Der vom Zirpen der Zikaden erfüllte Abend schenkte den Römern eine leichte Abkühlung und deshalb eine kleine Erleichterung. Die Luft war schwer und vom Tage gesättigt. Menschen ließen sich vor ihren Häusern oder vor den Tavernen und Osterien nieder, tranken, aßen, erzählten, sangen und tanzten. Die entspannte Ausgelassenheit des Abends umfing sie alle. Musiker mit Lauten und Blasinstrumenten zogen einzeln oder in kleinen Gruppen von Gastwirtschaft zu zufällig entstandenen kleinen Gesellschaften, um ihre Dienste feilzubieten. Und wenn ihre Lieder ausreichend frech und die Tanzmelodien beschwingt genug waren, wurden sie gern in Anspruch genommen. Narren und Gecken wetteiferten mit den Frauen in der Gewagtheit der Tänze. Nach einem sengenden Tag wollte sich jedermann nur vergnügen und das Leben genießen, das erst in diesen Stunden zu beginnen schien.
39
Rom, Anno Domini 1506
Den alten Palazzo des Medici-Kardinals illuminierten bereits Fackeln, obwohl die Sonne noch hell genug schien. Das Flackern und die stimmungsvollen Schatten, die das Feuer warf, das mit seinem lauten Prasseln die Sonne vergessen machte, verliehen dem Gebäude eine trotzige Gemütlichkeit, dachte Bramante. Am Eingang hatten sich neben einem großen Bronzekessel, in dem Holzkohle brannte, ein paar Musikanten postiert, die kleine, freche Lieder trällerten und die Laune der Eintretenden hoben.
Im Vestibül traf er auf Imperia. Sein Blick fiel auf das weiße Seidenunterkleid, das am Busen aus dem leicht geöffneten Dekolleté plusterte, als wollte sich der warme, sinnliche Körper aus der Kleidung winden. Wie gern hätte er ihre Brüste geküsst. Ärgerlich stellte er fest, dass sie ihn immer noch erregte. Er bezwang sich und verneigte sich artig. »Wo ist Agostino?«, fragte er möglichst sachlich.
»Wir treffen uns oben. Du weißt doch, dass wir nicht gemeinsam eintreffen, solange …, ach, mögen wir noch lange getrennt zu Festen gehen!«, seufzte Imperia.
Bramante wusste, welche Rücksicht der Bankier seiner todkranken Gemahlin angedeihen ließ. Er hatte boshaft darauf angespielt und war von Imperia zurechtgewiesen worden. »Margarita Saraceni ist eine großartige Frau«, sagte er rasch.
»Oh ja, das ist sie. Und eine großzügige obendrein.« Imperia musterte ihn von Kopf bis Fuß und begann zu schmunzeln. Ihr Blick glitt über seinen rosafarbenen Mantel mit dem Goldsaum. Die Samthosen waren wie das weiße, mit Edelsteinen bestickte Wams aus Atlas mit einem Silberstoff gefüttert. Auf dem Kopf trug er ein Barett mit einer großen Feder. »Du bist gekleidet wie ein Geck, aber es steht dir«, sagte Imperia lächelnd. Bevor er etwas erwidern konnte, schlug sie sittsam die Augen nieder. »Würdest du eine Dame ins piano nobile begleiten?«
Bramante bot ihr seinen Arm an, und sie legte ihre Hand so leicht darauf, dass er meinte, eine Feder auf dem Unterarm zu balancieren. Eine große Freitreppe führte in die obere Etage. Auch auf dem Treppenabsatz standen drei Musiker, die für Unterhaltung sorgten.
An ihnen vorbei stürmte nun ein kleiner, runder Mann in Wams und Kniebundhose aus bunten Flecken mit einer Zipfelmütze auf dem Kopf, deren Enden mit kleinen Glöckchen versehen waren. In dem runden, weichen Gesicht standen graue Bartstoppeln, und eine riesige Knollennase verwischte den unangenehmen Eindruck der winzigen, boshaften Augen.
