»Heiliger Vater, verzeiht diesem Handwerker seinen Fehlgriff. Es ist nicht seine Schuld. Es ist der Mangel an Bildung und Kultur. Ihr wisst doch, wie der Kunstpöbel ist. Menschen ohne Erziehung, die nur zu reden verstehen, wenn man sich mit ihnen über ihre Werke unterhält. Ansonsten ist ihre Rede nur eitel, blöde und voller Fehler.«
Julius II. hob den Kopf und fixierte den kleinen Bischof, der wohlig und weich, vor allem aber gut aufgehoben in seinem Fett stand, mit einem eisigen Blick. Dann erhob er sich und blieb so kurz vor dem Bischof stehen, dass dessen Nasenspitze sich fast in die päpstliche Brust bohrte.
»Was erlaubst du dir?«, brüllte Julius II. außer sich. »Du wagst es, diesem Manne Dinge zu sagen, die Wir ihm selbst nicht gesagt haben würden? Du selber bist ein Mensch ohne Erziehung, du bist ein elender Kerl, nicht er. Aus Unseren Augen mit deinem Ungeschick!«
Innerlich atmete Michelangelo auf – der Papst hatte einen Weg gefunden, seinen Zorn auf eine Weise zu entladen, die nicht ihn traf. Der arme Bischof stand da wie vom Donner gerührt. Ärgerlich wedelte der Papst mit der Hand und winkte zwei Diener herbei, die den erstarrten Geistlichen aus dem Saal zogen.
Dann richtete Julius seinen ausgestreckten Zeigefinger auf Michelangelo. »Und du«, befahl er ihm, »du machst dich umgehend daran, Uns ein Reiterstandbild zu errichten. Es soll groß sein, sehr groß und furchterregend. Wir wollen es vor San Petronio aufstellen, damit diese rebellische Stadt niemals mehr vergisst, wer ihr Herr ist – und du auch nicht.«
Das war zwar nicht das, was sich Michelangelo gewünscht hätte, aber er war glimpflich davongekommen und wollte sich gleich an die Arbeit machen. Verzeihung hatte er nicht erlangt, womit auch nicht zu rechnen war, aber Bewährung.
Florenz, Anno Domini 1506
Zur gleichen Zeit sah sich Bramante in Florenz in der komfortablen Werkstatt im Stadtteil Santa Croce die Werke eines jungen Malers an und war ergriffen. Weder Sangallo noch sein alter Freund Leonardo in seinen Briefen hatten übertrieben, als sie das Talent des jungen Mannes priesen. Diesem Raffael aus Urbino hatten die Götter alles geschenkt, was sie zu geben vermochten: Schönheit, Anmut, Intelligenz und Talent. Dieser junge Meister würde eines Tages Bramantes Stellung in der Bruderschaft einnehmen. Er hatte seinen Nachfolger gefunden! Hinzu kam, dass er das ganze Gegenteil von diesem schrecklichen Michelangelo war. Der Architekt beschloss, sich darum zu kümmern, dass Raffael den Auftrag bekam, die Decke der Sixtinischen Kapelle auszumalen. Und nicht nur das! Bramante fühlte sich von einem tiefen Glück durchströmt. Vor seinem inneren Auge erstand das Ewige Rom, roma aeterna, und alles geschah nach seinen Plänen, von den Straßen und Wasserleitungen der Stadt über Paläste und Kirchen bis hin zum Vatikan und dem neuen Petersdom. Julius war ein neuer Salomo, er ein neuer Hiram, das neue Jerusalem nahm Gestalt an. Und dieser junge Mann besaß die malerische Begabung, die Bramante fehlte. Durch ihn würde er Michelangelo fernhalten können, und Raffael würde das schaffen, was seinem Talent und dem Können seiner Freunde und Mitarbeiter versagt blieb. Und als ob das alles noch nicht genügte, waren sie obendrein noch Landsleute. Sie würden sich also prächtig verstehen!
»Beendet in Ruhe Eure Arbeiten, nehmt aber nichts Neues mehr an. Bald bedarf man Eurer in Rom«, sagte er beim Abschied. Dann ritt er nach Bologna zum Papst zurück.
Rom, Anno Domini 1506
Türen wurden aufgerissen und schlugen zu, Diener riefen etwas oder schimpften, Lucrezia lachte hell, die alltäglichen Geräusche des Morgens brandeten an Antonios Ohr und brachten ihm schlagartig zu Bewusstsein, dass er als Letzter aufwachte und einfach verschlafen hatte. Schnell griff er nach der grauen Kniebundhose, die auf dem Holzschemel neben seinem Bett lag, stopfte das weiße Hemd hinein, in dem er geschlafen hatte, schlüpfte in die Lederschuhe und streifte noch im Verlassen des Raumes ein blaues Wams über. Die florentinische Kappe aus rotem Filz zog er über den Kopf, während er die Treppe hinunterrannte.
