.« Dann sah er in die Runde. »Nur weil ich jung bin, bin ich nicht schlechter als ihr!« Kalt und mit einer Spur Verachtung schaute er in die Runde. All diese Männer waren erfahrene Maurer, die ihr Leben mit den rauen Sitten auf den Baustellen zugebracht hatten, gewiss keine Lämmer. Sie kannten diese Verrücktheit, die zuweilen ehrgeizige Maurer überfiel, die nach Höherem strebten. Die meisten von ihnen stürzten vom Gerüst oder in eine Baugrube und waren nicht mehr gesehen. So würde es auch diesem jungen Spund ergehen, und manche der Männer schmiedeten im Stillen schon Pläne dafür. In diesem Moment aber wagte es keiner, sich gegen ihn zu stellen. Wenn sie ihm widersprachen, das wussten sie, würde er einen von ihnen abstechen müssen, um sich Respekt zu verschaffen. Sein Ansehen stand auf dem Spiel.
»Fünfzig, sagst du?«, fragte Bramante und kratzte sich am Kinn.
»Fünfzig und keinen weniger!«, sagte der aufstrebende Unternehmer und wandte sich den beiden Architekten zu. In seinen Augen funkelten Klugheit und Unbedingtheit. Bramante gefiel das selbstbewusste Auftreten des jungen Mannes, der keinerlei Zweifel hegte, sich in dem rauen Gewerbe durchsetzen zu können. Er erinnerte ihn an seine eigene Jugend.
»Was denkst du, Antonio?«
»Ich meine, wir sollten es mit ihm versuchen.«
»Gut. Komme morgen mit deinen fünfzig Arbeitern zu mir, ich habe eine besondere Aufgabe für dich«, sagte Bramante.
»Sehr wohl, Messèr«, antwortete Maffeo, ohne eine Miene zu verziehen. Antonio lächelte ihm zu, als sie sich verabschiedeten. Dem alten Architekten gefiel es, dass sich die jungen Leute verstanden.
Etwas später stand Bramante mit Antonio auf dem Glockenturm von Santa Maria in Turri und blickte auf das Atrium mit der bronzenen Pinie, auf den Narthex der alten Basilika, auf das baufällige Dach.
»Dieser ganze scheußliche Kasten muss weg. Hell muss es werden, eine Architektur aus Licht, aus Gottes Licht. Verstehst du, Antonio?« Der Schüler nickte. Dann schwärmte Bramante davon, wie er mit dem Neubau Größe sichtbar machen wollte, und zeigte auf einen Platz hinter den linken Seitenkapellen, Santa Petronilla und Santa Maria della Febrella. »Dort werde ich den Grundstein legen.«
Antonio blickte überrascht zu seinem Meister. »Ihr wollt nicht mit dem Chor beginnen, wie der Heilige Vater es wünscht?«
»Wir werden zur gleichen Zeit mit der Errichtung des Westchores anfangen, wo Julius sein Grabmal aufstellen will. Natürlich. Aber den Grundstein legen wir am südwestlichen Vierungspfeiler. Außerhalb der Basilika. Ihn und den nordwestlichen Pfeiler werden wir mit Hochdruck vorantreiben!«
»Aber warum? Hat das nicht Zeit?«
Bramante legte seinem Schüler den Arm um die Schulter. »Sieh mich an. Ich bin alt. Ich werde die Fertigstellung nicht mehr erleben. Vielleicht baust du es zu Ende. Aber mit den vier Pfeilern der Vierung gebe ich die Größe der neuen Kirche vor und fege die gesamte alte Basilika hinweg. Meine Vierung wird das Herz der neuen Kirche, das sich seinen Körper erzwingen wird. Fleisch muss wachsen, wo der Geist es will!«
In Bramantes Vorstellung erhoben sich die mächtigen vier Pfeiler, die die Pendentifs verbinden würden, als hakten sich mächtige Arme unter, um auf ihren Schultern den Tambour zu tragen, über dem sich die größte Kuppel wölben würde, die man jemals auf Erden gesehen hatte. Er war bei seiner Planung bis an die Grenze der physikalischen Belastbarkeit von Steinen gegangen. Er hatte den statischen Spielraum ausgereizt. Ob sich im Osten an die Vierung ein Langbau anschloss oder es am Ende bei dem griechischen Kreuz blieb, war ihm inzwischen gleichgültig. Er würde es ohnehin nicht mehr erleben. Durch diese Vierung aber würde er für jetzt und alle Zeit den Dom mit der alles beherrschenden Kuppel prägen. Nur darauf kam es an. Das würde ihm niemand mehr nehmen können. Das musste er erreichen, dann war genug getan.
