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»Weißt du nicht, wer Messèr Michelangelo ist?«, fuhr er den Chef der Wache an.

Der Offizier zuckte mit den Achseln. »Gewiss weiß ich es, aber mein Dienst ist, auszuführen, was mir befohlen wird, und nicht weiter nachzudenken, warum!«

Michelangelo schluckte, doch der Kardinal fragte weiter. »Willst du damit sagen, mein Sohn, dass der Papst dir persönlich befohlen hat, Messèr Michelangelo abzuweisen?«

»Genauso ist es, Eminenz.«

Im Grunde hatte es Michelangelo schon am Ende der letzten Audienz beim Papst gewusst, aber er hatte nicht glauben wollen, dass ihn Julius II., der ihn so sehr gefördert hatte, plötzlich fallen ließ.

»Warte hier, ich rede mit Seiner Heiligkeit.«

Damit ließ der Kardinal Michelangelo stehen, der unschlüssig verharrte. Angst stieg in ihm auf, aber auch Zorn. Weshalb sprang der Papst so mit ihm um? Er war vom Pech verfolgt, gut, aber darunter hatte doch seine künstlerische Qualität nicht gelitten. Er hatte versprochen – und er würde es auch halten –, für Julius II. das schönste Mausoleum zu errichten, das je erbaut wurde. Wenn der Pontifex so sehr am Geld hing, sollte er sich doch in einer Schatztruhe und nicht in einem Grabmal von Michelangelo beisetzen lassen, dachte er verärgert. Als er gerade gehen wollte, kehrte der Kardinal zurück.

»Kommt mit, wir nehmen mit dem Heiligen Vater das Mittagsmahl ein. Er will aber bei Tisch nicht über Geld reden«, sagte der Dominikaner und führte ihn in ein kleines Esszimmer. Um einen runden Tisch saßen der Juwelier Crivelli, der Baumeister Bramante, Giuliano da Sangallo und natürlich der Papst. Er hob den Kopf.

»Schön, dass du mit Uns speist. Setz dich da hin«, sagte Julius II. mit bemühter Freundlichkeit. Michelangelo hatte das Gefühl, als stecke hinter der Schroffheit des Papstes ein schlechtes Gewissen, konnte sich aber diesen Eindruck nicht erklären. Er ließ sich zwischen Bramante und Crivelli nieder. Ein Diener schöpfte klare Rinderbrühe in die Teller vor den beiden Nachzüglern.

Bramante nahm das unterbrochene Gespräch über den Ablauf der Grundsteinlegung wieder auf. Michelangelo traute seinen Ohren nicht. Der Baumeister wollte den Grundstein nicht im Chorbereich legen, nicht dort, wo bereits die Fundamente und Wände des Ausbaus von Nikolaus V. standen und wo das Mausoleum aufgestellt werden sollte, sondern weit entfernt, außerhalb der Kirche! Diese Idee verwirrte ihn, sie war so absurd, dass er Schlimmes dahinter vermutete. Wenn die Arbeiten bei der Vierung begannen, dann würde sein Grabmal eher fertig werden als der Platz, wo es aufgestellt werden sollte. Mit dem Tod des Papstes entfiele auch der Zwang, es wirklich dort zu errichten, wo es geplant worden war. Ob sich der neue Papst dann den Wünschen seines Vorgängers verpflichtet fühlen würde, war höchst fraglich. Michelangelo begriff, worauf Bramante aus war: Er wollte Fakten schaffen und sein – Michelangelos – Mausoleum aus dem neuen Petersdom heraushalten. Darum ging es also! Hatte dieser verfluchte Kerl ihn nicht immer, wo er konnte, durch Anschläge und Sabotage behindert? Seit ihrer ersten Begegnung kämpfte der alte Fuchs mit allen Mitteln gegen ihn. Michelangelo hatte seinen Gegner unterschätzt. Warum nur hasste er ihn so gnadenlos, so unerbittlich? Aber wen interessierten schon die Gründe? Auf die Tatsachen kam es an.

»Weshalb legt Ihr den Grundstein nicht beim Nikolauschor?«, fragte der Bildhauer betont freundlich.

Der Architekt lächelte breit. »Kommt mich besuchen, mein Freund, wenn es Euch interessiert, dann will ich es Euch erklären. Ich glaube nicht, dass wir die wertvolle Zeit des Heiligen Vaters mit der Erörterung langweiliger Details der Bauplanung vergeuden dürfen.«

In dem nun eintretenden Schweigen fühlte der Juwelier Crivelli seine Stunde gekommen. »Verehrter Heiliger Vater, wie wäre es, wenn wir zur Feier der Grundsteinlegung der Tiara einige Edelsteine, nennen wir sie Peterssteine, hinzufügten? Ich habe da …«

»Nein!«, entgegnete der Papst unerwartet heftig. »Wir werden kein weiteres Geld ausgeben, weder für kleine noch für große Steine.«

Michelangelo war es, als hätte Julius’ Blick bei den letzten Worten kalt auf ihm geruht, bevor er sich wieder liebenswürdig dem Architekten zuwandte.

