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An der Baugrube angelangt, kniete der Papst nieder und mit ihm alle Menschen, die sich hier versammelt hatten, Bramante eingeschlossen. Gemeinsam legten sie das Glaubensbekenntnis ab, so wie es die Kirchenväter auf dem Konzil von Chalcedon geformt hatten:

»Credo in unum Deum,

patrem omnipotentem, factorem caeli et terrae …

et exspecto resurrectionem mortuorum,

et vitam venturi saeculi. Amen.«

Und aus vielen Kehlen erscholl das ergriffene Amen als Antwort auf das »So sei es!« des Heiligen Vaters.

Bramante wollte, dass die Peterskirche wiederauferstehen würde, Stein für Stein: vitam venturi saeculi, als Auferstehung des Lebens. Der Papst bat Gott um Beistand bei dem großen Vorhaben, das sie nun beginnen wollten. Dann stieg er mit zwei Kardinaldiakonen behände die Leiter hinab, der Priester mit dem Weihwasser allerdings unter sichtlichen Mühen. Cardosso, Maffei und zuletzt Bramante folgten dem Pontifex in die Tiefe des Hügels. Nie zuvor hatte der Architekt einen solch großen Abstand zwischen sich und Julius II. gefühlt wie in dieser engen Baugrube. Zwar konnten sie sich fast berühren, doch ganz Priester, ganz Stellvertreter Christi im Ritus, vertieft ins Gespräch mit Gott, sah der Papst Bramante weder an, noch nahm er ihn wahr. Dieser Mann, durchschoss es Bramante, war mehr als der Mensch, er war wirklich Gottes Vikar auf Erden, mit der Gewalt begabt, zu lösen und zu binden. Diese Aura umgab ihn.

In das Fundament war bereits der Grundstein eingelassen, ein etwas über eine Elle langer, fast eine Elle breiter und drei Finger dicker, weißer Marmor. In den Marmor waren die Worte graviert: Papst Julius II. aus Ligurien hat 1506 im dritten Jahre seiner Regierung diese sehr verfallene Basilika wiederherstellen lassen. Julius segnete den Stein, und einer der beiden Kardinaldiakone besprengte ihn mit Weihwasser. Dann ließ der Goldschmied das Gefäß mit den Münzen in das vorbereitete Loch im Grundstein ein. Die Münzen enthielten auf der Vorderseite das Porträt des Papstes und auf der Rückseite ein Bild davon, wie der fertige Neubau dereinst aussehen sollte – eine von zwei schlanken Glockentürmen eingerahmte Kuppel, die einen antik anmutenden Tempel beherrschte. Nachdem Julius der Grube entstiegen war, segnete er die Menschen, die immer noch knieten, und erteilte ihnen vollkommenen Ablass von ihren Sünden.

»Sanctus, sanctus, sanctus

Dominus Deus Sabaoth

Pleni sunt coeli et terra gloria tua

Hosanna in excelsis.«

Danach betete der Papst erneut vor dem Kreuz und erhob sich anschließend. Getragen von einer wunderbaren Leichtigkeit, wie Bramante schien, begab sich der Papst singend zurück in den Vatikan:

»Benedictus qui venit in nomine Domini.

Hosanna in excelsis.«

Mit Tränen in den Augen schaute der Baumeister dem Pontifex nach. Wie oft hatte er schon daran gezweifelt, diesen Tag wirklich zu erleben! Kurz bevor Julius II. an der mächtigen Säule vorbeikam, in deren Kugel auf der Spitze sich unter dem Kreuz die Asche seines heidnischen Namenvetters, des Weltenherrschers Julius Cäsar, befand, stimmte die Prozession mit ihm das Agnus Dei an.

»Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis.

Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis.

Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem.«

Gib uns Frieden. Und genügend Kraft gegen den Hass, den ein so großes Werk notwendigerweise hervorrufen muss, dachte Bramante. Vielleicht hatte er dem alten Herrn im Himmel ja Unrecht getan. Denn letztlich hatte er doch gut für ihn gesorgt, obwohl er sich nicht an Gottes Gebote hielt und keine Zurückhaltung im Lästern kannte – zumindest bis Lucrezia in sein Leben getreten war. Vielleicht hatte Sangallo recht, und nicht er baute, sondern Gott durch ihn. Die feierliche Stimmung, die der Papst erzeugt hatte, würde er nun vertiefen, denn die Römer liebten es, sich in erhabenen Gefühlen zu wiegen wie in einem guten Rausch. Bedächtig wandte er sich den Besuchern, den Maurern und den Schaulustigen zu. Er hob den Arm, und sogleich wurde es leise. Das Herz tat ihm vor Freude weh, als er nach einem Räuspern seine Rede begann.