Michelangelo fühlte sich gehetzt. Zwar hatte er den Marmor in der Nähe seines Hauses sicher gelagert, und der Verlust an Steinen hielt sich in schmerzlichen, aber erträglichen Grenzen. Die Schiffer, Kutscher und Transportarbeiter jedoch verlangten ihren Lohn, Geld, das er nicht mehr hatte, weil es in den Erwerb von Landgütern und Villen geflossen war. Und der Papst wollte endlich Skulpturen sehen. Genug bezahlt hatte er ja inzwischen, wie sich Michelangelo im Stillen eingestehen musste. Zudem war Bramantes Stern wieder im Steigen begriffen. Der Architekt baute am Belvedere, an der Via Giulia, an Palästen und Wasserleitungen und warb bereits die Maurermeister samt Gesellen, Lehrlingen und Hilfsarbeiter für den Neubau des Petersdomes an. Bramante war der umjubelte Mittelpunkt rauschender Feste und einträglicher Baustellen, ein Zaubermeister, dem alles zu gelingen schien, ein neuer König Midas, dem alles unter der Hand zu Gold wurde. Und er selbst? Er schien gescheitert zu sein, war verarmt und wurde verfolgt. In seiner Verzweiflung rang sich Michelangelo schließlich dazu durch, den Papst noch einmal um Geld zu bitten. Vor sich selbst rechtfertigte er diese Dreistigkeit mit der Feststellung, dass man bei einem Künstler wie ihm nicht aufs Geld schauen durfte, denn er wurde so oder so unterbezahlt.
Als er im Vatikan vorsprach, entließ ihn Julius II. schon wieder, noch bevor er sein Anliegen hatte vorbringen können. Der Bildhauer möge am nächsten Tag wiederkommen, da ihn selbst dringende Staatsgeschäfte riefen. Diese Ausrede hatte Julius noch nie vorgeschoben. Mit einem unguten Gefühl kehrte Michelangelo in seine Werkstatt zurück und arbeitete für den Rest des Tages an der ersten Figur für das Grabmal, einem der Gefangenen. In den späten Morgenstunden des folgenden Tages erschien er wie verabredet im Borgia-Turm vor den Gemächern des Papstes.
»Seine Heiligkeit ist beschäftigt«, ließ ihn der Chef der Wache, ein kantiger Schweizer mit harter Aussprache, kurz und knapp wissen und verwehrte ihm den Zutritt.
»Aber wir sind verabredet!«, rief Michelangelo überrascht.
»Davon weiß ich nichts, ich weiß nur, dass Ihr heute keine Audienz beim Heiligen Vater habt. Kommt morgen wieder.«
In einer Mischung aus Ärger und Sorge verließ Michelangelo den Vatikan. Diese Entwicklung beunruhigte ihn. Er versuchte zu arbeiten, aber er konnte sich nicht konzentrieren, also las er in der »Göttlichen Komödie«. Am nächsten Tag wurde ihm erneut der Zutritt verwehrt. »Kommt morgen wieder!« Und so ging es weiter und weiter und weiter. Am siebten Tag wurde Giacomo il Catalano Zeuge der Abweisung und Demütigung des Bildhauers.