Выбрать главу

Bramante dachte an den Palazzo, an die villa suburbana vor den Toren Roms, zwischen dem Borgo und Trastevere gelegen, die Baldassare Peruzzi für Chigi errichtete. Wie praktisch, dachte Bramante, der, unersättlich, wie er war, Peruzzi um diesen lukrativen Auftrag beneidete. So blieb es Imperia und Agostino erspart, in den Räumen zu leben, in denen er zuvor mit seiner Frau gewohnt hatte. Sie konnten neu anfangen, ohne auf Schritt und Tritt mit der Vergangenheit konfrontiert zu werden. »Du hast mir nicht geantwortet. Wirst du ihn heiraten?«, drang er in sie.

»Warum suchst du dir nicht eine Frau, Donato?«

Die Frage verletzte ihn. Weshalb sollte er heiraten? Eine, die er nicht liebte und mit der er ein paar schöne Stunden verbringen konnte, fand er auch im Etablissement der Petronilla.

»Du gibst eine gute Partie ab, und ein bisschen Ruhe in deinem Leben würde auch nicht schaden«, setzte Imperia hinzu.

»Warum willst du mich unbedingt verehelichen?«, fragte er ärgerlich. Aus welchem Grund quälte sie ihn? Sie wusste doch, dass er nur sie liebte.

»Weil jemand auf dich aufpassen muss, damit du besser mit deinen Kräften wirtschaftest.«

»Hast du etwa Angst um mich?« Wieder spürte er ihren Arm auf dem seinen.

»Nein, nur um unser Projekt, um Neu Sankt Peter.«

Er unterdrückte ein Lachen, das angesichts der Umstände nur falsch hätte verstanden werden können. Denn so bescheiden Imperia auch auftrat, so dezent sie sich im Hintergrund hielt und so verschleiert sie war – die römischen Klatschproduzenten hatten sie doch unter den Trauernden entdeckt und würden bald genüsslich die Nachricht verbreiten, dass Chigis Geliebte die Frechheit besessen hatte, zum Begräbnis seiner Frau zu erscheinen.

»Darum sorge dich nicht, Imperia. Antonio da Sangallo wird mein Erbe antreten und das große Werk beenden«, antwortete er unwillig. Dann standen sie vor dem Grabmal und vor Agostino Chigi. Beide wussten, dass sie mit Argusaugen beobachtet wurden, nicht das geringste Detail würde den Spionen der Öffentlichkeit entgehen. Auf Bramantes Arm gestützt, trat Imperia zu ihrem Geliebten.

»Mein herzliches Beileid, Messèr Chigi. Der gute Gott und die Jungfrau Maria werden Eure Frau im Himmel persönlich willkommen heißen. Der Himmel ist nun reicher, die Erde ärmer.« Sie deutete einen Knicks an.

Tief bewegt dankte der Bankier ihr und seinem treuen Freund Donato Bramante. Und dann sagte er leise zu Imperia gewandt: »Der Himmel sorgt für uns.«

44

Rom, Anno Domini 1507

Ausgelassen tollten Mutter und Tochter durch den Palazzo, der im Rohbau stand. Von der Treppe der Loggia aus zeigte Imperia auf den Vorplatz. »Hier wird ein Park sein, der sich bis zum Tiber hinunter erstreckt. Mit einem großen Brunnen und einem Gartenhaus. Was werden wir für Sommerfeste feiern!« Wie glücklich sie aussieht, dachte Lucrezia. So fröhlich hatte sie ihre Mutter lange nicht mehr gesehen. »Und hier«, fuhr Imperia fort und drehte sich auf der Stelle, wobei sie mit ausgestreckter Hand auf die Wände und die Decke der Loggia zeigte, »hier werden heitere Fresken entstehen, die von den Gefahren, aber vor allem von den Freuden der Liebe erzählen.«

»Woran freut man sich in der Liebe am meisten?«, fragte Lucrezia ernst. Imperia schaute sie ebenso verwundert wie irritiert an.

»Warum willst du das wissen? In deinem Alter hat es mit der Liebe noch Zeit«, sagte sie streng und ging zurück ins Vestibül. Dort wurde sie schon von Baldassare Peruzzi erwartet, der wie immer bester Stimmung war.

»Gott zum Gruße, schöne Damen. Man hat mir gesagt, dass ich sie hier antreffe.«

Imperia begrüßte den Baumeister freundlich, verwies aber darauf, dass Agostino in Geschäften unterwegs sei.

»Das macht nichts. Messèr Agostino sagte, ich könne mich in allen Fragen, die die Ausstattung des Palazzo betreffen, auch an die Hausherrin wenden.«

Lucrezia beobachtete, dass die Augen der Mutter aufleuchteten. Verbarg sich hinter der Bezeichnung, die der Bankier verwendet hatte, ein Heiratsantrag? In diesem Augenblick ahnte Lucrezia, wie sehr sich Imperia wünschte, Agostinos rechtmäßige Frau zu werden. »Schau dich ruhig noch ein bisschen um, Lucrezia«, rief die Mutter ihr zu, bevor sie Baldassare in die Loggia folgte. Es ging um die Orte der Fresken.

