»Ich nehme dich wieder in meine Dienste«, sagte Antonio laut. Die anderen fünf Bauunternehmer folgten dem Beispiel des Grauhaarigen – keiner von ihnen wollte tot im Fluss schwimmen. Dann nahm Antonio Paolo beiseite und ließ ihn wissen, dass er am nächsten Tag mit seinen Leuten wieder bei Agostino Chigi arbeiten könne. Und er stünde von nun an in seiner Gunst.
Auch der Winter schien sich Antonio zu beugen, denn er verlief so mild, dass die Bauarbeiten ohne Unterbrechung fortgesetzt werden konnten. Bald überragten die Vierungspfeiler an Höhe zwei Männer und waren eingerüstet. Zwei Kräne beförderten die schweren Kübel mit dem Puzzolanguss in die Höhe, aber auch Steine und Mörtel für das Mauerwerk. Durch die Kämpfe, die er bestanden, und die Härte, die er gezeigt hatte, war aus dem Jüngling Antonio da Sangallo ein Mann geworden. Nur in einer Beziehung blieb er zurückhaltend, ja fast schüchtern, nämlich in seinem Verhalten Lucrezia gegenüber, die er von Tag zu Tag mehr liebte. Er begann, sich nach ihrer Zärtlichkeit zu sehnen. Wenn ihn Baldassare Peruzzi mit in ein Bordell nehmen wollte oder zu einem amourösen Abenteuer einlud, lehnte Antonio entschieden ab, denn er hatte das Gefühl, sich zu beschmutzen und Lucrezias unwürdig zu werden. Unterdessen genoss er es, wenn sich ihre Hände wie zufällig berührten, weil sie ihre Finger nach demselben Teller oder demselben Becher bei Tisch oder nach der Tür ausstreckten. In diesen Momenten flog ein kleines Lächeln über Lucrezias Lippen, und sie errötete bezaubernd. Ascanio hingegen wurde immer einsilbiger. Man merkte wohl, dass er litt. Aber für dieses Leiden hätte niemand eine Abhilfe gewusst.
43
Rom, Anno Domini 1507
Der Frühling kam früh in diesem Jahr und mit großer Wärme. Zeitiger als sonst trug der Oleander seine schönen länglichen Blüten an den schlanken Ästen und hatte die Straßen in Alleen aus Rot, Rosa und Weiß verwandelt, als eine Nachricht ganz Rom in Aufregung und emsige Tätigkeit versetzte. Selbst die Bauarbeiten am Petersdom wurden unterbrochen, weil man die Arbeiter für das Herausputzen der Stadt benötigte.
In den frühen Morgenstunden des 27. März begaben sich Antonio, Lucrezia und Ascanio in Begleitung von Baldassare Peruzzi zum Ponte Mollo. Sie hatten den Campo Marzio kaum erreicht, da fanden sie sich auch schon in einer dichten Menschenmenge wieder, die auf dasselbe zustrebte wie sie selbst. Und dann erschien er: Julius II., der Triumphator, der als zweiter Cäsar siegreich in Rom einzog, von allen Römern überschwänglich begrüßt. Hinter dem Papst ritten die Kardinäle, deren rote Mozetten sich im leichten Frühlingswind bauschten. Julius II. war wie ein Engel des Friedens ganz in Weiß gehüllt. Es war ein herrlicher Anblick!
Lucrezia balancierte auf den Zehenspitzen, und als sie endlich Bramante zwischen den vielen Reitern im Zug entdeckte, stieß sie einen kleinen freudigen Schrei aus. Im Gedränge der jubelnden Menschen wurde sie nah an Antonio geschoben, dem der sanfte Druck ihres jungen Körpers fast den Atem nahm. Auch ihr schien es zu gefallen. Er wagte nicht, ihr in die Augen zu schauen, doch heimlich und schnell fanden sich ihre Hände. Ihre Finger streichelten sich und kämpften miteinander, bis Lucrezia seine Hand schließlich losließ, ihn küsste und ihm ins Ohr flüsterte: »Betrüge mich niemals!«
»Niemals«, hauchte er, überwältigt vor Glück. Dann umarmten sie sich kurz. Als die Menge das Laudate anstimmte, streifte Antonios Blick das düstere Gesicht Ascanios. Doch dann war er wieder bei Lucrezia. Vor der Schönheit ihres Lächelns zerstob alles andere im Staub der Bedeutungslosigkeit. Ich muss sie vor dem Schmutz der Welt beschützen, dachte er und schwor sich, das immer zu tun.