»Freunde, Römer, Christen. Das Schwerste ist vollbracht. Der Heilige Vater kann nicht mehr zurück. Und er will es auch gar nicht. Weil hier Gottes und sein Wille Gestalt annehmen. Für seine Nachfolger werden wir andere Gründe schaffen, damit der Bau fortgeführt und eines Tages uns und unser Leben verändert haben wird. Gott will es! So gut, wie wir bauen, werden wir leben. Hier und heute beginnt eine neue Zeit. Das himmlische Jerusalem lebt auf in Rom. Die julianische Epoche hat begonnen!«

Wie ein geschickter Schauspieler blickte Bramante in die Runde und rieb sich dann in gespielter Überraschung die Augen. »Sehe ich recht, oder täuschen mich meine Augen? Was steht ihr Bauleute, ihr Helden dieser neuen Zeit, noch so blöde herum? Krempelt endlich die Ärmel auf, spuckt in die Hände, jetzt wird abgerissen und gebaut. Das Ewige Rom entsteht!«

Jubel brandete auf, und Bramante spürte die Liebe in Imperias Blick, der auf ihm ruhte. Das versetzte ihm einen Stich in seiner Brust, denn das Glück, mit ihr zu leben, hatte er gleichfalls im Fundament des Petersdomes versenkt. Mit einem schmerzlichen Lächeln erkannte er plötzlich die Vorsehung, die dafür gesorgt hatte, dass auch die Liebe im Grundstein des neuen Tempels der Tempel nicht fehlte. Es war seine Liebe, und er hatte sie geopfert.

Rom ächzte unter der Hitze der Sonne, die den stahlblauen Himmel so überlegen beherrschte wie Donato Bramante die Baustellen der Ewigen Stadt. An Tagen wie diesen glaubte niemand, dass es noch einmal regnen oder gar kalt werden könnte. Schon gar nicht Bramante, der von der Außenwelt ohnehin kaum noch etwas mitbekam, weil er sich inzwischen in einem komplett eigenen Kosmos bewegte. Bauen war so, als ob sich die Berge auftaten und der Mensch den Himmel in den Händen hielt. Ein existenzielles Abenteuer.

Der Architekt genoss sein neues, altes Leben aus vollem Herzen und mit ganzer Seele. Atemlos pendelte er zwischen den zahllosen Bauplätzen hin und her. So viele Menschen, die ihn um Rat fragten, die auf seine Anweisungen warteten oder ihn um eine Stelle, Fürsprache oder Vergünstigung baten. Von der Via Giulia ging es zum Petersdom, von dort weiter zum Vatikanpalast, der völlig verändert werden sollte, dann weiter zum Belvedere und schließlich zum neuen Palazzo des Kardinals Riario, der sich Stockwerk für Stockwerk in der Nähe des Tibers erhob. Dann waren noch die Arbeiten an einer Wasserleitung, die dringend erneuert werden musste, zu inspizieren.

Abends versäumte Bramante keines der Feste, die Kardinäle und Bischöfe in ihren Palazzi gaben. Er hatte ein Alter erreicht, nach dem nur noch der Tod folgen konnte. Sogar die Orsini, Conti, Colonna und die anderen großen römischen Adeligen luden ihn liebenswürdig zu Mahl und Fest ein. So entwickelte er eine geradezu beängstigende Allgegenwart.

Er hatte noch ein erfrischendes Bad genommen, obwohl er den Schweiß des Architekten für ein Aphrodisiakum hielt, und sich teuer gewandet, bevor er sich zum Palazzo des Kardinals Giovanni de Medici in Sant’Eustachio begab, der keine Viertelstunde von seinem Anwesen entfernt lag.

Bramantes Haus hatte sich in den letzten Wochen in den Weltgeneralstab des Bauens verwandelt. Obwohl sich Ascanio zu einem tüchtigen Haushofmeister und Zerberus entwickelt hatte, der den Besucherandrang streng regulierte, platzte das Haus fast den ganzen Tag lang aus allen Nähten. Seine ein wenig seltsame famiglia war dagegen überschaubar, und er liebte sie genau so, wie sie war. Antonio wuchs wie von selbst in die Funktion eines Stellvertreters und Chefs der Kanzlei hinein. Und Lucrezia mauserte sich allmählich zur Dame des Hauses. Dazu kamen noch fünf Diener und eine Köchin, ein paar Zeichner und Schreiber. Im Grunde drängten ihn nur die äußeren Umstände dazu, über den Umzug in einen größeren Palazzo nachzudenken. Die Absurdität offenbarte sich von Tag zu Tag mehr: Er errichtete den größten Tempel der Welt und lebte selbst in einer besseren Hundehütte. Doch er kam einfach nicht dazu, sich umzusehen und die nötigen Vorkehrungen zu treffen. So sagte er wenigstens. Insgeheim nutzte er die Vielzahl der Arbeiten, um sich dahinter zu verstecken. Es war zwar eine leise, aber durchdringende Stimme in seinem Innern, die ihn davor warnte, in ein pompöseres Gebäude umzuziehen. Fortuna anzubeten oder ihr blind zu vertrauen, waren zwei völlig verschiedene Dinge. Das Erste war notwendig, das Z weite leichtsinnig.