»Wie lange werdet Ihr benötigen, um Unsere Wohnung im Vatikanpalast fertigzustellen?«, fragte er. Es war allgemein bekannt, dass es für den Papst eine Qual und die Quelle täglichen Zornes bedeutete, in den Gemächern seines Vorgängers und Todfeindes Rodrigo Borgia zu leben, der sich Papst Alexander VI. genannt hatte.

Michelangelo hörte nicht mehr zu. Ein Abgrund hatte sich aufgetan, der ihn zu verschlingen drohte. Im Übrigen fiel es auch niemandem auf, dass er fortan schwieg. Es war, als gäbe es ihn nicht mehr. Er lernte das Gefühl kennen, in Ungnade gefallen zu sein. Noch geduldet, aber nicht mehr geliebt. Er hatte sich in Luft verwandelt. Am liebsten wäre er aufgestanden, aber das wäre ein Affront gewesen. Noch konnte er sich zwingen, kein Öl ins Feuer zu gießen, doch sein Jähzorn, seine terrebilità, verbrannte die Fesseln seines Verstandes. Er drohte zu explodieren. Ihm wurde heiß, sehr heiß. Sangallo hatte ihn gelehrt, dass man sich nichts anmerken lassen und niemandem zeigen durfte, was man dachte. Der Gedanke an diese Lektion bereitete ihm innerliche Schmerzen.

Endlich hob der Papst die Tafel auf, und die Gäste verabschiedeten sich.

»Tragt es mit Fassung«, raunte Bramante dem Bildhauer gut gelaunt zu. »Das Rad der Fortuna dreht sich ständig, und es wird sich auch wieder für Euch drehen. Wichtig ist, dass man bei Tische bleibt.«

Für Michelangelo waren die Worte des Mannes, den er für die Ursache all seiner Misshelligkeiten hielt, nichts als blanker Hohn.

Vom Papst hörte der Bildhauer fortan nichts mehr. Seine Gläubiger drohten, vor Gericht zu gehen. Eines Nachts wurde er in seiner Werkstatt überfallen und verprügelt. Nur Francesco, der eilig Hilfe holte, war es zu verdanken, dass er im wahrsten Sinne des Wortes mit einem blauen Auge davonkam. Nun stand es für Michelangelo fest, dass ihm Bramante sogar nach dem Leben trachtete. In seiner Not suchte er den Kardinal Catalano auf, nach dessen Nähe er sich doch immer gesehnt hatte. In seiner Gegenwart hoffte er, Kraft schöpfen und Trost finden zu können, so absurd das auch war, denn der Erzpriester hatte ihn seine Verachtung fühlen lassen.

Michelangelo traf den Kardinal im Studierzimmer in der Canonica an. Giacomo hörte ihm mit ernster Miene zu.

»Öffne dein Herz ganz Gott, dann wird alles gut. Stelle Gott über die Kunst, und du wirst zur wahren Kunst finden. Werde demütig, Michelangelo.«

»Ich will Euch immer noch malen.«

Giacomo lächelte fein. »Kommt Zeit, kommt vielleicht auch das.«

»Ich wollte mich von Euch verabschieden. Wenn ich in Rom bleibe, steht zuerst mein Grabmal und dann erst das des Papstes. Ich muss fort.«

Der Kardinal hielt ihm die Hand hin, die er lange und zärtlich küsste. Giacomo ließ es geschehen. Es war ein Abschied.

Auf dem Heimweg fühlte sich Michelangelo von einer Angst getrieben, die ihm nicht unbekannt war. Es war wie damals, als er aus Florenz geflohen war, weil es nach Lorenzos Tod den Medici an den Kragen gehen sollte. Und? Hatte er nicht auch da recht behalten? Keine Woche später waren die Medici tatsächlich gestürzt, Piero, Giovanni und Giuliano geflohen. Wer weiß, wie es ihm als Gefolgsmann der Medici zu dieser Zeit ergangen wäre! Nun fühlte er das erste Mal nach über zehn Jahren die gleiche Angst. Er konnte die groben Hände spüren, die sich um seinen Hals legten und zudrückten, die Knüppel, die ihn zu Tode prügeln würden, oder den Dolch, der seine Kehle durchschneiden würde. Ein Wunder, dass er den nächtlichen Überfall überlebt hatte. Auf ein zweites Mirakel wollte er nicht angewiesen sein. Eilig trat er in seine Werkstatt.