Spät in der Nacht und vollkommen aufgewühlt kehrten Lucrezia, Antonio und Ascanio nach Hause zurück. Aber an Schlaf war nicht zu denken, denn kurz nach ihnen kehrte auch Bramante heim. Sie begrüßen einander stürmisch. Lucrezia fiel ihrem »Vater« wohl tausendmal um den Hals und rief, wie froh sie sei, dass er gesund zurückgekehrt war. Der Architekt drückte seinen Stellvertreter Antonio fest an die Brust und lachte Ascanio voller Dankbarkeit an, weil er sein Haus gut gehütet hatte. Die Diener wurden geweckt und angewiesen, Brot, Schinken, Gemüse, gebratenes Fleisch und Wein aufzutischen. Alle hatten großen Appetit und vor allem eine unbändige Freude daran, nach der langen Trennung ausgiebig miteinander zu reden. Im Flur stieß Antonio mit Ascanio zusammen.
»Wir lieben sie wohl beide«, sagte er. Ascanio antwortete nicht und wollte weiter, doch der Baumeister hielt ihn fest. »Wer auch immer sie von uns beiden bekommt, wir wollen sie doch ohne Groll aufeinander beschützen wie eine kleine Schwester.« Der Leibwächter schaute ihm einen Moment lang prüfend in die Augen und sagte dann mit belegter Stimme: »Wahr ist, dass ich sie in mein Herz geschlossen habe. Wahr ist auch, dass man sie vor dem Dreck der Welt bewahren muss. Aber besser ist es, dass du sie glücklich machst. Was soll ein Kriegsmann wie ich mit einem jungen Mädchen? Irgendwann wird mich die Spitze eines Rapiers treffen oder ein Schwertstreich niederstrecken. Aber du, du kannst ihr ein glückliches Leben bieten, weil du ein großes Haus führen wirst. Weshalb habe ich dir wohl geholfen?«
Antonio sah ihn erst überrascht, dann dankbar an, bevor sie beide in den kleinen Saal zurückkehrten, in dem inzwischen aufgedeckt worden war. Während des Mahles ließ sich Bramante haarklein alles berichten, was in seiner Abwesenheit geschehen war.
Am nächsten Tag begaben sich Antonio und Bramante direkt zur Baustelle bei der Peterskirche. Ascanio und Lucrezia beschlossen, sich den Triumphzug des Papstes, der in dem Kloster bei Santa Maria del Poppolo übernachtet hatte, anzusehen. Die Stadt war auf eine geradezu heidnisch anmutende Weise herausgeputzt. Überall hatte man aus Holz Triumphbögen errichtet, auf dem das Motto Cäsars stand: veni, vidi, vici – ich kam, ich sah, ich siegte.
Als Bramante und Antonio den Ponte Sant’Angelo bereits halb überquert hatten, wies der Architekt seinen Assistenten auf einen Triumphwagen vor der Engelsburg hin, der mit vier weißen Rossen bespannt war. Auf dem Wagen standen zehn als Genien verkleidete junge Frauen, die den Papst mit Palmenzweigen grüßten. Vorn an der Spitze des Wagens thronte ein Erdball, über dem sich eine Eiche mit goldenen Früchten in den Himmel erhob. Die Eiche galt als Sinnbild der della Rovere, der Familie, aus der der Papst stammte.
Bald darauf standen Bramante und Antonio im Petersdom in der Nähe des Durchgangs zur Kapelle der heiligen Petronilla. Von achtundzwanzig Kardinälen gefolgt, betrat Julius II. die Basilika und schritt feierlich zum Hauptaltar. Vor dem Grab des Apostelfürsten kniete er nieder. Alle Anwesenden sanken auf die Knie. Der Papst führte ein langes Zwiegespräch mit Gott. Dann erhob er sich und wandte sich um.
»Nun, nachdem Wir unversehrt zurückgekehrt sind, haben Wir alle Ursache, das Tedeum anzustimmen«, rief er und begann zu singen: »Te Deum laudamus. Te Dominum confitemur. Te aeternum patrem omnis terra veneratur …«
Der Gesang aus vielen Hundert Kehlen schwang sich über die Köpfe hinweg bis zum Dach der alten Kirche. Der ganze Raum schien nur noch aus Klang zu bestehen. Bramante zog Antonio an sich und schrie ihm, gegen den Gesang ankämpfend, ins Ohr: »Und nun werden wir die anderen beiden Vierungspfeiler setzen!«
»Aber dazu müssen wir die Kirche abbrechen!«, gab Antonio zurück und riss erstaunt die Augen auf.
»Genau das werden wir tun – dieses alte Gemäuer niederlegen, um einen wirklichen Tempel zu errichten!« Bramante war außer sich vor Freude. »Das soll mein Tedeum sein.«