Im Flur stand Ascanio und hielt Lucrezia die Tür auf. Wunderschön sah sie aus in dem schlichten schwarzen Samtkleid, das sie für die Morgenandacht in San Silvestro angelegt hatte. Antonio seufzte erleichtert. Er würde sie noch erreichen, bevor sie das Haus verließ. Auf der letzten Treppenstufe geriet er ins Stolpern und fiel Lucrezia vor die Füße. Er schlug hart mit der Stirn auf, rieb sich fluchend die schmerzende Stelle und erhob sich mit hochrotem Kopf. Ascanio zog sein Messer und trat auf ihn zu, worauf Antonio verblüfft zurückschreckte. Dann presste der Leibwächter ihm die flache Klinge an die Stirn. Wohltuend kühlte der Stahl die geschundene Stelle und verhinderte, dass sie zur Beule anschwoll.
»Falschen Eifer bestraft der liebe Gott sofort«, sagte Lucrezia schmunzelnd. Mit einem spöttischen Lächeln nahm sie seine in ihrer Zusammenstellung etwas abenteuerlich anmutende Kleidung zur Kenntnis. »Für den Karneval ist es noch ein bisschen zu früh, lieber Antonio!«
»Karneval? Ich will dich zur Morgenandacht begleiten!« Aus den Augenwinkeln nahm der junge Architekt wahr, dass Ascanio ärgerlich das Gesicht verzog. Schon seit einiger Zeit hatte er bemerkt, dass der Kriegsmann dem jungen Mädchen den Hof machte, was Antonio als völlig unangebracht empfand.
»Dass ich bei deinem gottesfürchtigen Aufzug nicht gleich darauf gekommen bin!«, lachte Lucrezia und schüttelte ihren von einem Schleier verhüllten Kopf.
»Ist es gute Christentat, jemanden zu verspotten, den die Einsicht zum Gebet treibt?«
»Die Einsicht? Die Einsicht!« Sie lachte laut auf. »Dann kommt, frommer Messèr, und lasst uns Christus und unserer Seele gedenken. Aber wehe, Antonio, du sprichst von etwas anderem als von Gott!«
Von diesem Tag an begleitete Antonio Lucrezia morgens zur Kirche, obwohl er, der bis spät in die Nacht arbeitete, dafür sehr früh aufstehen musste. Aber schlafen konnte er noch genug im Leben. Er genoss jede Minute mit ihr. Die Andacht und das anschließende Frühstück waren für ihn die Höhepunkte des Tages. Anschließend begab er sich zu den Baustellen, kontrollierte die Arbeiten, besprach mit den Meistern der Steinmetze und der Maurer, was gebraucht wurde, verhandelte mit den Zimmerleuten, Schreinern und Schlossern über die Errichtung von Kränen, Baugerüsten und Verschalungen und machte sich Notizen über dringend benötigte Baustoffe. Die Beschaffung von Marmor, Kalk, Puzzolanerde, Holz lag zumeist in den Händen der Bauunternehmer. Maffeo Maffei zog mit seinen Leuten den Südwestpfeiler hoch, während ein alter Maurermeister, den alle nur den einarmigen Baggio nannten, weil ihm vor vielen Jahren ein herabstürzender Block den linken Unterarm zerquetscht hatte, mit seinen Leuten den dazugehörigen Konterpfeiler errichtete.
Als Antonio auf der Baustelle ankam, waren die Gesellen gerade dabei, den Beton zwischen das Mauerwerk zu gießen. Er schaute auf die hellgraue Masse zwischen dem Mauerwerk und fuhr kurz mit der Hand hinein. Seine Miene verfinsterte sich.
»Sofort aufhören!«, befahl er.
Die Maurer schauten den jungen Mann verwundert an. Der einarmige Baggio, von einem Gesellen gerufen, kam vom Mischplatz herbeigerannt. Auch Maffeo trat neugierig hinzu.
»Wer wagt es, auf meiner Baustelle Befehle zu erteilen?«, brüllte Baggio und wischte sich mit einer zornigen Handbewegung die grauen Strähnen aus der niedrigen Stirn. Antonio wartete, bis er neben ihm stand. »Erstens ist es nicht Eure Baustelle, sondern die des Papstes und des Baumeisters Bramante, dessen Stellvertreter ich in seiner Abwesenheit bin. Und zweitens erklärt mir, was das sein soll.«
»Kennt Ihr das etwa nicht? Das Opus caementitium?« Antonio nickte. Baggio streckte sich und schaute ihn überheblich an. »Ihr erkennt ja nicht mal besten Guss aus Puzzolanasche und Kalksteinen, mit Ziegenmehl vermengt, wenn Ihr es vor Augen und an den Händen habt!«