Gonella war der Spaßmacher des Kardinals. Er schlug sich beim Laufen beständig an den Kopf und brüllte dabei laut: »Grundgütiger Himmel, wo hast du das ganze verfressene Pack in Rom nur aufgetrieben? Lasst mich zu meinen Töpfen, lasst mich zu meinen Töpfen, bevor sie leer gefressen sind!« Die derben Scherze Gonellas waren beliebt, man lachte gern über ihn. In der Schnelligkeit des Essens und in den Mengen, die er vertilgte, konnte es in der Tat niemand mit ihm aufnehmen. Wenn er ganze Hühnchen in seinen riesigen Mund steckte, hatte man den Eindruck, dass gleich darunter der Magen begann und der Narr sich nicht mit Zähnen und Speiseröhre aufhielt.
»Gib Ruhe, du alter Weinschlauch!«, rief ihm Bramante lachend nach.
Gonella, der bereits drei Stufen an ihm vorbei war, blieb wie vom Donner gerührt stehen, drehte sich um, fasste ihn scharf ins Auge und pumpte sich mit Luft auf. »In den Staub mit dir, ich bin divino!«
Der Architekt lachte laut auf. »Du? Du und göttlich? Da hast du alter Weinschlauch etwas verwechselt, du bist di vino.«
»Was bist du doch für ein Narr!«, schnarrte Gonella mitleidig. »Ob divino oder di vino, das ist doch dasselbe, wo mein Vater Bacchus war.«
Um sie hatte sich ein Kreis neugieriger Gäste gebildet, die über Gonellas Antwort lachen mussten. Er ließ Bramante keine Zeit zur Erwiderung, sondern bedachte ihn weiter mit seinem scherzhaften Spott. »Aber du, du kommst vom heiligen Petrus und hast doch keinen Schlüssel zur Weisheit abbekommen.« Damit ließ er den Architekten stehen und stürmte weiter die Treppen hinauf, Gäste unsanft zur Seite schiebend und dabei rufend: »Ja, ja, meine lieben kleinen Fleischtöpfe, hört auf zu jammern, Papa Gonella kommt mit seinem lieben, großen Maul gleich zu euch!«
»Nur ein Narr streitet sich mit einem Narren«, sagte Imperia.
»Und ein verliebter Narr?« Bramante versuchte ein unschuldiges Lächeln, das recht zärtlich geriet.
»Steckt sein bestes Stück am besten in Eiswasser, um wieder klar denken zu können«, sagte Imperia streng. »Mich musst du nicht beeindrucken, Donato!«
Sie erreichten das piano nobile und traten in den großen, mit kostbaren Intarsien geschmückten Saal. Vor ihren Augen wogte ein Menschenmeer, durch das Imperia Bramante mit dem leichten Druck ihres Armes dirigierte. So kämpften sie sich zur Mitte des Saales durch. Dort befand sich ein Podest, auf dem sich zur Freude der Zuschauer zwei Dichter in einem Wettstreit im Stegreifdichten maßen. Als Bramante sich gerade über eines dieser Gedichte amüsierte, spürte er, dass Imperia ihren Arm aus dem seinen löste. Gleichzeitig vernahm er die Stimme Agostino Chigis.
»Du erlaubst, mein Freund, dass ich dir die schöne Dame entführe!« Der Bankier wartete nicht auf eine Antwort, sondern verschwand mit seiner Geliebten im Menschenmeer. Bramante schloss kurz die Augen.
»Wollt Ihr mir bitte folgen, Messèr«, flüsterte ihm ein livrierter Diener zu. »Seine Eminenz erwartet Euch!«
Er führte den Architekten zu einer Wand des Saales und öffnete eine kaum wahrnehmbare Tapetentür. Durch einen schmalen, dunklen Gang erreichten sie ein gemütliches studiolo. An den Wänden hingen Bildchen unzüchtigen Inhalts, aber sehr kunstfertig gezeichnet.
Kardinal Giovanni de Medici thronte auf einem roten Lehnstuhl. Vor ihm stand ein kleiner Tisch, auf dem eine wertvolle Handschrift und ein Leseglas lagen. Neben dem Kirchenfürsten stand Giuliano da Sangallo. In der äußersten Ecke des Zimmerchens entdeckte Bramante einen hageren Bischof mit einem langen Gesicht. Er wirkte skrupellos und durchsetzungsfähig. Ansonsten sah man ihm an, dass er nicht an der Unterhaltung teilnehmen sollte, sondern nur als Zuhörer geladen war. Dieser Zaungast beunruhigte Bramante. Doch zunächst verneigte er sich vor dem Kardinal und küsste den Ring mit dem diamantenen Kreuz, den der Kirchenfürst am rechten Ringfinger trug.