Die Neugier trieb Lucrezia die Treppe hinauf. Die Tür zu einem der Zimmer stand offen. Sie trat hinein und betrachtete die Farben und die Bottiche mit Pinseln, die auf dem Boden standen. Die Maler mussten gerade mit den Fresken fertig geworden sein. Ihr Blick fiel auf ein gemaltes goldenes Bett, auf dem eine blonde Frau saß. Sie trug ein durchsichtiges Hemd und nur noch einen Schuh. Ein goldgelbes Tuch bedeckte ihre Scham. Engel entkleideten die Schönheit. Eine schwarze Dienerin, die den Bettpfosten umarmte und den roten Vorhang zurückhielt, schaute mit einem lüsternen Blick auf die junge Frau hinunter. Bei näherem Hinsehen kamen Lucrezia jedoch Zweifel, ob die schwarze Figur wirklich eine Frau und nicht einen Mann darstellen sollte. Es blieb ein Rest von Uneindeutigkeit. Vor dem Bett hielt ein junger Mann der Frau eine Krone hin, als böte er ihr zum Lohn für ihre Unschuld die Herrschaft über ihn an. Die Frau aber schaute den gut aussehenden Mann nicht an. Ihre Miene zeigte weder Freude noch Abscheu, sondern drückte Traurigkeit aus, ein Gefühl des Abschiednehmens. Eine leichte Röte erschien auf Lucrezias Gesicht. Sie fühlte eine Hitze in sich aufsteigen, die aus ihrer Mitte kam. Die Frau würde die Krone bekommen und der Mann ihre Unschuld. Vor aller Augen. Sie spürte, wie sie diese Vorstellung erregte und gleichzeitig abstieß.

»Gefällt es Euch?« Das Mädchen fühlte sich ertappt und blickte zu Boden. Sie spürte, wie derjenige, der sie angesprochen hatte, sich ihr näherte. Sie nahm allen Mut zusammen und wandte sich um. Vor ihr stand ein schlaksiger Kerl in einem weißen Hemd. Seine Hose hatte die Farbe seiner Augen – ein tiefes Blau. Schwarzes, mädchenhaft gelocktes Haar fiel ihm bis auf die Schulter. Doch die große, fleischige Nase und die Stoppeln um Mund und Kinn verwischten den Eindruck des Femininen. Misstrauen – in diesem Wort bündelten sich die Empfindungen, die sein Anblick in Lucrezia hervorrief. Am meisten verwirrten sie seine Augen, die feucht und leblos wirkten.

»Erregt es Euch?«, fragte er weiter, den ausdruckslosen Blick auf sie geheftet. »Schaut, sie will ja ihre Unschuld verlieren!« Er zeigte auf die linke Hand der gemalten Schönen, die gerade dabei war, das goldgelbe Tuch wegzuziehen und ihre Scham bloßzulegen. »Alles müssen die Engel bewerkstelligen. Sie schaut den Mann, mit dem sie gleich schlafen wird, nicht einmal an, aber das Entscheidende tut sie selbst.« Er stand nun nah vor Lucrezia. Sie konnte sein Begehren riechen. »Weil sie es will, weil es sie danach verlangt, weil sie der Hitze erliegt, die aus ihrem Innern kommt.«

Panik erfasste Lucrezia und hinderte sie, daran zu denken. Sie wollte weglaufen, aber sie fühlte sich gebannt, von den ausdruckslosen, toten Augen behext.

»Du kennst die Wärme. Aber du leidest unter ihr. Lass los. Genieße sie. Sie ist wie eine Mutter, sie nimmt dich auf.« Der Mann ließ sie nicht aus den Augen, und Lucrezia kämpfte mit sich, ob sie seinem Blick entkommen oder folgen wollte. »Weißt du, warum Roxane auf dem Bild nach unten blickt? Weil sie ihm das Gefühl vermittelt, dass er der erste Mann ist. Dabei hält sie doch das größte Geschenk bereit, das ein Mädchen einem Mann machen kann – sie hat Erfahrung. Unter der Maske der Unschuld wird sie ihn verwöhnen und glücklich machen. Der Gegensatz zwischen dem Griff der linken Hand und dem Gesicht verrät dir, dass sie nur die Maske der Unschuld trägt«, flüsterte er heiser. »Liebst du, kleine Roxane? Und willst du den Mann glücklich machen, dann geh jetzt bei mir in die Lehre. Hab keine Angst … ich zeige dir den Weg zu einem langen Glück …« Während er mit seinem toten Blick weiter in ihre Augen drang, berührten seine Hände ihr Kleid in der Höhe ihres Bauches. Sie schrak zusammen und schloss die Augen. »Vertrau deinem Blut, denn daher kommt die Hitze, die gute, die wundervolle Hitze …«